Die strafbefreiende Selbstanzeige – Teil 08 – Fristgerechte Nachzahlung der Steuern und Zinsen (§ 371 Abs. 3 AO)
Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
4.3 Fristgerechte Nachzahlung der Steuern und Zinsen (§ 371 Abs. 3 AO)
Um nach einer abgegeben Selbstanzeige vollständige Straffreiheit zu erlangen bedarf es nach § 371 Abs. 3 AO, dass der Anzeigenerstatter die geschuldeten Steuern und die darauf anfallenden Zinsen nachentrichtet.
4.3.1 Allgemeines
Mit der Einreichung der Selbstanzeige erwirbt der Täter zunächst eine Anwartschaft auf Straffreiheit. § 371 Abs. 3 S. 1 AO macht die Straffreiheit - für den Fall, dass Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt sind - von der Nachzahlung der zu Gunsten des Beteiligten hinterzogenen Steuer innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist abhängig.
Die Nachzahlungspflicht betrifft auch die Zinsen nach §§ 233a und 235 AO. Wenn eine Steuerverkürzung eingetreten ist bzw. Steuervorteile erlangt wurden, d.h. soweit die Steuerhinterziehung vollendet ist, ist der Anzeigenerstatter zur Nachzahlung der
- zu seinen Gunsten verkürzten Steuer
- Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und
- Zinsen nach § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 AO angerechnet werden
verpflichtet.
Die Straffreiheit bleibt bis zur fristgerechten Nachzahlung der geschuldeten Steuer und der Zinsen bestehen und ist auflösend bedingt durch die Nachzahlung der hinterzogenen Steuer und der Zinsen innerhalb einer zu setzenden Frist. Das heißt, dass die Straffreiheit entfällt, wenn die Zahlungen nicht fristgemäß geleistet werden.
4.3.2 Nachzahlungspflichtiger
Die Nachzahlungspflicht kann für alle an der Tat Beteiligten gemäß § 371 Abs. 3 AO entstehen. Als Nachzahlungsverpflichteter kommt daher jeder in Betracht, der eine Selbstanzeige erstattet hat. Ob er an der angezeigten Tat als Täter (Allein-, Mit sowie mittelbarer Täter) oder als Teilnehmer (Anstifter, Gehilfe) mitgewirkt hat, ist unerheblich.
Der Tatbeteiligte ist allerdings nur dann zur Nachentrichtung verpflichtet, soweit die Steuern zu seinen Gunsten hinterzogen wurden. Hinterzogen sind die Steuern, wenn der Tatbeteiligte zu seinem eigenen steuerlichen Vorteil handelt, sodass seine eigene Steuerschuld gemindert ist. Ob ein anderer Beteiligter zu seinen Gunsten Steuern hinterzogen hat, bestimmt sich nach der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, denn nicht jeder entfernt mit der Tat zusammenhängende wirtschaftliche Vorteil führt zu einer Verpflichtung zur Nachentrichtung. Vielmehr muss dem Beteiligten bei wirtschaftlicher Betrachtung ein unmittelbarer Vorteil aus der Tat zugeflossen sein, was bei einem Teilnehmer in der Regel ausgeschlossen ist.
Beispiel
Die Geschäftsführerin einer KG hat zugunsten der KG falsche USt-Anmeldungen abgegeben und entsprechend ihrem Plan eigenmächtig die ersparten Beträge der von ihr verwalteten Hauptkasse der KG entnommen, um sie für eigene Zwecke zu verwenden.
- Steuerschuldnerin war die KG, Nutznießerin der Beträge, welche die Gesellschaft infolge der falschen Umsatzsteuervoranmeldungen zu wenig entrichtet hat, war die Geschäftsführerin. Denn die Steuerhinterziehungen ermöglichten es ihr, der von ihr verwalteten Hauptkasse der KG eigenmächtig erhebliche Beträge zu entnehmen, um sie für eigene Zwecke zu verwenden.
- Die KG hatte von der Steuerverkürzung keinerlei Nutzen; denn ihr standen die Gelder während des Hinterziehungszeitraums nicht zur Verfügung, weil die Geschäftsführerin sie, wie geplant, veruntreute. Die Geschäftsführerin hat einen eigenen wirtschaftlichen Vorteil erlangt und ist daher zur Nachzahlung im Sinne von § 371 Abs. 3 S. 1 AO verpflichtet.
4.3.3 Nachzahlungsumfang
Der Umfang der nachzuzahlenden Steuern und Zinsen richtet sich nach dem hinterzogenen Steuerbetrag.
4.3.3.1 Hinterzogene Steuern
Der Anzeigenerstatter muss nach § 371 Abs. 3 S. 1 AO „die … hinterzogenen Steuern“ nachentrichten. Dabei handelt es sich um Steuern im Sinne von § 3 Abs. 1 AO einschließlich Steuerzuschläge, wie den Solidaritätszuschlag. Dagegen schließt der Wortlaut der Vorschrift steuerliche Nebenleistungen, wie z.B. Verzögerungsgelder, Verspätungszuschläge, Säumniszuschläge im Sinne des § 3 Abs. 4 AO - mit Ausnahme der Zinsen nach §§ 235, 233a AO - aus.
Der Tatbeteiligte ist daher nicht zur Nachzahlung von
- Verspätungszuschlägen nach § 152 AO
- Stundungszinsen nach § 234 AO
- Säumniszuschlägen nach § 240 AO
- Zwangsgeldern nach § 329 AO
verpflichtet.
4.3.3.2 Höhe des Betrages
Die Höhe der nachzuentrichtenden Steuern bestimmt sich nicht nach dem nominellen Betrag, sondern nach der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, d.h. in welchem Umfang hat der Täter von der Tat profitiert. Mit anderen Worten ist nach dem tatsächlichen Wert der Steuerforderung zu fragen bzw. welche Beträge der Finanzbehörde bei steuerehrlichem Verhalten zugeflossen wären.
4.3.3.3 Hinterziehungszinsen
Nachzuentrichten sind einerseits die hinterzogenen Steuerbeträge und andererseits Hinterziehungszinsen sowie Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 AO angerechnet werden. D.h. Zinsen, die für denselben Zeitraum festgesetzt wurden, sind anzurechnen.
Unberücksichtigt bleiben
- die steuerlichen Nebenleistungen gem. § 3 Abs. 4 AO
- Verspätungs- und Säumniszuschläge gem. §§ 152, 240 AO sowie
- Stundungszinsen nach § 234 AO.
Eine Ausnahme hiervon macht § 371 Abs. 3 S. 2 AO für Umsatzsteuer- und Lohnsteuervoranmeldungen gem. § 371 Abs. 2a S. 1 AO. Für diesen Sonderfall sind im Rahmen des § 371 AO nur die hinterzogenen Steuerbeträge nachzuentrichten und keine Zinsen nach §§ 235, 233a AO. Für die entsprechende Jahreserklärung (Umsatzsteuer- und Lohnsteuerjahreserklärung) gilt diese Sonderregelung allerdings nicht.
4.3.4 Nachentrichtungsfrist
Die Steuer- und Zinsnachentrichtung muss innerhalb einer angemessen Frist erfolgen. Auf die Setzung einer Frist hat der Steuerpflichtige einen durchsetzbaren Anspruch.
Die Fristsetzung ist aus zwei Gründen vorgesehen:
- Mit der Fristsetzung soll zum einen dem Steuersünder die Möglichkeit gegeben werden, sich auf die Steuernachzahlung sowie deren Höhe einzustellen und die finanziellen Mittel dafür zu beschaffen und
- zum anderen soll durch den Lauf einer bestimmten angemessenen Frist gem. § 371 Abs. 3 AO der Schwebezustand zwischen der Anwartschaft auf Straffreiheit und dem Eintritt oder Verlust der Straffreiheit begrenzt werden. Das Warten auf Straffreiheit oder Strafbarkeit soll sich so verringern.
Die gesetzte Frist ist nicht identisch mit der Fälligkeit der Steuern, die sich aus dem Steuerbescheid ergibt. Vielmehr hat sie einen eigenständigen Charakter und lässt das Besteuerungsverfahren unberührt. Nach überwiegender Ansicht ist die Frist von der jeweils zuständigen Strafsachenstelle im Sinne des § 386 AO oder durch die Staatsanwaltschaft zu setzten. Letztere ist zuständig, wenn das Ermittlungsverfahren dort anhängig ist. Wenn das Verfahren jedoch schon bei Gericht anhängig ist, so ist die Frist durch das Gericht zu setzen.
Beispiel
Der Steuerpflichtige A hat eine Berichtigungserklärung nach § 153 AO abgegeben, jedoch weder innerhalb der in den Steuerbescheiden angeführten Fälligkeitsterminen noch auf die Mahnung hin die Steuer entrichtet. Die Zahlung erfolgte zu einem späteren Zeitpunkt. Die Aufsichtsbehörde des Finanzamts kommt bei einer internen Geschäftsprüfung zu der Erkenntnis, dass der Steuerpflichtige bereits bei Abgabe der ursprünglichen Steuererklärung die Unrichtigkeit seiner Angaben gekannt haben muss, er mithin eine Steuerhinterziehung begangen habe. Da der Steuerpflichtige weder innerhalb der in den Steuerbescheiden gesetzten Fälligkeitsterminen noch innerhalb der in der Mahnung genannten Frist die Steuern nachgezahlt habe, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt, habe die als Selbstanzeige zu wertende Berichtigungserklärung keine strafbefreiende Wirkung.
- Dem Steuerpflichtigen war keine Frist i.S.v. § 371 Abs. 3 S. 1 AO gesetzt worden. Die vom Finanzamt gesetzte steuerliche Frist in den Steuerbescheiden ersetzt nicht die Fristsetzung nach § 371 Abs. 3 S. 1 AO. Denn die Fristsetzung i.S.v. § 371 Abs. 3 S. 1 AO ist eine strafprozessuale Maßnahme. Sie ist erst mit der Fristsetzung des Strafverfahrens als eingeleitet anzusehen. Fristen im steuerlichen Verfahren (u.a. die Bekanntgabe des Steuerbescheids) sind für die angemessene Fristsetzung i.S.v. § 371 Abs.3 S. 1 AO ohne Bedeutung. Von daher kann A mit der Bezahlung der Steuerschuld volle Straffreiheit erlangen.
4.3.5 Zahlung
Wer die Nachzahlung leistet, ist für die strafbefreiende Wirkung der strafbefreienden Selbstanzeige unerheblich. Aus der Formulierung des Gesetztes „wenn er … die zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 angerechnet werden, … entrichtet“ ergibt sich lediglich, dass die Nachzahlungspflicht keine höchstpersönliche Pflicht ist, demnach die Zahlung nicht durch den Täter persönlich und nicht aus seinen eigenen Mitteln erfolgen muss. Es genügt, wenn die Zahlung durch einen Dritten für den Täter erfolgt. Allerdings ist es für die wirksame Selbstanzeige notwendig, dass die vollständigen Steuerbeträge nachentrichtet werden.
Beispiel
Der Bauunternehmer A hat in den Jahren 2007 bis 2009 fingierte Rechnungen gegen Zahlung einer Provision vom Bauunternehmen T erworben. Die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer wurde A nach Einreichung der jeweiligen Umsatzsteuervoranmeldung erstattet. Außerdem wurden die vermeintlichen Zahlungen auf die Rechnungen als Betriebsausgaben geltend gemacht und führten so zur Minderung der Einkommensteuern.
A erstattet für alle Sachverhalte eine Selbstanzeige. Das Finanzamt ermittelt folgende Nachzahlungsbeträge:
1) Umsatzsteuer
2007: 20 000 Euro
2008: 30 000 Euro
2009: 50 000 Euro
2) Einkommensteuer
2007: 40 000 Euro
2008: 80 000 Euro
2009: 110 000 Euro.
A stehen 90 000 Euro zur Entrichtung der Steuern zur Verfügung.
- Das dem A zur Verfügung stehende Kapital reicht aus, um die Umsatzsteuer 2008 und 2009 in Höhe von 80 000 Euro vollständig zu bezahlen. Die Zahlung führt grundsätzlich zur Straffreiheit betreffend der Umsatzsteuer 2008 und 2009. Das dem A weiterhin zur Verfügung stehende Kapital in Höhe von 10 000 Euro kann nicht so eingesetzt werden, dass es zur Straffreiheit einer weiteren Tat führt.
Im Ergebnis ist die Selbstanzeige zwar erklärt worden, allerdings hat Bauunternehmer A nicht die liquiden Mittel zur Verfügung um seine Steuerlast vollständig zu bezahlen. Voraussetzung für eine wirksame Selbstanzeige ist jedoch die vollständige Begleichung der ausstehenden Steuern. Daher wird A keine Straffreiheit erlangen können und muss die Sanktionen der Steuerhinterziehung wohl auf sich nehmen.
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die strafbefreiende Selbstanzeige“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Jens Bierstedt LL.M., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-47-2.

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Carola Ritterbach
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Monika Dibbelt
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Jens Bierstedt
LL.B., Wirtschaftsjurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter
Stand: Januar 2016