Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner – Teil 26 – Transformation

11.1.2. Transformation

Verliert der Betrieb durch den Übergang seine Identität, so kommt es zur sogenannten Transformation. Dasselbe gilt auch dann, wenn der übergegangene Betriebsteil keine eigene betriebsverfassungsrechtliche Selbständigkeit erhält. Unter dieser Transformation versteht man, dass die Rechte und Pflichten, die sich für die Arbeitnehmer aus Betriebsvereinbarungen ergeben, Inhalt des Arbeitsverhältnisses mit dem neuen Inhaber werden (§ 613a Abs. 1 S. 2 BGB). Die Arbeitnehmer nehmen ihre betrieblich geregelten Rechte und Pflichten ins Arbeitsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber sozusagen mit. Von der Transformation sind jedoch nur alle Individualnormen betroffen. Dementsprechend kommt es im Regelfall zu keiner Transformation betrieblicher oder betriebsverfassungsrechtlicher Normen (zur Unterscheidung der einzelnen Normenarten --> 1.3).

Beispiel
Der neue Inhaber gliedert den erworbenen Betrieb in seinen bereits bestehenden Betrieb ein. Für den veräußerten Betrieb hatte der alte Inhaber eine Reihe von Betriebsvereinbarungen abgeschlossen. Darunter auch eine Vereinbarung zu einer betrieblichen Kleiderordnung sowie eine Vereinbarung, die einen Anspruch auf ein betriebliches Weihnachtsgeld vorsieht.

  • Da der neue Inhaber den übergangenen Betrieb in einen schon vorhandenen Betrieb eingliedert, verliert ersterer seine Identität und betriebsverfassungsrechtliche Selbständigkeit. Somit transformieren sich die Rechte und Pflichten aus vormals bestandenen Betriebsvereinbarungen ins Arbeitsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber (§ 613a Abs. 1 S. 2 BGB). Dies gilt vor allem für das betriebliche Weihnachtsgeld, da es sich hierbei um ein Arbeitsentgelt handelt, das durch Individualnormen begründet wird. Folglich können die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer das Weihnachtsgeld auch künftig vom neuen Arbeitgeber verlangen.
  • Die Rechte und Pflichten aus der Betriebsvereinbarung zur Kleiderordnung werden jedoch nach erfolgtem Betriebsübergang beim neuen Arbeitgeber gegenstandslos. Hier kommt es zu keiner Transformation nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB, da eine Kleiderordnung durch betriebliche Normen geregelt wird.

Weiterhin sieht § 613a Abs. 1 S. 2 BGB den Grundsatz vor, dass die transformierten Rechte und Pflichten aus Betriebsvereinbarungen beim neuen Arbeitgeber für den Zeitraum von 1 Jahr nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden dürfen. Eine Veränderung ist jedoch nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB hauptsächlich durch eine andere Betriebsvereinbarung mit demselben Regelungsgegenstand möglich. Hier kommt es zu einer Ablösung (vgl. --> 6.2). Das Änderungsverbot bezieht sich gem. § 613a Abs. 1 S. 4 BGB auch nicht auf Betriebsvereinbarungen, die lediglich nachwirken (zur Nachwirkung --> Kap. 9).

Beispiel
Es findet die Veräußerung eines Betriebsteils an einen neuen Inhaber statt, welcher ihn in seinen bestehenden Betrieb eingliedert. Den Arbeitnehmern des Betriebsteils stand nach einer für ihren alten Betrieb geltenden Betriebsvereinbarung ein Weihnachtsgeld in Höhe von 70% ihres durchschnittlichen Monatsverdienstes zu. Da dieses dem neuen Arbeitgeber zu hoch ist, trifft er mit den einzelnen Arbeitnehmern einen Monat nach erfolgtem Betriebsteilübergang eine Abmachung, nach der der Anspruch auf das Weihnachtsgeld künftig nur noch in einer Höhe von 40% des durchschnittlichen Monatsverdienstes bestehen soll.

  • Da der Betriebsteil durch den Übergang keine eigene betriebsverfassungsrechtliche Selbständigkeit erhält, sondern vielmehr in einen schon vorhandenen Betrieb eingegliedert wird, transformiert sich das Recht auf das Weihnachtsgeld in Höhe von 70% ins Arbeitsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber. Dieses Recht darf gem. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB für den Zeitraum von einem Jahr nach dem Übergang nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Demnach sind die hier zwischen den Arbeitnehmern und dem neuen Arbeitgeber getroffen Abmachungen zu einem geringeren Weihnachtsgeld unwirksam.

Beispiel
Im erworbenen Betrieb besteht eine Betriebsvereinbarung, welche ein Jubiläumsgeld für die Belegschaft vorsieht. Unter anderen ist dort geregelt, dass die Arbeitnehmer nach fünf Jahren Betriebszugehörigkeit Anspruch eine Zahlung von 700 Euro haben. Der neue Inhaber gliedert den erworbenen Betrieb in seinen bereits bestehenden Betrieb ein. Für diesen gilt ebenfalls eine Betriebsvereinbarung zum Thema Jubiläumsgeld. Der Anspruch der Arbeitnehmer nach fünf Jahren Betriebszugehörigkeit beläuft sich hier aber auf lediglich 400 Euro. Die Beschäftigten des alten Betriebs fragen sich, wieviel Jubiläumsgeld sie künftig von ihrem neuen Arbeitgeber verlangen können.

  • Der erworbene Betrieb wird in einen anderen Betrieb eingegliedert, weshalb er seine Identität und betriebsverfassungsrechtliche Selbständigkeit verliert. Dies hat grundsätzlich die Transformation der Rechte und Pflichten aus den Betriebsvereinbarungen gem. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB zur Folge. Im vorliegenden Fall jedoch trifft die Betriebsvereinbarung, die einen Anspruch auf ein Jubiläumsgeld in Höhe von 700 Euro vorsieht, auf eine beim neuen Betriebsinhaber geltende Betriebsvereinbarung mit demselben Regelungsgegenstand.
  • Nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB kommt es diesbezüglich somit nicht zur Transformation. Die Betriebsvereinbarung, die den Arbeitnehmern einen Anspruch auf 400 Euro Jubiläumsgeld gewährt, löst die einstmals für den veräußerten Betrieb abgeschlossene Betriebsvereinbarung vielmehr ab. Demnach können die Arbeitnehmer in Zukunft nur noch 400 Euro Jubiläumsgeld von ihrem neuen Arbeitgeber verlangen.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Alexander Geier, Wirtschaftsjurist LL.B., erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-70-0.


 

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Stand: Januar 2017


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem

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  • Abwicklungsverträge
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  • Abfindungen
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  • Betriebsvereinbarungen
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und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

  • Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:

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  • Arbeitszeitmodelle: Arbeitszeitkonten, Gleitzeit, (Alters-)Teilzeit, Schichtmodelle, Jobsharing
  • Telearbeit aus arbeitsrechtlicher, datenschutzrechtlicher und IT-rechtlicher Sicht
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