Die strafbefreiende Selbstanzeige – Teil 10 – Sperrwirkung durch Bekanntgabe der Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO)
Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
5.3 Sperrwirkung durch Bekanntgabe der Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO)
Nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO tritt Straffreiheit durch eine Selbstanzeige nicht ein, wenn vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung im Sinne des § 371 Abs. 1 AO „dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist“. Die Straffreiheit ist also nicht schon mit der Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens ausgeschlossen, sondern erst mit der Bekanntgabe der Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens.
5.3.1 Verfahrenseinleitung
Bei der Einleitung des Verfahrens muss zwischen der Einleitung eines Strafverfahrens und der Einleitung eines Bußgeldverfahrens unterschieden werden.
5.3.1.1 Einleitung eines Strafverfahrens
Das Strafverfahren ist nach § 397 Abs. 1 AO eingeleitet, sobald
- die Finanzbehörde (§ 399 AO i.V.m. § 152 Abs. 2 StPO oder § 402 AO i.V.m. § 163 Abs. 1 StPO), die Polizei (§ 163 Abs. 1 StPO)
- die Staatsanwaltschaft (§ 152 Abs. 2 StPO)e
- ine ihrer Ermittlungspersonen oder
- der Strafrichter
eine Maßnahme trifft, die objektiv erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Straftat strafrechtlich vorzugehen.
Finanzbehörde ist nach § 386 Abs. 1 S. 2 AO
- das Hauptzollamt
- das Finanzamt
- das Bundeszentralamt für Steuern und
- die Familienkasse.
Als Maßnahmen, die die Einleitung des Steuerstrafverfahrens begründen und dadurch die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO auslösen, kommen unter anderem in Betracht:
- Durchsuchungen (§§ 102 ff. StPO)
- Beschlagnahmen (§§ 94 ff. StPO)
- vorläufige Festnahme (§ 127 StPO)
- Verhaftung (§ 112 StPO)
- Vernehmungen (§ 136 Abs. 1 StPO) oder
- Untersuchung eines Verdächtigten (§ 81a StPO).
Hingegen begründen u.a. folgende Maßnahmen noch keine Einleitung:
- Notveräußerung (§ 111 I Abs. 1 StPO)
- interne Anforderung der Aktenbloße Büroverfügungen
- Erstellung einer Kontrollmitteilung nach § 194 Abs. 3 AO
- Scheinmaßnahmen zur Abwendung der Verjährung
- Anhalten einer Person zu Kontrollzwecken (§ 10 ZollVG).
5.3.1.2 Einleitung eines Bußgeldverfahrens
Für das Bußgeldverfahren gelten außer den verfahrensrechtlichen Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) die Regelungen über die Einleitung des Strafverfahrens entsprechend. Bei Steuerordnungswidrigkeiten bestimmt sich die zuständige Verwaltungsbehörde nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG. Dies ist nach § 409 S. 1 AO die nach § 387 Abs. 1 AO sachlich zuständige Finanzbehörde.
Beispiel
Gegen den Steuerpflichtigen A wird ein Bußgeldverfahren wegen leichtfertiger Steuerverkürzung nach § 378 AO eingeleitet. Bei seiner Vernehmung räumt A ein, die fraglichen Steuern vorsätzlich hinterzogen zu haben.
- Die geständige Einlassung des A bei der Vernehmung wirkt nicht strafbefreiend. Die geständige Einlassung ist in Folge des Ausschlusstatbestandes des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO verfristet.
5.3.2 Bekanntgabe der Einleitung
Die strafbefreiende Selbstanzeige ist, wie bereits schon erwähnt, nicht mit der Einleitung eines Verfahrens gesperrt, sondern erst dann, wenn dem Beschuldigten oder seinem Vertreter die Einleitung bekanntgegeben worden ist.
Die Bekanntgabe einer Einleitung ist, anders als die Prüfungsanordnung nach § 196 AO, nicht an eine Form gebunden und kann
- schriftlich (Bspw. mittels Postzustellungsurkunde)
- mündlich oder
- konkludent (d.h. durch schlüssiges/eindeutigem Verhalten)
erfolgen.
Erforderlich ist eine
- amtliche
- wissentlichen und
- willentliche
Mitteilung der Finanzbehörde oder Strafverfolgungsorgane an den Täter oder seinen Vertreter, dass gegen ihn strafrechtliche bzw. bußgeldrechtliche Ermittlungen durchgeführt werden. Mitteilungen von privater Seite oder Indiskretionen aus der Finanzverwaltung sind keine Bekanntgabe i.S.v. § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO.
An den Inhalt der Bekanntgabe sind Mindestanforderungen gestellt, damit für den Beteiligten der Tatvorwurf und damit die Reichweite der Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO erkennbar wird. Hierzu müssen folgende Angaben enthalten sein:
- die Bezeichnung des Täters
- die Bezeichnung des konkreten Tatvorwurfs
- unter Angabe der betroffenen Steuerarten und
- der Besteuerungszeiträume.
Beispiel
Die Steuerfahndung des Finanzamts Landshut hat gegen den Steuerpflichtigen A per Aktenvermerk ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer auf Grund nicht erklärter Zinseinnahmen eingeleitet. Die Einleitung wurde dem A aber noch nicht mitgeteilt. A erlangt in Folge einer Indiskretion aus der Finanzverwaltung davon Kenntnis. A zeigt sich selbst an.
- Seine Selbstanzeige ist nicht nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO ausgeschlossen, weil das Strafverfahren ihm gegenüber noch nicht offiziell bekanntgegeben wurde. Die Mitteilung eines Finanzbeamten "unter der Hand" ist keine offizielle Bekanntgabe.
Beispiel
Der Steuerpflichtige A betreibt einen Handel mit Kraft- und Schmierstoffen in der Form eines Einzelunternehmens. Er gibt im Jahr 2008 regelmäßig unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen ab und hinterzieht auf diese Weise Umsatzsteuer. Im Jahre 2009 gibt er für das Jahr 2008 eine Umsatzsteuerjahreserklärung ab, in der er alle Angaben korrigiert. Er teilt dem Finanzamt mit, dass diese Erklärung eine strafbefreiende Selbstanzeige darstelle. Die Finanzbehörde wiederum teilt A schriftlich mit, dass es die Umsatzsteuerjahreserklärung als strafbefreiende Selbstanzeige anerkenne und setzt ihm eine Frist zur Nachentrichtung der Umsatzsteuer. Da A die Umsatzsteuer nicht in voller Höhe nachzahlen kann, kommt es zum Strafverfahren. Die Finanzbehörde vertritt im Strafverfahren die Ansicht, dass die Überprüfung der Selbstanzeige als Einleitung des Strafverfahrens zu gelten habe.
- Weder die nach außen erkennbare Überprüfung einer Selbstanzeige noch die nachträgliche Festsetzung der Steuern und die Fristsetzung nach § 371 Abs. 3 AO sind eindeutige Amtshandlungen, die den A erkennen lassen, dass gegen ihn ein Strafverfahren anhängig ist. Eine Überprüfung der Selbstanzeige sowie eine Steuerfestsetzung kann nicht als Einleitung eines Strafverfahrens gedeutet werden. Dafür müsste eine Maßnahme getroffen werden, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen bspw. die Festnahme und Verhaftung des A.
- Allerdings ist nach heutigem Rechtsstand die Selbstanzeige unwirksam, da die Straffreiheit auch von der Zahlung der hinterzogenen Steuern abhängt.
5.3.3 Umfang der Sperrwirkung
So wie beim Umfang der Sperrwirkung bei der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung nach § 371Abs. 2 Nr. 1a AO gilt auch für den Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO, dass es sowohl einen persönlichen als auch einen sachlichen Umfang gibt.
5.3.3.1 Persönlicher Umfang
Der persönliche Umfang der Sperrwirkung erstreckt sich auf diejenigen Personen, denen die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens mitgeteilt worden ist. Dem Wortlaut des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO ist zu entnehmen, dass als Adressat der Mitteilung die an der Tat Beteiligten oder ihre Vertreter in Betracht kommen. Der Gesetzgeber hat mit dem Änderungsgesetz der AO und EGAO vom 22.12.2014 den bisherigen Begriff des „Täter“ durch den Begriff des „an der Tat Beteiligten“ ersetzt d.h. auf die Teilnehmer (Anstifter (§ 26 StGB) und Gehilfen (§ 27 StGB)) erweitert. Der Begriff des „an der Tat Beteiligten“ in § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO ist ebenso auszulegen wie der in § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a AO.
Beispiel
Die Steuerfahndung ermittelt bei dem Steuerberater A wegen mittäterschaftlicher Hinterziehung von Einkommensteuer des Steuerpflichtigen B in Folge nicht gebuchter Betriebseinnahmen. A wird ein Durchsuchungsbeschluss bekanntgegeben. Als Grund wird mittäterschaftliche Hinterziehung von Einkommensteuer angegeben. Die Durchsuchungsergebnisse ergeben jedoch eine mittelbare Täterschaft des A. A zeigt sich selbst an.
- A kann nach Bekanntgabe des Durchsuchungsbeschlusses, der sich auf die mittäterschaftlicher Begehung stützt, nicht mehr mit strafbefreiender Wirkung eine Selbstanzeige bzgl. seiner mittelbaren Täterschaft erstatten. Es spielt keine Rolle welche Beteiligungsform dem A nach der Durchsuchung vorgeworfen wird, da der Sperrgrund auch den Gehilfen trifft.
5.3.3.2 Sachlicher Umfang
Eine Beschränkung auf einen sachlichen und zeitlichen Umfang ist in § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO nicht vorgesehen. Das bedeutet, dass die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens nicht nur „diese“ Steuerarten und Zeiträume sperrt, sondern der Steuerpflichtige überhaupt keine Möglichkeit mehr hat, eine Selbstanzeige für andere Zeiträume und Steuerarten abzugeben.
Die Tat muss sachlich so genau bezeichnet werden, wie dies nach dem Stand der Kenntnisse der Behörde möglich ist. Dies erfolgt vor allem durch die Angabe der dem Täter zur Last gelegten Handlungsweise, sowie durch einen Hinweis auf die dadurch verkürzten Steuerarten. Eine zeitliche Abgrenzung ist sinnvoll, aber nicht unbedingt erforderlich. Im Gegensatz zur Betriebsprüfung beziehen sich die im Strafverfahren zu treffenden Maßnahmen weniger auf einen bestimmten Zeitraum, als auf einen bestimmten Sachverhalt.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die strafbefreiende Selbstanzeige“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Jens Bierstedt LL.M., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2.

Weiterlesen:
zum vorhergehenden Teil des Buches
zum folgenden Teil des Buches
Links zu allen Beiträgen der Serie Buch - Strafbefreiende Selbstanzeige
Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
Stand: Januar 2016