Insolvenzrecht und Restschuldbefreiung in Europa - Teil 06 - Frankreich Teil 1

2. Frankreich


2.1. Einleitung

2.1.1. Allgemein

Für das französische Insolvenzrecht ist es typisch, dass es als Kaufmannsrecht angesehen wird und dass es stark an den Gedanken der Unternehmenssanierung und Arbeitsplatzerhaltung anknüpft.
In Frankreich wird grundsätzlich zwischen dem Regelinsolvenzverfahren und der Verbraucherinsolvenz unterschieden. Das Regelinsolvenzverfahren wird in dem französischen Handelsgesetzbuch geregelt. „Die Bestimmungen über Insolvenzverfahren befinden sich im Kapitel „Über Schwierigkeiten von Unternehmen“ des Code de Commerce (Art.L611-1ff).“
Die gesetzliche Grundlage für die Verbraucherinsolvenz findet sich im Verbrauchergesetzbuch. In Elsass Mosel gelten im Rahmen der Verbraucherinsolvenz allerdings noch spezielle Bedingungen.

2.1.2. Das Gesetz zum Erhalt von Unternehmen

Zum 1.1. 2006 trat in Frankreich ein neues Insolvenzrecht in Kraft. Das „Gesetz zum Erhalt von Unternehmen“ vom Jahre 2005 stellt die dritte umfassende Insolvenzrechtsreform Frankreichs dar. Mit dem neuen Gesetz wird ein neuer Ansatz verfolgt, nämlich dem Unternehmen schon bei ersten Anzeichen wirtschaftlicher, seine Existenz gefährdender Schwierigkeiten ein verfahrensrechtliches Instrumentarium zur wirksameren Krisenbewältigung an die Hand zu geben. Es wurde ein neuer Verfahrenstyp eingeführt, die sogenannte „procédure de sauvegarde“. Darüber hinaus erfolgte eine wesentliche inhaltliche Überarbeitung des bereits nach geltendem Recht bestehenden Schlichtungsverfahrens, das unter dem neuen Titel „conciliation“ die Voraussetzungen für eine Einigung mit den Gläubigern über die Schuldentilgung im Vorfeld einer drohenden Insolvenz erleichtern soll. Des Weiteren dehnt das Gesetz die Regelung des Handelsvergleichs (Sanierung) und der Liquidation auf die natürlichen Personen aus, die einer unabhängigen beruflichen Tätigkeit nachgehen, insbesondere auf freiberuflich Tätige, die einem gesetzlichen oder reglementärem Status unterliegen oder deren Titel geschützt ist.

2.1.3. Anwendungsbereich der Gesetze

In Frankreich wird zwischen zwei verschiedenen Personengruppen unterschieden:

  1. Kaufleute, Landwirte, Handwerker, Freiberuflich tätige, die einer Kammer angehören und alle juristischen Personen des Zivilrechts – für diese Personen gelten die Bestimmungen des Regelinsolvenzverfahrens (gerichtet auf die Sanierung oder die Liquidation).
  2. Natürliche Personen mit nicht gewerblichen Schulden – wenn eine solche Person neben ihrer Redlichkeit belegt, dass ihre Lage ausweglos ist, kann sie bei Gericht die Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens zur Restschuld-befreiung erwirken .

2.2. Insolvenzverfahren

2.2.1. Insolvenz

Der Begriff „der Überschuldung“ (dass die Schulden höher als Aktivvermögen sind) ist im französischen Insolvenzrecht unbekannt. In Frankreich wird der Begriff „der Zahlungseinstellung“ herangezogen - die Unmöglichkeit für den Schuldner, die fälligen Schulden mit seinen verfügbaren Aktiva zu decken. Die Überschuldung wird im Rahmen des französischen Insolvenzrechts als eine Unmöglichkeit des redlichen Schuldners, für seine nicht berufliche, fällige oder fällig werdende Schulden einzustehen, definiert.
Die Eröffnung des Verfahrens folgt erst dann, wenn es bestätigt wird, dass der Schuldner zahlungsunfähig ist.

2.2.2. Verfahrensarten zur Schuldenregulierung

In Frankreich gibt es fünf verschiedene Verfahrensarten zur Schuldenregulierung:

  • das Verfahren des „mandataire ad hoc“, bei dem ohne Bindung an Voraussetzungen ein Verwalter bestellt wird, dessen Aufgaben der Präsident des zuständigen Handelsgerichts nach seinem Ermessen festlegen kann,
  • die „conciliation“ (Schlichtung, Vergleich),
  • die „procedure de sauvegarde“ (präventives Insolvenzverfahren),
  • das Sanierungsverfahren,
  • und das reguläre Insolvenzverfahren.

2.2.3. Conciliation (Schlichtung)

Falls der Schuldner in finanziellen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten gerät oder falls er seit höchstens 45 Tagen zahlungsunfähig ist, kann er beim Gericht die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens beantragen. Die „conciliation“ löst das 1985 in das Insolvenzverfahren aufgenommene freiwillige Schlichtungsverfahren ab, ohne dass es sich dabei um ein von Grund auf neu gestaltetes Verfahren handelt. Seit der Reform dient das neue Schlichtungsverfahren nicht nur wie bisher als insolvenzabwendendes Vergleichsverfahren, sondern dient auch bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit zur Insolvenzbewältigung. Unter Leitung eines vom Gericht für einen Zeitraum von 4 bis maximal 5 Monaten bestellten Schlichters soll eine Einigung des Schuldners mit seinen wesentlichen Gläubigern in Form eines Schlichtungsvertrages erreicht werden.
Im Grunde handelt es sich bei der „conciliation“ um ein dem eigentlichen Insolvenzverfahren vorgelagertes Verfahren; es stellt kein Insolvenzverfahren im Sinne der Europäischen Insolvenzordnung dar.

2.2.4. Procedure de sauvegarde (präventives Insolvenzverfahren)

„Bei der „procedure de sauvegarde“ handelt es sich um ein präventives Insolvenzverfahren, das dem regulären Insolvenzverfahren vorgeschaltet ist.“ „Unternehmer, die Zahlungsschwierigkeiten nachweisen, welche zur Zahlungsunfähigkeit führen können, haben die Möglichkeit, die Eröffnung eines Verfahrens zu beantragen, das ihre Verfolgung durch die Gläubiger vor Eintritt der endgültigen Zahlungsunfähigkeit aussetzt.“

2.2.4.1. Ablauf des Verfahrens

Das Verfahren wird auf Antrag des Unternehmens eröffnet. Zunächst wird eine Beobachtungsphase erfolgen, die bis zu 6 Monaten dauert und während der das Handelsgericht versucht, die Ausarbeitung und Verabschiedung eines Rettungsplans zu erreichen oder während der das Gericht auch beschließen kann, dass das Unternehmen liquidiert oder ein reguläres Insolvenzverfahren eröffnet wird. Der Unternehmer kann seine Firma weiterhin leiten, wird aber vom Insolvenzverwalter überwacht und unterstützt. Bei Unternehmen mit mehr als 300 Mitarbeitern werden zwei Gläubigerausschüsse gebildet, dem zum einen die kreditgebenden Banken und zum anderen die wesentlichen Lieferanten des Unternehmens angehören und die mit einer 2/3 Mehrheit über die Annahme oder Ablehnung des vorgeschlagenen Rettungsplans abstimmen. Der Rettungsplan muss vom Gericht genehmigt werden.

 

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch "Insolvenzrecht und Restschuldbefreiung in Europa - Ein Vergleich der Insolvenzordnungen der Länder der EU" von Harald Brennecke und Eva Otépková, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-05-2.

 


 

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Stand: März 2009


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Harald Brennecke, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Portrait Harald-Brennecke

Rechtsanwalt Harald Brennecke ist Gründer und Managing Partner der Kanzlei Brennecke & Partner. Er ist überwiegend im Bereich des Insolvenzrechts für Unternehmer und Unternehmen tätig.

Harald Brennecke ist seit 1999 im Bereich der Unternehmenssanierung tätig. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht gestaltet er Sanierungen und begleitet Firmeninsolvenzen. Rechtsanwalt Brennecke berät insbesondere Geschäftsführer in der Unternehmenskrise hinsichtlich der für diese bestehenden  Haftungsrisiken sowie Gesellschafter im Interesse der Unternehmenssanierung unter dem Blickwinkel des Unternehmens als Vermögensbestandteil des Gesellschafters. Er vertritt bei unzulässigen oder unbegründeten Insolvenzanträgen. Rechtsanwalt Brennecke verhandelt mit Insolvenzverwaltern hinsichtlich des Erwerbs von Unternehmen aus der Insolvenz zum Zwecke der Unternehmensfortführung durch Investoren oder Familienangehörige. Weiter vertritt Rechtsanwalt Brennecke bei Ansprüchen des Insolvenzverwalters aus Anfechtung gegen Gesellschafter, Familienangehörige oder Dritte sowie bei (den häufig unterschätzten) Haftungsansprüchen gegen Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften.   

Er berät Insolvenzschuldner hinsichtlich der Erlangung der Restschuldbefreiung und der hierfür erforderlichen Obliegenheiten und vertritt im gesamten Insolvenzverfahren um sicherzustellen, dass der Schuldner die an ihn gestellten Obliegenheitsanforderungen zur Erlangung der Restschuldbefreiung (die über das hinausgehen, was ein Insolvenzverwalter vom Schuldner verlangt und verlangen darf) erfüllt. Der Irrtum, dass Insolvenzschuldner alleine dann schon Restschuldbefreiung erhielten, wenn sie alle Anforderungen des Insolvenzverwalters erfüllen, ist leider immer noch weit verbreitet.

Rechtsanwalt Brennecke berät Schuldner über das Vorgehen bei der Nutzung der Alternativen des europäischen Insolvenzrechts zur Restschuldbefreiung. In wenigen speziellen Fällen bietet ausländisches Insolvenzrecht Vorteile.

Er hat mehrere Bücher im Bereich Insolvenzrecht veröffentlicht, so

  • "Gesellschaftsrecht in der Insolvenz", ISBN 978-3-939384-267
  • "Die Limited in der Insolvenz", ISBN 978-3-939384-34-2
  • "Der Insolvenzplan – Sanierungsinstrument in der Insolvenz", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-06-9
  • "Die Restschuldbefreiung", 2006, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-00-7 
  • "Privatinsolvenz/Verbraucherinsolvenz - Eine Einführung", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-13-1
  • "Insolvenz und Restschuldbefreiung in Europa", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-05-2
  • "Der Insolvenzplan und der Verbraucherinsolvenzplan - Sanierungsinstrument in der Insolvenz - für Verbraucher und Unternehmen", ISBN 978-3-939384-06-9
  • "Die Regelinsolvenz - Insolvenz für Unternehmer und Unternehmen", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-07-6 
  • "Das Recht der GmbH", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-33-5
  • "Der Gesellschaftsvertrag der GmbH - Die GmbH-Satzung in Theorie und Praxis", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-40-3
  • "Der Unternehmenskauf -  Rechtliche Risiken bei Kauf und Verkauf mittelständischer Unternehmen", Verlag Mittelstand und Recht, 2014, ISBN 978-3-939384-18-2
  • "Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-29-8

Weitere Veröffentlichungen sind in Vorbereitung, so

  • „Selbständigkeit in der Insolvenz“
  • „Schutzschirm und Eigenverwaltung“
  • „Die Liquidation von Kapitalgesellschaften“

Er ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im DeutscherAnwaltVerein und Dozent für Insolvenzrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.  Er moderiert die Gruppe Insolvenz und Insolvenzvermeidung bei XING.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Insolvenzrecht für Gründer und lebende Unternehmen: Aus Insolvenzen anderer lernen heißtdas eigene Insolvenzrisiko zu vermeiden
  • Unternehmenssanierung: Kopf aus dem Sand! Wer zu spät reagiert, reagiert nie wieder.
  • Insolvenzrecht für Steuerberater – Grundlagen des Insolvenzrechts für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 
  • Insolvenzrecht für Unternehmensberater – Sanierungschancen erkennen und wahren
  • Insolvenzberatung: das (enorme) Haftungsrisiko des Sanierungsberaters 
  • Selbständigkeit in der Insolvenz – die große Chance des Neustarts


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