Kommunalabgabenrecht – Teil 03 – Das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG

2. Das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG

Aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG resultiert für den Staat die Pflicht, eine gerechte Sozialordnung zu schaffen. Dies erfährt im Abgabenrecht darin seine Ausprägung, dass der Staat die individuelle Leistungsfähigkeit des Schuldners (also des Bürgers oder des Unternehmens, der/das die Abgabe zu zahlen hat) zu berücksichtigen hat.[1] Gleichwohl kommt der Kommune dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu, sodass es bereits genügt, wenn die Möglichkeit einer Verrentung der Beitragsschuld besteht oder eine Härtefallregelung geschaffen wird. Eine mögliche soziale Staffelung nach dem individuellen Einkommen des Abgabenschuldners ist mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG (jeder zahlt für die gleiche Leistung den gleichen Beitrag) und das Äquivalenz- und Vorteilsprinzip (dazu 3.3.6.2) ebenfalls möglich. Äußerste Grenze bleibt generell bei jeder Abgabenerhebung das auch aus der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG folgende Recht auf ein abgabenfreies Existenzminimum. Dies korreliert freilich mit der Pflicht zur Schaffung von Härtefallregelungen, die auch eine komplette Abgabenfreiheit im Einzelfall vorsehen können. Somit ist die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG erheblich, denn es schützt den Bürger, genauso wie die Grundrechte (2.2.4) vor einer willkürlichen und unangemessenen Überbeanspruchung.

3. Die Bedeutung der Grundrechte

Das Kommunalabgabenrecht als Materie des Eingriffsverwaltungsrechts ist maßgeblich geprägt durch die Grundrechte. Die Grundrechte verpflichten die Kommunen in besonderer Weise gegenüber dem Bürger, der dadurch auch entsprechende Abwehrmöglichkeiten gegen Kommunalabgaben erhält. Betroffen sind dabei insbesondere folende Grundrechte : das Eigentum (Art. 14 GG), die Berufsfreiheit (Art. 12 GG), das Recht auf ein wirtschaftliches Existenzminimum (Art. 2 GG i.V.m. Art. 1 GG) sowie der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

3.1 Eigentum (Art. 14 GG)

Bei jeder Kommunalabgabe wird das Vermögen des Abgabenschuldners geschmälert. Damit ist das Recht auf Eigentum aus Art. 14 GG betroffen, welches als ökonomischen Aspekt der Freiheit der Person grundsätzlich auch vor einem Abgabenzugriff schützt.[2]

3.2 Berufsfreiheit (Art. 12 GG)

Vor allem bei Lenkungsabgaben können sich auch mittelbare Auswirkungen auf die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG ergeben, die die Ausübung des Berufes erschweren.

3.3 Recht auf ein wirtschaftliches Existenzminimum (Art. 2 i.V.m. Art. 1 GG)

Das Recht auf ein wirtschaftliches Existenzminimum aus Art. 2 i.V.m. Art. 1 GG garantiert, dass die zum Leben zwingend erforderlichen Geldmittel von jeglicher Abgabenbelastung befreit sind. Insbesondere sind dadurch auch Abgaben unzulässig, die eine erdrosselnde Wirkung haben und dem Abgabenschuldner eine angemessene Lebensführung außerhalb des Existenzminimums nicht mehr ermöglichen. Das Grundrecht auf ein wirtschaftliches Existenzminimum aus Art. 2 i.V.m. Art. 1 GG korrespondiert damit mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG.

3.4 Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG)

Zu beachten ist ferner der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich". Bezogen auf das Kommunalabgabenrecht bedeutet dies, dass jede finanzielle Belastung des Bürgers besonderer Rechtfertigung bedarf, da sie immer die Gefahr von Ungleichbehandlungen birgt. Art. 3 Abs. 1 GG gilt dabei sowohl bzgl. des Grundes der Abgabenschuld als auch bzgl. deren Höhe. Damit einher geht insbesondere ein abgabenrechtliches Willkürverbot der Kommune, sodass die jeweilige Kommune entsprechende Begründungs- und Darlegungspflichten hat, sobald sie sich dafür entscheidet, eine Kommunalangabe zu erheben.

Beispiel[3]
Die Kommune A erhebt für ihre Kindertagesstätten und Kindergärten eine monatliche Gebühr. Diese bemisst sich individuell nach dem Familieneinkommen und beträgt zwischen 50,00 € (Mindestbeitrag) und 150,00 € (Höchstbeitrag).

Das Beispiel lässt auf den ersten Blick vermuten, dass ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt, da Familien unterschiedlich stark belastet werden. Hierzu ist jedoch zu sagen, dass nicht jede Ungleichbehandlung unzulässig ist, sondern durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden kann. Eine soziale Staffelung nach Einkommen, Kinderzahl und/oder Familiengröße ist damit durchaus zulässig und verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz. So kann es vielmehr geboten sein, die limitierten finanziellen Möglichkeiten oder die besonderen Verhältnisse einer Familie zu berücksichtigen, um auch dieser Familie die Wahrnehmung eines öffentlichen Angebots zu ermöglichen. Einzige Grenze der Sozialstaffelung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, nach dem sowohl die individuelle Beitragsbemessung nicht übertrieben niedrig oder hoch als auch das Verhältnis von Mindest- und Höchstbeitrag nicht völlig auseinanderfallen dürfen (sog. Äquivalenzprinzip, dazu 3.3.6.2).


[1] Fußnote

[2] Fußnote

[3] Fußnote

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kommunalabgabenrecht“ von Olaf Bühler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, und Patrick Christian Otto, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-62-5.


 

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Stand: Januar 2017


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Gericht / Az.: OVG Bremen vom 16.06.1987 – 1 BA 78/86. BVerfG vom 31.03.1998 – 2 BvR 1877/97 und 2 BvR 50/98. BVerfG vom 10.03.1998 – 1 BvR 178/97.
Normen: Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 28 Abs. 1 GG, Art. 14 GG, Art. 12 GG, Art. 3 Abs. 1 GG

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