Rechtsgrundlagen der SE
Rechtsgrundlagen der SE
1 Rechtsquellen und Rechtsquellenhierarchie
Trotz des supranationalen Charakters der SE, der zunächst eine einheitliche gesetzliche Regelung der Rechtsform suggeriert, stellt die SE-VO keine vollumfängliche Rechtsquelle dar (vgl. Koch in Hüffer/Koch, AktG, § 4 Rn. 17; Bachmann in Hirte/Mülbert/Roth, AktG, § 4 Rn. 17). Dagegen beschränkt sich ihr Regelungsgehalt auf zentrale Aspekte. Die Regelungen für die SE sind in unterschiedlichen Quellen enthalten, die in einem bestimmten Rangverhältnis zueinanderstehen (vgl. Wendt in Spahlinger/Wegen, Internationales Gesellschaftsrecht in der Praxis, Rn. 925; Binder/Jünemann/Merz/Sinewe, Die Europäische Aktiengesellschaft (SE), § 1 Rn. 2; Thoma/Leuering in NJW, Die Europäische Aktiengesellschaft, S. 1449). Dieses bestimmt sich nach Art. 9 SE-VO (vgl. Habersack in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, Art. 9 Rn. 1). Primär anzuwenden sind gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. a) SE-VO die zwingenden Regelungen der SE-VO. Nach Art. 9 Abs. 1 lit. b) SE-VO genießt die Satzung der SE sekundäre Anwendung, soweit eine Abweichung der Satzung in der SE-VO vorgesehen ist. Als drittes anzuwenden sind nationale Vorschriften zur Ausführung der SE-VO. Dabei handelt es sich in Deutschland zum einen um das SE-AG (Deutsches Ausführungsgesetz für die SE) und zum anderen um die ergänzende Arbeitnehmerrichtlinie SE-RL. An letzter Stelle stehen Bestimmungen der Satzung, soweit diese im Einklang mit dem nationalen Aktienrecht stehen (vgl. Habersack, EuGesR, § 13 Rn. 10; Kuhn in Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 25 Rn. 12; S. 27 Rn. 21; Bröder, SteuerStud, S. 21; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 1 Rn. 1.52 f.)
Die Anwendung des nationalen Rechts setzt gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) eine Regelungslücke oder einen direkten Verweis in der SE-VO voraus (vgl. Habersack, EuGesR, § 13 Rn. 10; Kuhn in Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 25 Rn. 12; S. 27 Rn. 21; Bröder, SteuerStud, S. 21; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 1 Rn. 1.52 f.). Eine solche Regelungslücke ist insbesondere dann gegeben, wenn ein durch die SE-VO nicht geregelter Bereich, in der überwiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten geregelt wird oder bereits harmonisiertes Recht vorhanden ist (vgl. Kuhn in Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 26 Rn.15).
Nach dem 20. Erwägungsgrund der SE-VO werden Rechtsbereiche wie das Steuerrecht, das Wettbewerbsrecht, der gewerbliche Rechtsschutz und das Insolvenzrecht nicht von der Verordnung erfasst, sodass das jeweilige Verkehrsrecht des Sitzstaates zur Anwendung kommt (vgl. Casper in Spindler/Stilz, Kommentar zum Aktiengesetz, Art. 9 Rn. 11; Spitzbart, Die Europäische Aktiengesellschaft in RNotZ, S. 303). Diese Verweisungstechnik auf das Recht des Sitzstaates führt dazu, dass die SE je nach Sitzstaat unterschiedlich ausgestaltet wird (vgl. Kuhn in Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 23 Rn. 4; Bröder, SteuerStud, S. 23; Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, § 34 Rn. 481d).
1.1 Das SE-Ausführungsgesetz
Nach Art. 249 Abs. 2 EG gilt, dass Verordnungen allgemeine Wirkung genießen und in allen Teilen verbindlich und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat Geltung haben. Daraus folgt eine bindende Rechtswirkung ohne die Notwendigkeit eines Umsetzungsaktes durch nationale Organe (vgl. Arndt/Fischer, Europarecht, S. 76; Frenz, Europarecht, S. 14 Rn. 16). Allerdings war ein solches Ausführungsgesetz aufgrund des lückenhaften Regelungsumfangs der SE-VO notwendig (vgl. Luke, NWB, S. 1238; Neye, Die Europäische Aktiengesellschaft, S. 1). Ausführungs- und Umsetzungsvorschriften beschränken sich auf Aspekte, die von der Verordnung selbst nicht gedeckt werden (vgl. Schröder/Fuchs in Manz/Mayer/Schröder, Art. 9 Rn. 19). Dabei müssen sie nach Maßgabe des Art. 9 Abs. 2 SE-VO mit den für nationale Aktiengesellschaften maßgeblichen Richtlinien im Einklang stehen und unterliegen dem Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung. Um schließlich dem Ungleichbehandlungsverbot aus Art. 10 SE-VO zu entsprechen, darf die SE mit speziellen Ausführungsgesetzen nicht schlechter gestellt werden als die nationale Aktiengesellschaft (vgl. Casper in Spindler/Stilz, Kommentar zum Aktiengesetz, Art. 9 Rn. 20; Schröder in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 9 Rn. 1).
1.2 Nationales Aktienrecht
Art. 9 Abs. 2 lit. c) ii SE-VO enthält einen Verweis auf nationales Aktienrecht für nicht geregelte oder unvollständige Bereiche der Verordnung (vgl. Kuhn in Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 28 Rn. 22). Verwiesen wird dabei direkt auf das jeweilige Sachrecht des Sitzstaates und nicht unmittelbar auf dessen Kollisionsrecht (vgl. Kalss/Klampfl, Europäisches Gesellschaftsrecht, S. 225 Rn. 558). Dem Verweis auf nationales Aktienrecht kommt zudem in der Praxis die größte Bedeutung zu (vgl. Habersack in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, Art. 9 Rn. 41). Die Verweisung bezieht sich für die in Deutschland ansässige SE zum einen insbesondere auf das AktG und zum anderen auf dessen Richterrecht und ungeschriebene Rechts- und Auslegungsgrundsätze (vgl. Habersack in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, Art. 9 Rn. 42; Casper in Spindler/Stilz, Kommentar zum Aktiengesetz, Art. 9 Rn. 15; Schröder in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 9 Rn. 29).
2 Rechtssicherheit
Bei der Suche nach Rechtsprechung wird schnell deutlich, dass wenige vom EuGH entschiedene Fälle vorliegen, die die SE direkt betreffen. Dieser Umstand ist dem Alter der Gesellschaft geschuldet. Die SE steht Gründern seit 2004 im abschließenden Katalog an Rechtsformalternativen zur Verfügung, was sie zu einer relativ neuen, nicht umfassend in der Praxis erprobten Rechtsform macht. Daher ist die Bandbreite an Rechtsprechung entsprechend weniger umfangreich ausgeprägt als bei länger erprobten Rechtsformen (vgl. Schröder in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, S. 44 Rn. 79). Der geringe Bestand an EuGH-Urteilen führt zu einem geringeren Umfang an Rechtsfortbildung, etablierten Grundsätzen und Hilfe bei der Auslegung einzelner Normen, was zu einem geringeren Maß an Rechtssicherheit beim Rechtsanwender führt. An dieser Stelle soll betont werden, dass die SE, wie bereits festgestellt, nicht nur der SE-VO, sondern, durch die Verweisungen der Verordnung, auch dem nationalen Aktienrecht unterliegt. Hier ist in Bezug auf Rechtssicherheit auf den jeweiligen Sitzstaat abzustellen.
2.1 Rechtsvorschriften: Überblick
Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-VO) |
Satzung der SE, sofern die VO dies ausdrücklich zulässt. (Satzungsautonomie) |
Nationales Aktienrecht |
Sonstige Satzungsbestimmungen, sofern nationales Recht dies zulässt. (Satzungsautonomie) |
Nationales Ausführungsgesetz zur SE |
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