Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner – Teil 28 – Eingliederung und Zusammenschluss von Betrieben

11.2.2. Eingliederung und Zusammenschluss von Betrieben

Des Weiteren kann eine Umstrukturierung auch darin bestehen, dass ein Betrieb oder Betriebsteil in einen anderen schon existierenden Betrieb eingegliedert wird. Er wird hierbei Teil einer bereits vorhandenen betrieblichen Struktur, weshalb er seine betriebliche Identität in Form seiner betriebsverfassungsrechtlichen Selbständigkeit verliert und auch keine neue erhält. Sofern eine Betriebsvereinbarung des eingegliederten Betriebs oder Betriebsteils im aufnehmenden Betrieb auf eine Vereinbarung mit demselben Regelungsgegenstand trifft, wird sie von letzterer abgelöst, sodass nach der Eingliederung nur noch die Betriebsvereinbarung des aufnehmenden Betriebs gilt (vgl. --> 8.1). Die Auswirkungen der Eingliederung auf Betriebsvereinbarungen, die im aufnehmenden Betrieb auf keine regelungsgleichen Vereinbarungen treffen, sind umstritten. Eine unmittelbare und unveränderte Fortgeltung dieser Betriebsvereinbarungen kommt aber unseres Erachtens aufgrund des endgültigen Verlusts der betriebsverfassungsrechtlichen Selbständigkeit nicht in Betracht. Ihre Rechtswirkung beschränkt sich ab dem Zeitpunkt der Eingliederung vielmehr auf eine solche, die der Nachwirkung (--> Kap. 9) entspricht.[1] Sie können also nach erfolgter Eingliederung jederzeit durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

Beispiel
Der Arbeitgeber gliedert einen seiner kleineren Betriebe in seinen großen Betrieb ein. Für den kleineren Betrieb galten unter anderem eine Betriebsvereinbarung zu einer Jubiläumsprämie in Höhe von 1000 Euro und eine Vereinbarung zu einem Weihnachtsgeld. Im großen Betrieb besteht ebenfalls eine Betriebsvereinbarung, die einen Anspruch der Beschäftigten auf eine Jubiläumsprämie vorsieht. Diese beträgt dort jedoch nur 700 Euro und fällt demnach um 300 Euro geringer aus. Eine entsprechende Vereinbarung zum Thema Weihnachtgeld fehlt im großen Betrieb komplett. Die zuvor im kleineren Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer sind unsicher, ob und in welcher Höhe sie die Jubiläumsprämie und das Weihnachtsgeld nach der betrieblichen Umstrukturierung verlangen kann.

  • Aufgrund der Eingliederung gelten die Betriebsvereinbarungen, die für den kleineren Betrieb abgeschlossen wurden, nachwirkend weiter, sofern sie nicht durch eine regelungsgleiche Betriebsvereinbarung im aufnehmenden Betrieb abgelöst werden. Die Betriebsvereinbarung zum Thema Jubiläumsprämie wird somit von der im großen Betrieb vorhandenen, ebenfalls zum Thema Jubiläumsprämie abgeschlossenen Vereinbarung abgelöst.
  • Dadurch beläuft sich der Anspruch auf die Jubiläumsprämie künftig nur noch auf 700 Euro. Das Weihnachtsgeld können die Beschäftigten auch nach der Eingliederung in üblicher Höhe verlangen, da die diesbezügliche Regelung aufgrund des Fehlens einer entsprechenden Vereinbarung im aufnehmenden Betrieb nachwirkend weiter gilt. Sie kann jedoch jederzeit durch eine andere Abmachung ersetzt werden, also z.B. auch durch eine neue arbeitsvertragliche Regelung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Die letzte wesentliche Form einer betrieblichen Umstrukturierung ist der Zusammenschluss. Ein solcher ist vor allem in der Konstellation zu sehen, in welcher mehrere Betriebe oder Betriebsteile zu einem neuen, eigenständigen Betrieb zusammengefasst werden. Es bildet sich also eine vollkommen neue betriebliche Struktur. Beim Zusammenschluss handelt sich somit um das Gegenstück zur Betriebsspaltung (--> 11.2.1). Wie bei dieser sind die Auswirkungen, die ein Zusammenschluss auf Betriebsvereinbarungen hat, nicht abschließend geklärt. Unserer Meinung nach muss aber eine unmittelbare und unveränderte Fortgeltung - ebenso wie bei der Eingliederung, die einen Unterfall des Zusammenschlusses darstellt - verneint werden. Grund hierfür ist auch wieder der endgültige Verlust der betrieblichen Identität der zusammengeschlossenen Betriebe oder Betriebsteile. Sie verlieren nämlich ihre betriebsverfassungsrechtliche Selbständigkeit und erhalten auch einzeln keine neue, da sie erst zusammen die neue betriebliche Identität begründen. Die Betriebsvereinbarungen gelten nach erfolgtem Zusammenschluss lediglich in einem Nachwirkungsstadium (--> Kap. 9) für die Beschäftigten, für die sie ursprünglich abgeschlossen worden sind, weiter.[2] Die Umstrukturierung kann daher auch zur Folge haben, dass sich im neu entstandenen Betrieb Arbeitnehmergruppen bilden, deren Arbeitsbedingungen sich unterscheiden, ohne dass dies erforderlich wäre. Schon zur Vermeidung ungewollter Spannungen und Konflikte in der Belegschaft sollten die Betriebspartner in diesem Fall eine Vereinheitlichung der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen vornehmen. Nicht zuletzt dürfte dies - zumindest nach längerer Zeit nach dem Zusammenschluss - aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch geboten sein.

Beispiel
Das Unternehmen gliedert sich in die Betriebe A und B. Der Arbeitgeber möchte, dass sein Unternehmen künftig nur noch aus einem Betrieb besteht und fasst daher beide Betriebe zu einem neuen großen Betrieb zusammen. In beiden Betrieben existiert eine Betriebsvereinbarung, die einen Anspruch der Beschäftigten auf ein Weihnachtsgeld regelt. Im Betrieb A beläuft er sich auf 80%, im Betrieb B hingegen auf lediglich 50% des durchschnittlichen Monatsverdienstes. Nach der Zusammenfassung der Betriebe herrscht in der Belegschaft wegen den unterschiedlichen Regelungen Verwirrung und Unmut. Die Betriebspartner wollen dem entgegenwirken und ein einheitliches betriebliches Weihnachtsgeld einführen.

  • Es kommt im vorliegenden Fall zu einem Zusammenschluss von Betrieben, da ein neuer, eigenständiger Betrieb entsteht. In diesem gelten die Betriebsvereinbarungen der zusammengeschlossenen Betriebe nachwirkend weiter, können also jederzeit durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Zunächst aber beträgt die Höhe des Anspruchs auf das Weihnachtsgeld für die ehemaligen Beschäftigten des Betriebs A 80% und für die ehemaligen Beschäftigten des Betriebs B 50% des durchschnittlichen Monatsverdienstes.
  • Den Betriebspartner steht es frei, die unterschiedlichen betrieblichen Regelungen durch eine neue Betriebsvereinbarung zum Thema Weihnachtsgeld abzulösen, um für Einheitlichkeit hinsichtlich der Höhe des Anspruchs zu sorgen.

Wie dargestellt, fehlt für die Fälle von Eingliederungen und Zusammenschlüssen, aber auch für die von Spaltungen, eine konkrete und gefestigte Rechtsprechung. Aus diesem Grund besteht hinsichtlich der Auswirkungen, die diese Umstrukturierungen auf Betriebsvereinbarungen haben, eine gewisse Rechtsunsicherheit. Es empfiehlt sich daher, dass die Betriebspartner dies in jedem Fall bereits vor einer geplanten Umstrukturierung miteinander abklären und bei Bedarf die notwendigen Abmachungen treffen.


[1] Vgl. ErfK/Kania, BetrVG § 77 Rn. 122

[2] Vgl. ErfK/Kania, BetrVG § 77 Rn. 123

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Alexander Geier, Wirtschaftsjurist LL.B., erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-70-0.


 

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Stand: Januar 2017


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Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

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