Die strafbefreiende Selbstanzeige – Teil 11 – Sperrwirkung durch Erscheinen eines Amtsträgers zur Prüfung oder Ermittlung (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c und Nr. 1d AO)
Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
5.4 Sperrwirkung durch Erscheinen eines Amtsträgers zur Prüfung oder Ermittlung (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c und Nr. 1d AO)
Die Straffreiheit ist nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO ausgeschlossen, wenn vor Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung der falsch bzw. unvollständig getätigten Angaben, ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung erschienen ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung. Nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1d AO ist die Straffreiheit ausgeschlossen, soweit vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung der falsch bzw. unvollständig getätigten Angaben, ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist.
Mit der Regelung beschränkt der Gesetzgeber den Umfang der Sperrwirkung auf das Erscheinen eines Amtsträgers zur steuerlichen Prüfung auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung. Zusammen mit § 371 Abs. 2 S. 2 AO stellt der Gesetzgeber klar, dass eine strafbefreiende Selbstanzeige für Zeiträume, die nicht von der Außenprüfung umfasst sind, grundsätzlich möglich ist.
5.4.1 Amtsträger der Finanzbehörde
Die Legaldefinition für den Begriff des Amtsträgers befindet sich in § 7 AO und die der Finanzbehörde in § 6 AO.
Amtsträger sind nach § 6 Abs. 2 AO
- alle Beamten und Angestellten
- eines örtlichen Finanzamtes, einer Oberfinanzdirektion, des Bundeszentralamts für Steuern, Betriebsprüfer sowie Steuer- und Zollfahndungsbeamte
- soweit sie zur steuerlichen Prüfung oder zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit erscheinen.
Amtsträger können auch Verwaltungsangehörige der Finanzämter sein, wie z.B. Veranlagungssachbearbeiter oder Prüfer usw. Allerdings sind Amtsträger von anderen Verwaltungsbehörden keine Amtsträger im Sinne von § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c und Nr. 1d AO.
5.4.2 Erscheinen des Amtsträgers
Ein Amtsträger ist zur
- steuerlichen Prüfung
- Ermittlung einer Steuerstraftat
- einer Steuerordnungswidrigkeit
erschienen, soweit er am Ort der beabsichtigten Prüfung eingetroffen ist. Das Erscheinen des Prüfers am Ort der beabsichtigten Prüfung ist nicht zwingendermaßen mit dem Beginn der Prüfung gleichzusetzen, denn die Prüfung beginnt mit den ersten konkreten Ermittlungen. Daher ist für das Erscheinen ein physisches Erscheinen des Prüfers am Ort der beabsichtigten Prüfung erforderlich. Eine bloße Vorbereitung, wie Absprachen über den Besuch des Prüfers oder ein kurzfristiger Besuch außerhalb der Betriebszeiten, reicht indes noch nicht für ein Erscheinen aus. Der Steuerpflichtige ist berechtigt, dem Betriebsprüfer den Zutritt zu verwehren, erscheint dieser außerhalb der üblichen Geschäftszeiten, z.B. an Sonn- oder gesetzlichen Feiertagen. In einem solchen Fall kann der Prüfer nicht ernsthaft erwarten, dass er mit der Prüfung beginnen kann. Ist der Prüfer einmal erschienen, bleibt das Tatbestandsmerkmal des „Erscheinens“ bestehen, wenn der Prüfer die Prüfung unterbricht und sich wieder entfernt, etwa weil der Steuerpflichtige die geforderten Unterlagen nicht sofort vorlegen kann oder die Buchhaltung unzumutbar ist.
Beispiel
Der Prüfer P ist auf dem Parkplatz der A-GmbH vorgefahren. Er begibt sich zum Eingang des Betriebsgebäudes. Der Betriebsinhaber A kommt ihm entgegen, als er noch einige Meter von dem Eingang entfernt war. Nach der Vorstellung erklärt P, dass er mit der Prüfung beginnen wolle. Noch auf dem Parkplatz offenbart A seine Steuerhinterziehung gegenüber P.
- Für das „Erscheinen“ reicht es aus, wenn der Prüfer zumindest in das Blickfeld des Steuerpflichtigen getreten ist. Dass der Prüfer die Geschäfts- oder Wohnräume bereits betreten hat, ist nicht erforderlich. Die Selbstanzeige kann somit keine strafbefreiende Wirkung haben.
Beispiel
Der Prüfer P hat sich bei dem Steuerpflichtigen A zur Prüfung angekündigt. P nähert sich dem Wohnhaus des A, macht aber vor dem Betreten des Wohnhauses kehrt, um im Finanzamt die erforderlichen Unterlagen für die Prüfung, die er vergessen hatte, zu holen. A beobachtet P, wie dieser wieder zu seinem Auto zurückgeht.
- Die Selbstanzeige ist noch nicht gesperrt. A kann noch vor der Wiederkehr des P wirksam eine strafbefreiende Selbstanzeige erstatten.
5.4.2.1 Ort des Erscheinen des Amtsträgers
Der Ort des Erscheinens ist durch den Gesetzgeber nicht ausdrücklich kodifiziert worden. Vielmehr soll es im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde liegen, wo die Prüfung stattzufinden hat. Allerdings sind nach den § 200 Abs. 2 und 3 AO sowie § 6 BpO (der nur eingeschränkt die Möglichkeit zur Vereinbarung des Prüfungsortes zulässt) in der Regel die Geschäfts- oder Wohnräume des Steuerpflichtigem zu nutzen.
5.4.2.2 Zweck des Erscheinen des Amtsträgers
Der Zweck des Erscheinens des Amtsträgers muss in der Prüfungsabsicht bestehen d.h. er muss mit dem ernsthaften Willen erscheinen, eine Prüfung oder Ermittlung im Sinne der beiden Vorschriften durchführen zu wollen.
5.4.3 Umfang der Sperrwirkung
Der Umfang der Sperrwirkung richtet sowohl nach personellen als auch sachlichen Tatsachen.
5.4.3.1 Persönlicher Umfang
Der persönliche Umfang ist sowohl für die Sperrwirkung nach § 371 Abs.2 S. 1 Nr. 1c AO als auch für den Sperrgrund § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1d AO nicht genau zu bestimmen. Der Gesetzgeber lässt offen, wer als Adressat des Erscheinens anzusehen ist; denn die beiden Vorschriften sagen nichts darüber aus, in Bezug auf welche Person das Erscheinen zur steuerlichen Prüfung oder zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit die Sperrwirkung auslöst.
Nach bisher herrschender Meinung betrifft die Sperrwirkung bei mehreren Tatbeteiligten nur den Täter oder Teilnehmer, bei dem der Amtsträger zur Steuerlichen Prüfung (§ 371 Abs.2 S. 1 Nr. 1c AO) erschienen ist. Begründet wird dies damit, dass eine steuerliche Prüfung ein konkretes Besteuerungsverfahren voraussetzt, dass durch die Person des Beteiligten (§ 78 AO) bestimmt ist. Deshalb kann sich die Sperrwirkung nur gegen die Beteiligten richten, in deren Besteuerungsverfahren die Ermittlungen geführt werden.
Für den Fall, dass ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1d AO), sind die gleichen Grundsätze wie bei der steuerlichen Prüfung anzuwenden, sodass sich der persönliche Umfang der Sperrwirkung auf den Täter oder Teilnehmer bezieht.
Beispiel
A war in den Jahren 2005 und 2006 Geschäftsführer der A & B GmbH in Düsseldorf. Daneben betätigte er sich als Handelsvertreter der A & B GmbH und erzielte in dieser Eigenschaft im gleichen Zeitraum Umsätze in einer Gesamthöhe von 119 000 Euro. Im Jahre 2006 beantragte er als Geschäftsführer der GmbH zur Feststellung der Erstattungsfähigkeit von Vorsteuern aus Auslandsgeschäften eine Betriebsprüfung. Dem bei der GmbH erschienenen Betriebsprüfer legte er die Betriebsbücher vor. Aus diesen ergaben sich auch die Umsätze als Handelsvertreter. Daraufhin wurde bei A eine Sonderprüfung veranlasst.
- In Bezug auf den persönlichen Umfang der Sperrwirkung ist festzustellen, dass das Erscheinen des Prüfers bei der A & B GmbH die Selbstanzeige des A in seiner eigenen Steuerangelegenheit nicht ausschließt. Eine Selbstanzeige ist noch möglich, solange die persönliche Sonderprüfung noch nicht begonnen hat d.h. die Prüfung bei der GmbH beeinflusst nicht die Selbstanzeigemöglichkeit bei A. Daher kann er eine Selbstanzeige in eigener Sache vornehmen.
5.4.3.2 Sachlicher Umfang
Der sachliche Umfang der Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO bestimmt sich ebenso wie beim Sperrgrund der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung nach dem Inhalt der Prüfungsanordnung d.h. für nicht von der Prüfungsanordnung erfasste Zeiträume und Steuerarten ist eine wirksame strafbefreiende Selbstanzeige noch möglich.
Bei der Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1d AO bestimmt sich der sachliche Umfang wie bei der Sperrwirkung der Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO) d.h. das nicht nur solche Taten, die vom Ermittlungswillen des erschienenen Amtsträger betroffen sind, sondern auch auf solche Taten, die mit dem bisherigen Ermittlungsgegenstand in sachlichem Zusammenhang stehen, vom Sperrgrund erfasst sind.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die strafbefreiende Selbstanzeige“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Jens Bierstedt LL.M., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2.

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Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
Stand: Januar 2016