Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen – Teil 11 –Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall: § 370 Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AO
Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
5.3 Regelbeispiele in § 370 Absatz 3 AO
Folgende Regelbeispiele nennt das Gesetz:
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1. in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2. seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht,
3. die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4. unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt, oder
5. als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt.
Die Aufzählung ist weder abschließend noch bindend. Das Gesetz formuliert: „Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor“, was umgekehrt heißt, dass es noch weitere, nicht genannte besonders schwere Fälle geben kann. Es ist Sache des Gerichts zu entscheiden, ob ein besonders schwerer Fall vorliegt. Die endgültige Entscheidung, ob ein besonders schwerer Fall vorliegt, muss im Einzelfall unter Abwägung aller relevanten Faktoren erfolgen.(Fußnote) Die Aufzählung im Gesetz ist lediglich ein Hinweis des Gesetzgebers, in welchen Fällen ein besonders schwerer Fall in Betracht zu ziehen ist. Das Gericht ist an diese Wertung allerdings nicht zwingend gebunden, es muss einen besonders schweren Fall nicht schon deswegen annehmen, weil der Fall auf eine der fünf Nummern passt.
Es ist also keineswegs so, dass beispielsweise eine Steuerhinterziehung eines Amtsträgers automatisch und ohne Alternativen zu einer Strafschärfung führen muss (vgl. § 370 Absatz 3 Nr. 2 AO). Jedoch ist die Erfüllung des Regelbeispiels regelmäßig ein sehr starkes Indiz für das Gericht.
5.3.1 Steuerverkürzung in großem Ausmaß nach § 370 Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 AO
Gemäß § 370 Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 AO wirkt es strafschärfend, wenn der Täter in „großem Ausmaß“ Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt hat. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung(Fußnote) liegt ein solcher Wert bereits bei einem Hinterziehungsbetrag von mehr als 50.000 € vor. Ist diese Wertgrenze überschritten, ist das Merkmal erfüllt. Dazu muss dem Fiskus ein echter Vermögensverlust entstanden sein, etwa wenn die Finanzbehörde ungerechtfertigte Erstattungen oder Auszahlungen geleistet hat.(Fußnote)
Beispiel
Die X-UG vertreibt über das Internet Waren über einen Onlineshop, für deren Weiterverkauf Umsatzsteuer zu entrichten hat. Der Geschäftsführer G reicht einer gefälschten Rechnung für eine Großbestellung ein, die einen wesentlich geringeren Gesamtbetrag ausweist als tatsächlich bezahlt wurde. Damit verkürzt sich die zu entrichtende Umsatzsteuer um über 60.000 €.
- Die Steuerpflichten der X-UG übernimmt laut Gesetz, § 34 AO, die natürliche Person des Geschäftsführers G. Ihn trifft die Pflicht zur Abwicklung der steuerlichen Belange der X-UG. Durch das Einreichen einer gefälschten Rechnung hat er unrichtige Angaben gemacht und damit eine Steuerverkürzung erlangt. Der Hinterziehungsbetrag überschreitet 50.000 €. Er hat sich damit einer Steuerhinterziehung in besonders schweren Fall nach § 370 Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 AO strafbar gemacht.
Grundsätzlich findet nur dann eine Addition der einzelnen Hinterziehungen statt, soweit eine Serie gleichgelagerter Fälle vorliegt, z.B. eine Reihe von Umsatzsteuervoranmeldungen.(Fußnote) Sind die Fälle nicht gleichgelagert, wird für jeden einzelnen Fall isoliert betrachtet, ob ein Hinterziehungsbetrag von mehr als 50.000 € vorliegt. Die Fälle müssen in sogenannter Tateinheit gemäß § 52 StGB stehen. Das bedeutet, dass eine sogenannte natürliche Handlungseinheit vorliegt, also ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang.(Fußnote) In der Praxis gestaltet sich die Bestimmung einer Handlungseinheit mitunter äußerst schwierig.
Beispiel
Der Täter T ist eingetragener Kaufmann und vertreibt über das Internet Waren über einen Onlineshop, für deren Weiterverkauf Umsatzsteuer zu entrichten hat. T reicht zusammen insgesamt 16 gefälschte Rechnungen für Bestellungen ein, die jeweils einen wesentlich geringeren Gesamtbetrag ausweisen als tatsächlich bezahlt wurde. Bei den 16 Rechnungen verkürzt sich damit im geringsten Fall die Umsatzsteuer um 5.000 €, im höchsten Fall um 15.000 €. Insgesamt verkürzt sich die zu entrichtende Umsatzteuer für die 16 eingereichten Rechnungen um 125.000 €.
- Den T trifft als Kaufmann die Steuerpflicht für seine Geschäfte als gewerblicher Händler direkt. Durch das Einreichen der gefälschten Rechnungen hat er unrichtige Angaben gemacht und damit eine Steuerverkürzung erlangt. Zwar überschreitet keine einzelne unrichtige Angabe den Betrag von 50.000 €. Jedoch stehen die Rechnungen und deren Einreichung in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang, da er die Belege zusammen und zum selben Zwecke einreicht. Addiert überschreiten die Einzelbeträgen den Hinterziehungsbetrag von 50.000 €. Der T hat sich damit einer Steuerhinterziehung in besonders schweren Fall nach § 370 Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 AO strafbar gemacht.
5.3.2 Amtsträgermissbrauch nach § 370 Absatz 3 Satz 2 Nr. 2 AO
Nach § 370 Absatz 3 Satz 2 Nr. 2 AO liegt ein besonders schwerer Fall vor, wenn der Täter seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht. Mit Amtsträger sind dabei nationale und europäische Amtsträger gemeint, wobei hauptsächlich Beamte und Richter gemeint sind (Vgl. § 7 AO). Damit ist zum einen der Beamte erfasst, der einen anderen Beamten der Finanzbehörde beeinflusst. Aber auch der Finanzbeamte, der selbst einen Steuerfall fingiert, um eine Erstattung für sich oder einen Dritten herbeizuführen.(Fußnote)
Beispiel(Fußnote)
Der Finanzbeamte F erstellt eine Steuererklärung für einen nichtexistierenden Pflichtigen S. Er erfasst den Steuerfall datentechnisch und ließ ihn verarbeiten. Wie von F beabsichtigt, wurden aufgrund der fingierten Erklärungen Steuererstattungen festgesetzt und in der Folge „an S“ ausbezahlt. Damit die Erstattungen ihm unauffällig zufließen konnten, fingierte F jeweils eine Abtretung der Erstattungsansprüche an seinen Cousin C, auf dessen Bankkonten die Erstattungsbeträge gutgeschrieben wurden. Dieser leitete die Beträge gemäß einer zuvor getroffenen Vereinbarung unter Abzug einer anteiligen Vergütung für die Hilfeleistung an F weiter.
- F hat sich damit einer Steuerhinterziehung in besonders schweren Fall nach § 370 Absatz 3 Satz 2 Nr. 2 AO strafbar gemacht, da er seine Amtsträgerstellung ausgenutzt hat.
- C ist Gehilfe und damit Teilnehmer einer Steuerhinterziehung in besonders schweren Fall.
Für die Annahme dieses Regelbeispiels ist es nicht erforderlich, dass dem Amtsträger ein Vorteil zugeflossen ist, dies kann sich lediglich auf den Strafrahmen auswirken.(Fußnote)
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Steuerstrafrecht – Strafbarkeit der Organe in Unternehmen“ von Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, Carola Ritterbach, Rechtsanwältin, spezialisiert auf Steuerrecht, und Alexander Mayr, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-48-9.

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Carola Ritterbach
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Monika Dibbelt
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Stand: Januar 2016