Insolvenzrecht und Restschuldbefreiung in Europa - Teil 05 - England und Wales Teil 3

1.2.2.2. Bankruptcy (Verbraucherinsolvenzverfahren)


„In seinem persönlichen Anwendungsbereich erfasst das englische Insolvenzverfahren für Privatpersonen alle natürlichen Personen, ohne dass zwischen Kaufleuten und nicht Kaufleuten unterschieden wird.“

1.2.2.2.1. Eröffnung des Verfahrens


Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird nur unter bestimmten Voraussetzungen folgen. Zu denen zählt vor allem die Unfähigkeit des Schuldners, die fälligen Forderungen zu erfüllen. Weiterhin kann die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Antrag eines Schuldners erfolgen (Eigenantrag auf Erlass eines Eröffnungsbeschlusses, sog. Bankruptcy Order). Dieser kann gestellt werden, wenn der Schuldner seinen Wohnsitz in England hat oder am Tag der Einreichung des Antrages bei Gericht persönlich in England anwesend ist oder innerhalb der letzten 3 Jahre vor Einreichung des Antrages in England wohnhaft war oder in England Geschäfte getätigt hat. Der Eigenantrag erfordert außerdem der Vorlage eines Vermögensverzeichnisses (Statement of Affairs), die Einreichung einer beeideten Versicherung der Zahlungsunfähigkeit (Declaration of Insolvency) und die Beschwörung in Anwesenheit eines Anwaltes oder Gerichtsangestellten. Die Gerichtsgebühren sind zurzeit £ 150, die Anzahlung auf die Kosten des Official Receivers stellt zurzeit £ 345 dar. Der Antrag kann auch durch einen Gläubiger, der eine Forderung von mindestens 750 £ gegenüber dem Schuldner hat, gestellt werden . Gläubiger können Forderungen, die durch verschiedene Pfandrechte gesichert sind, sowie die ungesicherten Forderungen geltend machen. Dem Gläubigerantrag muss noch eine Zahlungsaufforderung seitens des Gläubigers vorgehen. Der Gläubiger muss einen schriftlichen Antrag auf Eröffnung des Verfahrens entweder bei einem Amtsgericht (County Court) oder bei einem Landgericht (High Court) einreichen (je nach dem Wohnort des Schuldners).

„In jedem Fall hat das Gericht ein Ermessen hinsichtlich der Verfahrenseröffnung und kann, auch wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, eigene Überlegungen in seine Entscheidung einfließen lassen.“ Eine Mitteilung über den Insolvenzbeschluss geht an den Chief Land Registrar und es erscheint eine Insolvenzanzeige in einer geeigneten Zeitung und in der London Gazette.

1.2.2.2.2. Treuhänder

Im Grunde wird in allen formellen Verfahren mit Ausnahme des Verbraucherinsolvenzverfahrens ein Insolvenzverwalter tätig (insolvency practitioner).

Im Verbraucherinsolvenzverfahren geht das gesamte Vermögen des Schuldners auf einen Treuhänder (trustee in bankruptcy) über. In den meisten Fällen wird er von der ersten Gläubigerversammlung ernannt. „Da bis zur Ernennung der trustee einige Zeit vergehen kann, wird zunächst ein vorläufiger Verwalter, der official receiver, eingesetzt, dem der Schutz des schuldnerischen Vermögens obliegt.“
Der Treuhänder hat gemäß dem Insolvency Act mehrere Aufgaben. Er verschafft sich einen Überblick über die Vermögenslage des Schuldners und untersucht das Verhalten des Schuldners im Laufe des Insolvenzverfahrens. Außerdem ist er verpflichtet, den Eröffnungsbeschluss zu veröffentlichen und gleichzeitig auch die Gläubiger und sonstige Dritte zu benachrichtigen. Er versendet die Unterlagen für die Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle (Proof of Debt) an die Gläubiger. Der Treuhänder ist berechtigt, das Schuldnervermögen zu verwerten und den Erlös in der gesetzlich festgelegten Reihenfolge an die Gläubiger zu verteilen (Sec. 328 IA 1986). Die Vergütung des Treuhänders wird vorrangig beglichen und berechnet sich nach dem Erlös der liquidierten Vermögenswerte.

1.2.2.2.3. Beendigung des Verfahrens

Im englischen/walisischen Insolvenzrecht gab es früher zwei Rechtsgründe, die ein Insolvenzverfahren beendeten: die Restschuldbefreiung (discharge) und den Aufhebungsbeschluss des Insolvenzgerichts. Da es aber nach dem englischen Recht möglich war, dass sich ein Schuldner über mehrere Jahre hinweg in der Insolvenz befand, wurde die als zweite genannte Möglichkeit durch Enterprise Act 2002 abgeschafft.

1.2.2.2.3.1. Automatische Restschuldbefreiung (automatic discharge)

Nach der Abschaffung der discharge by order of court durch den Enterprise Act im Jahre 2002 wird die Restschuldbefreiung automatisch eintreten (automatic discharge). Diese Art der Schuldbefreiung kommt denjenigen Schuldnern zugute, die zum ersten Mal insolvent geworden sind, bei denen also ein so genannter first time bankrupt vorliegt – gegen die betreffende Person darf in den letzten 15 Jahren kein Insolvenzverfahren eröffnet worden sein und es darf auch keine criminal bankruptcy vorliegen. Die automatische Restschuldbefreiung folgt nach 12 Monaten automatisch (Sec. 279 IA 1986), wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden – der Eröffnungsbeschluss muss nach dem 1. April 2004 und die Schuldnerpflichten während des Verfahrens erfüllt werden. Anderenfalls kann die Aussetzung der Verfahrensbeendigung seitens des Treuhänders beantragt werden. Der Treuhänder kann die Verfahrensbeendigung auch früher als nach 12 Monaten beantragen – dies kann geschehen, wenn alle Schulden getilgt werden und wenn der Beschluss aufgehoben wurde.

Trotz dieser automatisch eintretenden Schuldbefreiung hat das Gericht die Möglichkeit, diese Fristen zu verlängern oder dem Gemeinschuldner gewisse Auflagen zu erteilen, die zur Erlangung der Restschuldbefreiung erfüllt sein müssen. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn der Schuldner den ihm während des Insolvenzverfahrens obliegenden Verpflichtungen nicht nachgekommen ist.

Die Erteilung der Restschuldbefreiung bedeutet jedoch nicht auch zugleich das Ende der Verwaltung des Vermögens des Schuldners; falls die Vermögenswerte noch vorhanden sind, behält der Verwalter weiter das Recht, diese zu verwerten. Erst mit deren Verwertung endet das Verfahren.

Die Verfahrensbeendigung hat bestimmte Konsequenzen für den Schuldner:

  • der Schuldner kann nach der Aufhebung wieder uneingeschränkt wirtschaftlichen Tätigkeiten nachgehen
  • die Insolvenz wird für bis zu 3 Jahre veröffentlicht
  • „Credit Agencies“ haben 5 Jahre Zugang zu den Informationen über die Insolvenz
  • von der Erteilung der discharge werden zum Beispiel nicht die Forderungen wegen Geldstrafen oder bestimmte Schadenersatzansprüche erfasst.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch "Insolvenzrecht und Restschuldbefreiung in Europa - Ein Vergleich der Insolvenzordnungen der Länder der EU" von Harald Brennecke und Eva Otépková, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-05-2.

 


 

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Stand: März 2009


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Über die Autoren:

Harald Brennecke, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Portrait Harald-Brennecke

Rechtsanwalt Harald Brennecke ist Gründer und Managing Partner der Kanzlei Brennecke & Partner. Er ist überwiegend im Bereich des Insolvenzrechts für Unternehmer und Unternehmen tätig.

Harald Brennecke ist seit 1999 im Bereich der Unternehmenssanierung tätig. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht gestaltet er Sanierungen und begleitet Firmeninsolvenzen. Rechtsanwalt Brennecke berät insbesondere Geschäftsführer in der Unternehmenskrise hinsichtlich der für diese bestehenden  Haftungsrisiken sowie Gesellschafter im Interesse der Unternehmenssanierung unter dem Blickwinkel des Unternehmens als Vermögensbestandteil des Gesellschafters. Er vertritt bei unzulässigen oder unbegründeten Insolvenzanträgen. Rechtsanwalt Brennecke verhandelt mit Insolvenzverwaltern hinsichtlich des Erwerbs von Unternehmen aus der Insolvenz zum Zwecke der Unternehmensfortführung durch Investoren oder Familienangehörige. Weiter vertritt Rechtsanwalt Brennecke bei Ansprüchen des Insolvenzverwalters aus Anfechtung gegen Gesellschafter, Familienangehörige oder Dritte sowie bei (den häufig unterschätzten) Haftungsansprüchen gegen Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften.   

Er berät Insolvenzschuldner hinsichtlich der Erlangung der Restschuldbefreiung und der hierfür erforderlichen Obliegenheiten und vertritt im gesamten Insolvenzverfahren um sicherzustellen, dass der Schuldner die an ihn gestellten Obliegenheitsanforderungen zur Erlangung der Restschuldbefreiung (die über das hinausgehen, was ein Insolvenzverwalter vom Schuldner verlangt und verlangen darf) erfüllt. Der Irrtum, dass Insolvenzschuldner alleine dann schon Restschuldbefreiung erhielten, wenn sie alle Anforderungen des Insolvenzverwalters erfüllen, ist leider immer noch weit verbreitet.

Rechtsanwalt Brennecke berät Schuldner über das Vorgehen bei der Nutzung der Alternativen des europäischen Insolvenzrechts zur Restschuldbefreiung. In wenigen speziellen Fällen bietet ausländisches Insolvenzrecht Vorteile.

Er hat mehrere Bücher im Bereich Insolvenzrecht veröffentlicht, so

  • "Gesellschaftsrecht in der Insolvenz", ISBN 978-3-939384-267
  • "Die Limited in der Insolvenz", ISBN 978-3-939384-34-2
  • "Der Insolvenzplan – Sanierungsinstrument in der Insolvenz", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-06-9
  • "Die Restschuldbefreiung", 2006, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-00-7 
  • "Privatinsolvenz/Verbraucherinsolvenz - Eine Einführung", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-13-1
  • "Insolvenz und Restschuldbefreiung in Europa", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-05-2
  • "Der Insolvenzplan und der Verbraucherinsolvenzplan - Sanierungsinstrument in der Insolvenz - für Verbraucher und Unternehmen", ISBN 978-3-939384-06-9
  • "Die Regelinsolvenz - Insolvenz für Unternehmer und Unternehmen", Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-07-6 
  • "Das Recht der GmbH", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-33-5
  • "Der Gesellschaftsvertrag der GmbH - Die GmbH-Satzung in Theorie und Praxis", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-40-3
  • "Der Unternehmenskauf -  Rechtliche Risiken bei Kauf und Verkauf mittelständischer Unternehmen", Verlag Mittelstand und Recht, 2014, ISBN 978-3-939384-18-2
  • "Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-29-8

Weitere Veröffentlichungen sind in Vorbereitung, so

  • „Selbständigkeit in der Insolvenz“
  • „Schutzschirm und Eigenverwaltung“
  • „Die Liquidation von Kapitalgesellschaften“

Er ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im DeutscherAnwaltVerein und Dozent für Insolvenzrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.  Er moderiert die Gruppe Insolvenz und Insolvenzvermeidung bei XING.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Insolvenzrecht für Gründer und lebende Unternehmen: Aus Insolvenzen anderer lernen heißtdas eigene Insolvenzrisiko zu vermeiden
  • Unternehmenssanierung: Kopf aus dem Sand! Wer zu spät reagiert, reagiert nie wieder.
  • Insolvenzrecht für Steuerberater – Grundlagen des Insolvenzrechts für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 
  • Insolvenzrecht für Unternehmensberater – Sanierungschancen erkennen und wahren
  • Insolvenzberatung: das (enorme) Haftungsrisiko des Sanierungsberaters 
  • Selbständigkeit in der Insolvenz – die große Chance des Neustarts


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Telefon: 0721-20396-28

 


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