Die Gesellschafterversammlung: Ein Leitfaden – Teil 07 – Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung

4.2.4 Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits

Ein Gesellschafter ist an der Abstimmung gehindert, wenn ein Antrag zur Abstimmung steht, mit dem ihm gegenüber ein Rechtsstreit eingeleitet oder für erledigt erklärt werden soll, § 47 Abs. 4 S. 2 Var. 2 und 3 GmbHG.[1]

Beispiel

Zwischen der X GmbH und dem Gesellschafter A besteht Streit über Schadensersatzansprüche aus einem Kaufvertrag. Die Geschäftsführung der X GmbH beabsichtigt, die Fragen gerichtlich klären zu lassen und legt dies der Gesellschafterversammlung zur Entscheidung vor.

  • Das Stimmrecht des A ist ausgeschlossen.

4.2.5 Wichtiger Grund für die Beschlussfassung

Ein Stimmrechtsausschluss ist auch dann gegeben, wenn ein Gesellschafter direkt in belastender Weise betroffen ist, etwa wenn

  • er als Geschäftsführer aus wichtigem Grunde abberufen
  • Ansprüche gegen ihn geltend gemacht oder
  • ein Fehlverhalten sanktioniert werden soll.[2]

Beispiel

Gesellschafter-Geschäftsführer G hat in die Kasse gegriffen. Er soll daher aus wichtigem Grunde von seiner Funktion abberufen werden.

  • Das Stimmrecht des A ist ausgeschlossen.

4.2.6 Anwendungsgrenzen des § 47 Abs. 4 GmbHG

Die Anwendbarkeit des § 47 Abs. 4 GmbHG und damit der Stimmrechtsausschluss kann eingeschränkt sein.

4.2.6.1 Sozialakte

Eine Einschränkung erfährt der Stimmrechtsausschluss zum Beispiel bei sog. "Sozialakten". Danach unterliegt ein Gesellschafter dann keinem Stimmrechtsausschluss, wenn über die innere Organisation der Gesellschaft entschieden wird[3], wie z.B.

  • Bestellung und Abberufung eines Gesellschafters zum Geschäftsführer oder Aufsichtsratsmitglied,
  • Entscheidung über den Anstellungsvertrag mit einem Gesellschafter-Geschäftsführer,
  • Einforderung von Stammeinlagen,
  • Auflösungsbeschlüsse,
  • Satzungsänderungen sowie
  • Teilung von Geschäftsanteilen oder Beherrschungsverträge.

Beispiel

Gesellschafter A soll zum Geschäftsführer der X GmbH bestellt werden.

  • Als Frage der inneren Organisation der Gesellschaft ist A nicht von der Beschlussfassung ausgeschlossen und kann für seine Bestellung zum Geschäftsführer stimmen.

Die Satzung kann jedoch auch in diesen Fällen ein Stimmverbot aussprechen.[4] Im Zweifel sollte ein Beschluss ohne einen möglicherweise betroffenen Gesellschafter getroffen werden, um im Sinne der Rechtssicherheit Beschlussmängel, die eine Anfechtbarkeit nach sich ziehen, zu vermeiden. Für den Fall eines späteren Rechtsstreits ist eine Protokollierung ratsam, die den Verlauf der Beschlussfassung ebenso festhält wie mögliche Befangenheitsgründe.[5]

Beispiel

Der Gesellschaftsvertrag sieht jedoch vor, dass ein Gesellschafter zwar über seine Bestellung, nicht jedoch über die Modalitäten seines Anstellungsvertrages abstimmen darf.

  • In diesem Fall ist A zwar befugt, für seine Bestellung zum Geschäftsführer zu stimmen, nicht jedoch für seinen Anstellungsvertrag.

4.2.6.2 Weitere Einzelfälle

Die Regelungen des § 47 Abs. 4 GmbHG über Stimmrechtsausschlüsse finden bei einer GmbH, die nur einen Gesellschafter hat, keine Anwendung. In derart gelagerten Fällen sind Interessenkonflikte schon begrifflich ausgeschlossen. Die Vorschrift dient ausschließlich dem Schutz der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter, bezweckt jedoch in keinem Fall den Schutz von Gläubigern oder der Allgemeinheit.[6]

In Gesamthands- und Bruchteilsgemeinschaften (zum Beispiel Erbengemeinschaft) führt die Befangenheit eines Beteiligten nicht zum Stimmrechtsausschluss aller Mitglieder dieser Gemeinschaft. Das Stimmrecht muss jedoch von einem anderen Mitglied wahrgenommen werden.[7]

Beispiel

Eine Erbengemeinschaft besteht aus A und B, Kindern des verstorbenen C, der Anteile an der X GmbH hielt. In Bezug auf einen Beschlussgegenstand ist A befangen.

  • Die Erbengemeinschaft kann sich für den fraglichen Beschlussgegenstand in der Gesellschafterversammlung nur durch B vertreten lassen.

4.2.7 Abdingbarkeit des § 47 Abs. 4 GmbHG

Die Stimmrechtsausschlüsse des § 47 Abs. 4 GmbHG sind grundsätzlich dispositiv und können im Gesellschaftsvertrag eingeschränkt, modifiziert und erweitert werden. Eine weitere Einschränkung des Stimmrechts kann wegen seiner überragenden Bedeutung jedoch nur so weit vorgenommen werden, wie der Kern mitgliedschaftlicher Rechte betroffen ist.[8] Dies stellt eine Abwägung im Einzelfall dar. So wird beispielsweise die Regelung, dass ein Gesellschafter von der Abstimmung ausgeschlossen ist, sobald er von dem Ergebnis einen irgendwie gelagerten Vorteil unmittelbar oder mittelbar erlangt, unwirksam sein.

Stimmverbote, die auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes (etwa bei der Abberufung eines Geschäftsführers), sowie Entscheidungen über die Entlastung oder die Einleitung eines Rechtsstreits abstellen, sind hingegen zwingend und einer Einschränkung nicht zugänglich.[9]

4.2.8 Anwendbarkeit des § 181 BGB

Neben den spezielleren Regelungen des § 47 Abs. 4 GmbHG findet § 181 BGB (Insichgeschäft) Anwendung.[10] Danach ist es einem Vertreter grundsätzlich untersagt zugleich in eigenem und in fremdem Namen oder zugleich zwei oder mehr Gesellschafter zu vertreten.[11] Die Vorschrift kann allerdings ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten abbedungen werden. So spricht beispielweise eine "vollumfängliche Bevollmächtigung in den Angelegenheiten der Gesellschafterversammlung" für eine Befreiung von § 181 BGB.[12]

Formulierungsvorschlag in der Vollmachtsurkunde

"Von den Einschränkungen des § 181 BGB ist sie/er befreit."

Stimmt ein Gesellschafter trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 181 BGB zur Sache ab, zieht dies die Anfechtbarkeit des getroffenen Beschlusses nach sich.[13] Der Vertretene kann den Fehler jedoch durch Genehmigung (§ 177 Abs. 1 BGB analog) heilen.[14]

Beispiel

Gesellschafter-Geschäftsführer A soll von der Geschäftsführung der X GmbH aus wichtigem Grunde abberufen werden. B ist an der Teilnahme an der Gesellschafterversammlung gehindert und bevollmächtigt daher den A, seine Interessen zu vertreten.

  • Eine Stimmabgabe des A für B ist wegen des Verbots des Insichgeschäfts (§ 181 BGB) ausgeschlossen. Stimmt A dennoch im Namen des B zur Sache ab, ist die Beschlussfassung anfechtbar. B kann die Fehlerhaftigkeit jedoch heilen, indem er die konkrete Stimmabgabe durch A genehmigt.

Beispiel

Anders als im obigen Beispiel hat B in die Vollmachtsurkunde den nachfolgenden Passus aufgenommen: "Von den Einschränkungen des § 181 BGB ist A befreit."

  • In diesem Fall ist A zwar weiterhin gehindert in eigenem Namen, jedoch befugt, für B abzustimmen.

4.2.9 Eigene Anteile der GmbH

Die GmbH kann Geschäftsanteile an der eigenen Gesellschaft halten. Wenn dies der Fall ist, ruhen jedoch die sonst damit verbundenen Rechte. Ausgeschlossen ist damit neben der Teilnahme des Geschäftsführers die Ausübung eines Stimmrechts in der Gesellschafterversammlung.[15]

Beispiel

Die X GmbH hält einen Geschäftsanteil an sich selbst.

  • In diesem Fall ist der Geschäftsführer nicht befugt, an der Gesellschafterversammlung teilzunehmen oder zu Beschlussgegenständen abzustimmen.

4.2.10 Anteile eines beherrschten Unternehmens

Eine abhängige Gesellschaft, also eine solche an der die GmbH beteiligt ist, kann Anteile an der herrschenden GmbH halten. In solchen Fällen ruhen die mitgliedschaftlichen Rechte der Anteilseignerin und gewähren kein Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung (§§ 71b, 71d AktG analog).[16]

Beispiel

Die X GmbH hält 50,1 % der Anteile an der F GmbH, die ihrerseits wiederum Anteile an der X GmbH hält.

  • Die F GmbH hat kein Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung der X GmbH.

4.2.11 Rechtsfolge bei Missachtung des Stimmverbots

Eine im Rahmen der Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung trotz eines Stimmverbots abgegebene Stimme, die nicht durch die Versammlungsleitung für ungültig erklärt wurde, ist unwirksam.[17]

Beispiel

Gesellschafter A unterlag einem Stimmverbot. Er hat aber dennoch zur Sache abgestimmt, was zwar von einigen Mitgesellschaftern beanstandet, von der Versammlungsleitung jedoch nicht für ungültig erklärt wurde.

  • Die Stimmabgabe ist dennoch unwirksam.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Gesellschafterversammlung: Ein Leitfaden“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, und Dipl.-Jur. Marc Schieren, M. L. E., mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-50-2.


 

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Stand: Januar 2016


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Rechtsanwalt Harald Brennecke ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Fachanwalt für Insolvenzrecht.

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    Harald Brennecke ist seit 1999 im Bereich der Unternehmenssanierung tätig. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht berät und begleitet er Sanierungen und betreut Geschäftsführer und Gesellschafter bei Firmeninsolvenzen. Er unterstützt Geschäftsführer in der Unternehmenskrise hinsichtlich der für sie bestehenden Haftungsrisiken sowie Gesellschafter im Interesse der Wahrung der Unternehmenswerte. Er unterstützt bei der Suche nach Investoren und Wagniskapitalgebern (venture capital), begleitet Verhandlungen und erstellt Investorenverträge.


Rechtsanwalt Harald Brennecke hat im Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht veröffentlicht:

  • "Das Recht der GmbH", Verlag Mittelstand und Recht, 2015, ISBN 978-3-939384-33-5
  • "Der Gesellschaftsvertrag der GmbH - Die GmbH-Satzung in Theorie und Praxis", 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-40-3
  • "Der Unternehmenskauf -  Rechtliche Risiken bei Kauf und Verkauf mittelständischer Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-18-2
  • "Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-29-8
  • "Gesellschaftsrecht in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-26-7
  • "Die Limited in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-34-2
  • "Der Insolvenzplan – Sanierungsinstrument in der Insolvenz", 2007, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-03-8
  • "Die Regelinsolvenz - Insolvenz für Unternehmer und Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-07-6
  • "Gesellschafterinteressen in der Publikums-KG: Auskunftsrechte der Kommanditisten einer Publikums-KG gegen Treuhänder“, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-28-1
  • "Die Gesellschafterversammlung: Ein Leitfaden", Harald Brennecke und Dipl.-Jur. Marc Schieren, M. L. E., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-50-2
  • "Arztpraxis – Kauf und Übergang", Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0

Folgende Veröffentlichungen von Rechtsanwalt Brennecke sind in Vorbereitung:

  • Die Due Diligence – Rechtliche Prüfung beim Unternehmenskauf
  • Die Liquidation der Kapitalgesellschaft
  • Die Unternehmergesellschaft (UG)

Harald Brennecke ist Dozent für Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im DeutscherAnwaltVerein.  
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Gesellschaftsrecht für Steuerberater und Unternehmensberater – Grundlagen des Gesellschaftsrechts
  • Gesellschaftsvertragsgestaltung – Grundlagen und Risiken
  • Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) – kleine Chance, großes Risiko
  • Welche Gesellschaftsform ist die Richtige? Vor- und Nachteile der Rechtsformen für Unternehmer
  • Geschäftsführerhaftung – Geschäftsführung von Kapitalgesellschaften; das letzte große Abenteuer der westlichen Zivilisation
  • Insolvenzrecht für Gründer und lebende Unternehmen: Aus Insolvenzen anderer lernen heißt das eigene Insolvenzrisiko zu vermeiden
  • Unternehmenssanierung: Kopf aus dem Sand! Wer zu spät reagiert, reagiert nie wieder.
  • Insolvenzrecht für Steuerberater – Grundlagen des Insolvenzrechts für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
  • Insolvenzrecht für Unternehmensberater – Sanierungschancen erkennen und wahren
  • Insolvenzberatung: das (enorme) Haftungsrisiko des Sanierungsberaters

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