Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner – Teil 27 – Betriebsvereinbarungen bei unternehmensinternen Umstrukturierungen

11.2. Betriebsvereinbarungen bei unternehmensinternen Umstrukturierungen

Auch Umstrukturierungen, die lediglich innerhalb eines Unternehmens durchgeführt werden, können Auswirkungen auf vorhandene Betriebsvereinbarungen haben. Diese können je nach Art der Umstrukturierung ganz unterschiedliche sein. Im Wesentlichen handelt es sich bei derartigen strukturellen Veränderungen um

  • Stilllegungen,
  • Spaltungen,
  • Eingliederungen oder
  • Zusammenschlüsse von Betrieben.

11.2.1. Stilllegung und Spaltung von Betrieben

Eine endgültige Stilllegung des Betriebs betrifft das grundlegende Bestehen desselben und demnach auch den Bestand von Betriebsvereinbarungen, die für ihn abgeschlossen worden sind. Die Betriebsstilllegung selbst definiert das Bundesarbeitsgericht als eine dauerhafte oder zeitlich unbestimmte "Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs und Produktionsgemeinschaft".[1] Diese Auflösung hat zur Folge, dass grundsätzlich alle im Betrieb vorhandenen Betriebsvereinbarungen ihre Gültigkeit verlieren und somit auch ohne jegliche Nachwirkung enden. Dieser Grundsatz gilt jedoch insbesondere nicht für Sozialpläne gem. § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG, welche infolge der Betriebsstilllegung abgeschlossen werden (vgl. --> 8.5).

Beispiel
Der Arbeitgeber hat sich dazu entschlossen, seinen Betrieb endgültig stillzulegen. Zum Zwecke des Ausgleichs wirtschaftlicher Nachteile der Arbeitnehmer hat er mit dem Betriebsrat einen Sozialplan abgeschlossen, durch welchen den Beschäftigten unter anderem Abfindungsansprüche eingeräumt werden. Darüber hinaus gibt es im Betrieb auch andere Betriebsvereinbarungen. Eine davon regelt ein Weihnachtsgeld, welches den Arbeitnehmern zusteht. Nach erfolgter Betriebsstilllegung macht Arbeitnehmer X neben seinem Abfindungsanspruch aus dem Sozialplan vorsorglich auch einen Anspruch auf das Weihnachtsgeld für das kommende Jahr geltend.

  • Infolge der Stilllegung des Betriebs verlieren grundsätzlich alle Betriebsvereinbarungen ihre Gültigkeit und werden demnach gegenstandslos. Dies betrifft aber nicht den hier abgeschlossenen Sozialplan, da die in ihm enthaltenen Regelungen im Zusammenhang mit der Stilllegung des Betriebs stehen. Folglich kann Arbeitnehmer X den Abfindungsanspruch laut Sozialplan nach erfolgter Stilllegung verlangen. Das Weihnachtsgeld steht ihm jedoch nicht mehr zu, da die diesbezügliche Betriebsvereinbarung aufgrund der Stilllegung keine Rechtswirkung mehr hat.

Die Spaltung eines Betriebs liegt insbesondere dann vor, wenn ein vormals einheitlicher Betrieb in mehrere Betriebe und/oder Betriebsteile zerlegt wird. Möglich ist aber auch, dass nur ein kleinerer Betriebsteil abgespalten wird und der ursprüngliche Betrieb als solcher weiterbesteht.[2] Welche konkreten Auswirkungen solche Spaltungen auf bestehende Betriebsvereinbarungen haben, ist noch ungeklärt. Zweckmäßig erscheint es daher, diesbezüglich die entsprechende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Betriebsteilübergang heranzuziehen, nach der Betriebsvereinbarungen dann unmittelbar fortgelten, wenn der übergegangene Betriebsteil als autonomer Betrieb oder selbständiger Betriebsteil fortgeführt wird.[3] Betriebsvereinbarungen, die für den gespalteten Betrieb abgeschlossen wurden, gelten daher sowohl im eventuell noch vorhandenen Ursprungsbetrieb als auch in den neu entstandenen Betrieben oder Betriebsteilen unmittelbar weiter, sofern letztere nicht in einen anderen Betrieb eingegliedert werden (vgl. --> 11.2.2). Die konkrete Auswirkung, die eine Betriebsspaltung auf eine Betriebsvereinbarung hat, hängt somit davon ab, inwieweit die gespalteten Teile die betriebsverfassungsrechtliche Selbständigkeit wahren bzw. eine solche erhalten.

Beispiel
Der Arbeitgeber möchte auf betrieblicher Ebene umorganisieren. Künftig soll sich das Unternehmen nicht mehr aus einem großen, sondern aus zwei kleineren Betrieben zusammensetzen. Hierzu zerlegt er den bestehenden Betrieb in nunmehr zwei eigenständige Betriebe. Für den ursprünglichen Betrieb waren zahlreiche Betriebsvereinbarungen abgeschlossen. Darunter auch einige, die freiwillige Leistungen für die Beschäftigten vorsahen. Diese fragen sich nun, ob die Betriebsspaltung irgendwelche Konsequenzen für ihre Rechtsansprüche auf die freiwilligen Leistungen aus den Betriebsvereinbarungen hat.

  • Nach der Spaltung werden vorliegend zwei neu entstandene autonome Betriebe fortgeführt. Sie erhalten somit jeweils eine neue betriebsverfassungsrechtliche Selbständigkeit. Da die für den ursprünglichen Betrieb abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen in diesem Fall unmittelbar und unverändert fortgelten, wirkt sich das nicht auf die Rechtsansprüche der Beschäftigten auf die freiwilligen Leistungen aus. Diese bestehen nach wie vor.

[1] BAG 11.03.1998, AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 43

[2] Vgl. Richardi, BetrVG § 111 Rn. 101

[3] BAG 18.09.2002 NZA 2003, 670 f.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Alexander Geier, Wirtschaftsjurist LL.B., erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-70-0.


 

Weiterlesen:
zum vorhergehenden Teil des Buches
zum folgenden Teil des Buches

Links zu allen Beiträgen der Serie Buch - Betriebsvereinbarung

Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


Wir beraten Sie gerne persönlich, telefonisch oder per Mail. Sie können uns Ihr Anliegen samt den relevanten Unterlagen gerne unverbindlich als PDF zumailen, zufaxen oder per Post zusenden. Wir schauen diese durch und setzen uns dann mit Ihnen in Verbindung, um Ihnen ein unverbindliches Angebot für ein Mandat zu unterbreiten. Ein Mandat kommt erst mit schriftlicher Mandatserteilung zustande.
Wir bitten um Ihr Verständnis: Wir können keine kostenlose Rechtsberatung erbringen.


Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem

  • Aufhebungsverträge
  • Abwicklungsverträge
  • Kündigungen
  • Kündigungsschutzansprüche
  • Abfindungen
  • Lohn- und Gehaltsansprüche
  • Befristete und unbefristete Arbeitsverträge
  • Betriebsvereinbarungen
  • Tantiemenvereinbarungen

und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

  • Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:

  • Arbeitsvertragsgestaltung: Gestaltungsmöglichkeiten und Fallen
  • Arbeitszeitmodelle: Arbeitszeitkonten, Gleitzeit, (Alters-)Teilzeit, Schichtmodelle, Jobsharing
  • Telearbeit aus arbeitsrechtlicher, datenschutzrechtlicher und IT-rechtlicher Sicht
  • Minijobs rechtssicher gestalten

Kontaktieren Sie Rechtsanwalt Tilo Schindele unter:  
Mail: schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Telefon: 0711-896601-24

 


Mehr Beiträge zum Thema finden Sie unter:

RechtsinfosArbeitsrecht