Baumängel vor und im Prozess – Teil 19 – Das selbstständige Beweisverfahren

7. Kapitel

Das selbstständige Beweisverfahren

Auf einer Baustelle, sei es im Unternehmensbereich oder auch auf privater Ebene, sind Auseinandersetzungen hinsichtlich des Termin- und Kostendrucks, unzureichender Kommunikation in verschiedenen Bauphasen oder der Mängel, die auftreten können, kaum noch wegzudenken.

Herrscht Unsicherheit seitens des Bauherrn, aber auch auf Seiten des Bauunternehmers, ob Mängel vorliegen und wem sie zuzurechnen sind, kann derjenige, welcher ein höheres Interesse daran hat, diese schnell nachzuweisen, ein selbständiges Beweisverfahren einleiten. Hierdurch kann auch der Gefahr entgegengewirkt werden, dass eventuell Mängel später nicht mehr nachgewiesen werden können. Auch der Umstand, dass ein Leistungsstand in Form von beispielsweise einer Insolvenz des Auftragnehmers oder die Kündigung durch den Auftraggeber im Raum steht, ist es an manchen Stellen ratsam, die Feststellung von Mängeln vor oder auch nach der Abnahme durch ein selbständiges Beweisverfahren zu veranlassen. Nachteil hierbei ist die Hemmung des Hauptverfahrens und die dadurch resultierende langwierige Verfahrensdauer im Allgemeinen.

Kurzdefinition Selbständiges Beweisverfahren:
Vorgezogene Beweisaufnahme im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen.

7.1. Alternativen bei privatrechtl. Streitigkeiten um technische Fragen

Für den Bauherrn, die beteiligten Bauunternehmen, aber auch für die Handwerker und Architekten als Bauplaner ist eine konkrete Konfliktbewältigung wichtig, wenn eventuelle daraus resultierende wirtschaftliche Schäden verhindert werden sollen. In Anbetracht dessen sind auch außergerichtliche Streitbeilegungen unabdingbar, wenn man innerhalb kürzester Zeit eine ansprechende, für beide Seiten befriedigende, Lösung finden möchte.

Als Möglichkeiten dieser außergerichtlichen Streitbeilegung sind in Kapitel 6 unter anderem die Mediation, Schiedsgutachten oder auch die Schlichtung erörtert worden.

7.1.1. Private Beauftragung eines Sachverständigen

Neben dem gerichtlichen Gutachten, welches auf Aufforderung des Gerichts erfolgt und im Anschluss noch näher erörtert werden wird, ist es dem Bauherrn möglich, ein Sachverständigengutachten auch privat zu beauftragen. Ein privates Sachverständigengutachten gilt als fachgerechter Parteivortrag, den das Gericht neben dem gerichtlichen Gutachten ebenso zu werten hat.

Ein solches private Gutachten ist eine Vereinbarung zwischen dem Auftraggeber und dem Sachverständigen als Auftragnehmer. Der Sachverständige schuldet dem Bauherrn einen Erfolg gewöhnlicher Weise in Form eines schriftlichen Gutachtens. Diese Vereinbarung in Form eines Werkvertrages führt dazu, dass der Sachverständige auch den werksvertraglichen Haftungsregeln unterworfen ist.

Aufgrund der bereits erwähnten Verfahrensverzögerung durch die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens, empfiehlt es sich für den Bauherrn, seine zu beanstandenden Mängel zeitnah mit Hilfe eines privaten Sachverständigen in dem Hauptsachverfahren anzuzeigen. Durch dieses Gutachten kann er die Klage auf Mängelbeseitigungskosten gegen den Beklagten schlüssig darlegen. Gutachterkosten, die dem Antragsteller durch die Einschaltung eines Privatgutachtens entstehen, können als Mangelfolgeschäden aufgeführt werden.

7.1.2. Das Selbstständige Beweisverfahren

Das selbständige Beweisverfahren gemäß § 485 ZPO findet seine Bedeutung in einer vorausschauenden Beweisaufnahme während oder außerhalb eines Bauprozesses. Vormals wurde es als Beweissicherungsverfahren bezeichnet.

Zuständig für das Beweisverfahren ist immer das Gericht, bei dem auch der Hauptprozess zu führen wäre. Ein Beweissicherungsantrag kann auch bei den ab einem Streitwert von € 5.000,- zuständigen Landgerichten grundsätzlich von Privatpersonen, also ohne anwaltliche Vertretung, angebracht werden. Erst wenn über dem Beweisantrag vor dem Landgericht mündlich verhandelt wird, muss man sich von einem Rechtsanwalt vertreten lassen.

Das Verfahren dient vor allem dazu, das Bestehen von Werklohnansprüchen zu untermauern. Sinn des selbstständigen Beweisverfahrens ist es auch, die Gerichte zu entlasten. Die Parteien sollen Tatsachen in einem förmlichen Verfahren schon vor einem Prozess klären können. Es dient nicht der Verschuldensforschung und beginnt mit dem sogenannten Beweisantrag, dieser eröffnet das selbständige Beweisverfahren und wird schließlich mit der beantragten Beweisaufnahme oder der Ablehnung des Antrags beendet. Es dürfen nur bestimmte Beweismittel erhoben werden. Nach § 485 I ZPO ist diese Beweiserhebung auf den richterlichen Augenschein, den Zeugenbeweis und die mündliche bzw. schriftliche Anhörung des Sachverständigen beschränkt. Nach § 485 II ZPO ist nur das Sachverständigengutachten zulässig.

Das bedeutet vereinfacht dargestellt, dass es drei verschiedene Möglichkeiten gibt, ein selbständiges Beweisverfahren anzustreben. Diese drei Fälle bringen auch jeweils unterschiedliche Voraussetzungen mit sich.

  1. Nach § 485 Abs. 1 ZPO kann die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nur mit Zustimmung des Antraggegners –als einvernehmliches Beweisverfahren- durchgeführt werden.
  2. Weiterhin muss nach § 485 Abs. 1 ZPO die Voraussetzung erfüllt sein, dass die Gefahr des Verlustes der Beweismittel besteht.
  3. Wenn ein sogenanntes berechtigtes Interesse an der Feststellung bestimmter Tatsachen besteht. Solche Tatsachen wären gemäß § 485 II ZPO: der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache, die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels oder der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels.

Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens:
Die Zulässigkeit dieses Verfahrens besteht nur, wenn die Gefahr besteht, dass die beabsichtigte Beweiserhebung zu einem späteren Zeitpunkt schwer oder unmöglich wird. Der Antragsgegner muss jedoch zustimmen.

Durch die Beweiserbringung könnte auch ein Hauptsachverfahren zwischen den beteiligten Parteien entbehrlich werden.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Baumängel vor und im Prozess“ von Olaf Bühler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, und Babett Stoye LL.B., mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-67-0.


 

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Stand: Januar 2017


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