Die strafbefreiende Selbstanzeige – Teil 12 – Sperrwirkung im Falle des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1e AO und § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO
Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
5.5 Sperrwirkung durch Erscheinen eines Amtsträgers zur Umsatzsteuer- bzw. Lohnsteuer-Nachschau (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1e AO)
Die Ausschlussgründe erfassen sowohl die Umsatznachschau als auch die Lohnsteuernachschau.
5.5.1 Allgemeines
Nach § 371 Abs. 2 Nr. 1e AO tritt Straffreiheit nicht ein, wenn bei einer zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftat vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer
- Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b UStG
- einer Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g EStG oder
- einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften
erschienen ist und sich ausgewiesen hat.
Die Sperrwirkung reicht bis zum Abschluss der Nachschau, d.h. dass nach Beendigung der Nachschau eine Selbstanzeige wieder für den betroffenen Zeitraum und die betroffene Steuerarten möglich ist. Gleiches gilt für die Lohnsteuer. Allerdings ist noch ungeklärt, ob die Lohnsteuer-Nachschau eine strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige wegen Einkommensteuer-Steuerhinterziehung sperrt, da noch nicht geklärt ist, ob es sich bei der Lohnsteuer und Einkommensteuer um dieselbe Steuerart handelt. Das bedeutet, dass derzeit noch nicht ganz klar ist, ob bei einer Lohnsteuernachschau eine Selbstanzeige wegen Hinterziehung von Einkommensteuer mitgesperrt sein soll.
5.5.2 Nachschau
Mit der Nachschau als "kleine Schwester der Außenprüfung" ermittelt das Finanzamt die gegenwärtigen Verhältnisse des Steuerpflichtigen. Sie steht im Ermessen der Behörde und kann ohne vorhergehende Anordnung durchgeführt werden. Nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut greift der Ausschluss in diesem Fall nur ein, wenn sich der Amtsträger der Finanzbehörde als solcher ausgewiesen hat. Im Hintergrund steht die Befürchtung, dass der Steuerpflichtige andernfalls nicht wissen kann, ob eine Nachschau tatsächlich gerade angestrengt wird.
5.5.3 Umfang der Sperrwirkung
Der Umfang der eingetretenen Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Nr. 1e AO erstreckt sich bei der Nachschau von Umsatzsteuer und Lohnsteuer sowohl in einem persönlichen (also wem gegenüber) als auch einen sachlichen (auf welche Steuerarten) Umfang.
5.5.3.1 Persönlicher Umfang
Der Gesetzgeber hat hier auf die Einschränkung durch die Formulierung „dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten i.S.d. § 370 Abs. 1 AO oder dessen Vertreter“ verzichtet, sodass sich der persönliche Umfang der Sperrwirkung auf die Personen begrenzt, bei denen der Amtsträger erscheint und die Täter im Sinne von § 370 AO sind.
5.5.3.2 Sachlicher Umfang
Der sachliche Umfang der Sperrwirkung erstreckt sich auf die
- Umsatzsteuer-Nachschau (§ 27b UStG)
- Lohnsteuer-Nachschau (§ 42g EStG) oder
- Nachschau nach anderen steuerlichen Vorschriften (z.B. Nachschau von Verbrauchsteuern nach § 210 Abs. 1 AO oder die Verdachtsnachschau nach § 210 Abs. 2 AO).
5.6 Sperrwirkung durch Entdeckung der Tat (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO)
Die Strafbefreiung einer Selbstanzeige ist nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO ausgeschlossen, wenn die Steuerstraftat
- vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung
- ganz oder zum Teilbereits entdeckt war und
- der Täter dies wusste oder
- bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste.
Da zuerst die Entdeckung der Tat und dann das Wissen oder damit-Rechnen-müssen des Täters genannt ist, ist für die Rechtzeitigkeit der Selbstanzeige auf die objektive Tatentdeckung abzustellen. Es kommt nicht auf deren irrtümliche Annahme durch den Täter an. Der Täter, der irrtümlich angenommen hatte oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit hätte rechnen müssen, dass die Tat bereits entdeckt war, obwohl dies nicht zutraf, verliert nicht die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige.
Beispiel
Der Steuerpflichtige A hat bei der UBS Bank in der Schweiz Geld angelegt. Auf Grund umfassender Medienberichterstattung geht A davon aus, dass die dem Finanzamt Wuppertal von einem indiskreten Bankmitarbeiter angebotenen Daten die Daten steuerunehrlicher Kapitalanleger der UBS Bank beinhalten. A geht davon aus, dass seine Steuerhinterziehung bei der Überprüfung der Daten aufgedeckt wurde. Er erstattet Selbstanzeige betreffend der nicht versteuerten Kapitaleinnahmen. Tatsächlich betrafen die Daten die LGT Bank in Liechtenstein.
- Die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige ist nicht nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO gesperrt, weil A irrtümlich angenommen hatte, seine Tat sei entdeckt worden.
5.6.1 Entdeckung der Tat
Die Entdeckung der Tat liegt vor, wenn nach der Kenntnis vom objektiven und subjektiven Tatbestand bei vorläufiger Tatbewertung eine Verurteilung des Betroffenen mehr als wahrscheinlich ist. Es ist damit ein objektiver Moment - die Entdeckung der Tat - und die subjektive positive Kenntnis oder eine dem Täter bekannte hinreichende Wahrscheinlichkeit der Entdeckung erforderlich.
Der Bundesgerichtshof führt zur Tatentdeckung(Fußnote) aus, dass die Tatentdeckung in der Regel bereits dann anzunehmen ist, wenn nach Aufdeckung einer Steuerquelle unter Berücksichtigung vorhandener weiterer Umstände nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung eine Steuerstraftat oder Ordnungswidrigkeit nahe liegt. Stets ist die Tat entdeckt, wenn der Abgleich mit den Steuererklärungen des Steuerpflichtigen ergibt, dass die Steuerquelle nicht oder unvollständig angegeben wurde.
Beispiel
Die Ermittlungsbehörden haben am 28.4.2005 in dem gegen den Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 in der Wohnung des Angeklagten und der Kanzlei seines Steuerberaters Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt. Im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahmen ergaben sich Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte nicht nur für die Jahre 2001 und 2002, sondern bereits für die Jahre 1999 und 2000 in seinen Einkommensteuererklärungen steuerpflichtige Einkünfte verschwiegen und hierdurch Einkommensteuer verkürzt hatte.
- Die Steuerhinterziehung war zu dem Zeitpunkt entdeckt, als den Beamten der Steuerfahndung im Rahmen der Durchsuchung bekannt wurde, dass der Angeklagte bereits für die Zeit vor dem 1.1.2003 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war. Der Angeklagte kann keine strafbefreiende Selbstanzeige mehr abgeben.
Beispiel
Ein Zollbeamter Z des Zollamts Bietingen kontrolliert zwei Reisende, die aus der Schweiz nach Deutschland einreisen, sowie deren Pkw. Trotz eingehender Befragung meldeten weder der Fahrer, Kaufmann K aus Deutschland, noch sein Sohn Barmittel über 10 000 Euro bzw. mitgebrachte Waren an. Bei der anschließenden Durchsicht des Pkws findet Z Kontoauszüge einer Schweizer Bank. Z fertigt Kopien von den Unterlagen und reicht die Kontoauszüge im Original an K zurück.
- K kann noch eine wirksame Selbstanzeige abgeben. Wegen der sachlich beschränkten Zuständigkeit von Z (Nach § 12a Abs. 5 S. 3 ZollVG ist der Zollbeamte nur verpflichtet, die Daten an die Strafverfolgungsbehörden und an die zuständige OFD als Bundesbehörde zu übermitteln. Das heißt aber nicht, dass die Tat damit entdeckt ist.) greift die Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO nicht ein. Die Tat ist auch nicht entdeckt, solange das zuständige Finanzamt die Kontoauszüge nicht ausgewertet hat. Die Selbstanzeige ist in Folge der Bargeldkontrolle nicht nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO gesperrt.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die strafbefreiende Selbstanzeige“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Jens Bierstedt LL.M., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2.

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Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
Stand: Januar 2016