Die strafbefreiende Selbstanzeige – Teil 13 – Entdeckung der Tat: Tatverdacht nicht ausreichend, Wahrnehmung und Beurteilung, Steuerstraftat als Gegenstand (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO)
Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
5.6.1.1 Tatverdacht nicht ausreichend
Allerdings ist die Tat nicht schon bei bloßem Tatverdacht entdeckt. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Merkmals des Entdeckens, der die Fälle bloßen Verdachtschöpfens nicht mit umfasst. Vielmehr stellt das Gesetz auf die Entdeckung der Tat ab, sodass auch die Person, die als Täter oder Teilnehmer der Steuerstraftat in Betracht kommt, noch nicht bekannt zu sein braucht. Das Merkmal der Tatentdeckung erfordert daher mehr als die Kenntnis von Anhaltspunkten, die zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens Anlass geben können. Allerdings müssen die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen nicht bereits soweit bekannt sein, dass der Schuldumfang verlässlich beurteilt werden kann. Maßgeblich für die Tatentdeckung ist nach der Ansicht des BGH die einzelne unterlassene oder unrichtige Steuererklärung, sodass für jede Steuererklärung die notwendige „Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses“ gegeben sein muss.
Im Ergebnis fordern der Bundesgerichtshof und die Literatur, dass die Voraussetzungen für die Anklageerhebung nach § 170 Abs. 1 StPO beziehungsweise für die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 203 StPO vorliegen.(Fußnote)
Beispiel
Die Finanzbeamtin F der Lohnsteuer-Stelle erkennt bei einer Überwachung des Geschäftsbetriebes der U-GmbH, dass der Unternehmer U Lohnsteueranmeldungen nicht abgegeben hat. Nach erfolgloser Mahnung droht F mit der Festsetzung von Zwangsgeld. U zeigt sich selbst an.
- Die Strafbefreiung der Selbstanzeige ist nicht ausgeschlossen, nachdem F ein Zwangsgeld angedroht hat. Die von der Lohnsteuer-Stelle getroffenen Feststellungen bedeuten noch keine positive Kenntnis einer Steuerstraftat. Die bloße Kenntnis von der Existenz der U-GmbH bekundet keine Tatentdeckung. Es müssen weitere Umstände bekannt sein, aus denen sich erklären lässt, warum U die termingerechten Lohnsteueranmeldungen unterlassen hat.
Beispiel
Dem Finanzamt liegt ein - auf ein ausländisches Kreditinstitut ausgestellter - Scheck vor. Dieser wurde auf das Privatkonto des Lagerarbeiters L des Schrotthändlers S eingelöst. Der Finanzbeamte F bittet zunächst L, später auch S um Mitteilung, welches Rechtsgeschäft dem Scheck zu Grunde liegt. S teilt F mit, dass es sich um eine versehentlich nicht gebuchte Betriebseinnahme handelt.
- Die Erklärung des S stellt eine wirksame Selbstanzeige dar. Die Anfrage des F stellt eine Auskunft im Besteuerungsverfahren dar und noch keine Tatentdeckung. Andernfalls hätte F den S nach §§ 136, 163a StPO belehren müssen.
5.6.1.2 Wahrnehmung und Beurteilung durch den Tatentdecker
Des Weiteren ist für die Tatentdeckung erforderlich, dass der Entdecker zumindest einen Teil des wirklichen Tatgeschehens oder der Tatfolgen unmittelbar selbst wahrgenommen hat und ihm der strafrechtliche Gehalt des von ihm wahrgenommenen Sachverhalts bewusst wird. D.h. dass die strafrechtliche Bedeutung des festgestellten Sachverhalts von dem Entdecker in ihrem wesentlichen Kern erkannt worden sein muss. Daher muss der objektiv festgestellte Sachverhalt den Rückschluss auf die subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung zulassen.
Beispiel
Architekt A erfährt vom Bauunternehmer U, dass der Betriebsprüfer F im Rahmen einer Betriebsprüfung seines Geschäftsbetriebes Kontrollmitteilungen von seinen Rechnungen über Architektenhonorar gefertigt hat. A hat die Honorare in seiner Einkommensteuererklärung nur zum Teil angegeben. A reicht über seinen Steuerberater beim zuständigen Finanzamt eine Selbstanzeige ein, bevor dieses die Kontrollmitteilungen auswerten konnte.
- Die Steuerstraftat des A war nicht entdeckt, die Selbstanzeige mithin nicht gesperrt.
5.6.1.3 Die Steuerstraftat als Gegenstand der Entdeckung
Die Sperrwirkung bezieht sich auf die Entdeckung „einer der Steuerstraftaten“. Das bedeutet, dass es auf die Entdeckung der Tat ankommt. Der Tatbegriff umfasst alle unverjährten Steuerstraftaten derselben Steuerart.
Es reicht aus, wenn die Tat nur zum Teil entdeckt war; die Sperrwirkung tritt in einem solchen Fall für den gesamten Tatkomplex ein. Dies gilt jedoch nicht, wenn die bloßen Vorbereitungshandlungen entdeckt werden.
Beispiel
Die Finanzbehörde ordnet die Betriebsprüfung der K-GmbH für die Jahre 2006 bis 2008 an. Der Betriebsprüfer P stößt in der laufenden Prüfung auf gefälschte Rechnungsbelege aus dem Jahr 2009. Die Steuererklärung für das Jahr 2009 wurde noch nicht gefertigt.
- Die Fälschung der Rechnungsbelege stellt lediglich eine Vorbereitungshandlung für eine Steuerhinterziehung dar und ist noch keine Tatentdeckung, d.h. das eine strafbefreiende Selbstanzeige noch möglich ist.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die strafbefreiende Selbstanzeige“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Jens Bierstedt LL.M., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2.

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Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
Stand: Januar 2016