Erwerbsminderungsrente und Berufsunfähigkeitsrente - Teil 03 – besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen
Autor(-en):
Anna Martyna Werchracki
wissenschaftliche Mitarbeiterin
1.3 Besondere versicherungsrechtliche Voraussetzungen
Bei den Renten wegen Erwerbsminderung handelt es sich um Lohnersatzleistungen. Sie sind bestimmt für Betroffene, die aus gesundheitlichen Gründen aus dem Berufsleben herausgerissen werden. Um einen Anspruch auf eine EM-Rente zu haben, muss also eine gewisse zeitliche Nähe zwischen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung und dem Ereignis bestehen, dass den Betroffenen erwerbsunfähig werden lässt. Personen, bei denen diese zeitliche Nähe nicht gegeben ist, haben lediglich Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Erwerbsgeminderte.
Um sicherzugehen, dass nur diejenigen Versicherten EM-Renten erhalten, für die diese Leistung auch wirklich gedacht ist, verlangt der § 43 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 SGB VI die Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Konkret bedeutet das, dass eine EM-Rente nur beantragen kann, wer in den letzen fünf Jahren vor dem Eintritt der Erwerbsminderung mindestens 36 Monate Pflichtbeiträge an die Sozialversicherungen abgeführt hat. Diese 36 Monate müssen bereits erfüllt sein, wenn die Erwerbsminderung eintritt. Der Zeitpunkt der Antragstellung spielt dafür also keine Rolle.
Als Beleg für die Abführung der Pflichtbeiträge reicht es, wenn mindestens ein Tag im Monat mit einem Pflichtbeitrag belegt werden kann. Ausnahmen von dieser Regel gelten für behinderte Menschen sowie ältere Versicherte und werden in den nachfolgenden Kapiteln behandelt.
Als Pflichtbeiträge gelten neben Pflichtbeiträgen von Beschäftigten und Selbstständigen auch:
- Kindererziehungszeiten
- Wehr-oder Zivildienstpflichtzeiten
- Sozialleistungsbezug wie Krankengeld, Unterhaltsgeld, Übergangsgeld, Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld II, wenn im Jahr vor dem Bezug der Leistung mindestens einen Monat lang eine versicherungspflichtige Beschäftigung bestanden hat.
Beispiel
Der Bankkaufmann B war vom 01.03.2006 bis zum 30.09.2008 in Vollzeit bei der L-Bank beschäftigt. Nach seiner Kündigung bezog er 12 Monate lang ALG II. B erlitt durch die Arbeitslosigkeit eine schwere Depression und wurde zum Januar 2010 erwerbsunfähig. In den letzen fünf Jahren vor der Erwerbsminderung hatte B also lediglich 30 Monate lang Pflichtbeiträge an die Rentenversicherung abgeführt. Da B jedoch in dem Jahr vor dem Bezug seines Arbeitslosengeldes berufstätig und pflichtversichert war, zählen auch die Zeiten des Erhalts von ALG II als Beitragszeiten. B hat somit Anspruch auf eine EM-Rente.
- Bezug von Vorruhestandgeld, wenn dieses wegen eines Tarifvertrages gezahlt wird und unmittelbar vor Beginn des Vorruhestandgeldes noch Versicherungspflicht bestand.
- Ab dem 01.04.1995 Zeiten der nicht gewerblichen häuslichen Pflege
- Pflichtbeiträge, die im europäischen Ausland an eine Rentenversicherung erbracht wurden in Ländern, in denen die EG-Verordnung 883/04 gilt
- Pflichtbeiträge von Entwicklungshelfern
- Freiwillige Beiträge von geringfügig Versicherten, die auf ihre Versicherungsfreiheit bei der Deutschen Rentenversicherung verzichtet haben
- Zeiten einer unschuldig erlittenen Strafverfolgung, wenn die Berufstätigkeit dadurch unterbrochen werden musste und die Beiträge später nachgezahlt worden sind. Zeiten der Strafhaft können jedoch nicht als Pflichtbeitragszeit angerechnet werden.
Diese Aufzählungen sind nicht abschließend. Sie sollen lediglich aufzeigen, dass verschiedene Möglichkeiten bestehen, um Pflichtbeitragszeiten zu erfüllen und somit einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente zu erwerben. Es ist durchaus denkbar, dass auch weitere individuelle Situationen als Pflichtbeitragszeit angesehen werden können.
Scheitert der Antrag auf EM-Rente daran, dass der Versicherte in der Vergangenheit keine ausreichenden Pflichtbeitragszeiten nachweisen kann, empfiehlt es sich, eine professionelle Beratung einzuholen. Unter Umständen können in einer solchen Situation Aufschubzeiten (bspw. wegen Kindererziehung oder einer früheren Erwerbsminderung) nach § 43 Abs. 4 SGB VI geltend gemacht werden. Auch sollte erneut überprüft werden, ob die Erwerbsminderung nicht tatsächlich zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt vorlag. Und auch der sogenannte „sozialrechtliche Herstellungsanspruch“ kann einen Ausweg bieten. Kann der Betroffene nachweisen, dass ein Sozialversicherungsträger ihn falsch oder nicht ausreichend beraten hat und deshalb in der Vergangenheit zu wenige Pflichtbeiträge entrichtet worden sind, besteht die Möglichkeit, dass diese aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs rückwirkend nachgezahlt werden können.
Beispiel
Die, bereits seit langer Zeit arbeitslose L hat nach einem Bandscheibenvorfall bereits viele Jahre Probleme mit ihrer Wirbelsäule. Die für sie zuständige Agentur für Arbeit schafft es dennoch, sie in einen Mini-Job als Kassiererin zu vermitteln. L fragt bei der Agentur an, ob sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme etwas zu beachten habe, erhält jedoch keine Antwort. Zum 01.02.2005 tritt L ihre Stelle als Kassiererin an. Freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung möchte sie wegen ihres geringen Einkommens nicht leisten. Am 20.05.2009 passiert es dann: Als L eine überraschend schwere Kiste mit Tüten zum Einräumen hebt, erleidet sie einen erneuten Bandscheibenvorfall. Die Schäden sind irreparabel und L wird erwerbsunfähig. Ein Antrag auf EM-Rente scheitert jedoch, da L in den letzen 5 Jahren keine Pflichtbeiträge entrichtet hat. L erinnert sich aber daran, dass sie die Agentur für Arbeit ausdrücklich angefragt hatte, ob es aufgrund ihrer Rückenprobleme bei der Beschäftigung etwas zu beachten gebe. L wendet sich deswegen an Anwalt A. Dieser erklärt der L, dass Sozialversicherungsträger nach § 14 SGB I verpflichtet sind ihre Versicherten auf „alle naheliegenden Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen“. Die Agentur für Arbeit wäre also verpflichtet gewesen L darüber zu informieren, dass sie freiwillig Beiträge abführen kann, um ihren Rentenversicherungsschutz aufrecht zu erhalten. Dieser Pflicht ist die Agentur aber nicht nachgekommen. A macht für die L vor Gericht deswegen den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geltend. L kann daraufhin ihre Beiträge nachzahlen und erwirbt daher einen Anspruch auf EM-Rente.
Im Übrigen wird in der jährlichen Renteninformation wird ausgeführt, ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine EM-Rente bereits erfüllt sind.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch "Renten wegen Erwerbsminderung und Berufsunfähigkeit" von Olaf Bühler, Rechtsanwalt und Anna Martyna Werchracki, Wirtschaftsjuristin LL.B., 1. Auflage 2014, erschienen 2014 im Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-31-1.
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Autor(-en):
Anna Martyna Werchracki
wissenschaftliche Mitarbeiterin
Stand: Januar 2014
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