Preisabsprachen – Teil 05 – Vereinbarung, Beschlüsse

4.2.2 Vereinbarungen/Beschlüsse/aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen

Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB erfassen drei verbotene Maßnahmen:

  • Vereinbarungen von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen
  • Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen
  • Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen.

4.2.2.1 Vereinbarungen von Unternehmen

Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB verbieten zunächst Vereinbarungen zwischen Unternehmen. Nach der Rechtsprechung sind aber auch Vereinbarungen von Unternehmensvereinigungen als verbotene Maßnahmen erfasst.[1]

Definition: Eine Vereinbarung zwischen Unternehmen bzw. Unternehmensvereinigungen ist die Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei Parteien über ihr gemeinsames Auftreten am Markt.[2]

Als wesentliches Element des Vereinbarungsbegriffes muss eine Willensübereinstimmung der Unternehmen vorliegen. Dafür ist es ausreichend, wenn mindestens zwei Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Unerheblich ist, ob die Willensübereinstimmung mündlich, schriftlich, ausdrücklich oder konkludent erfolgt.[3]

Eine Vereinbarung setzt keinen Rechtsbindungswillen voraus und ist damit weiter als der Vertragsbegriff. Auch ein Gentlemen’s Agreement, dessen Bindung nur im Vertrauen auf das Wort des Partners beruht und lediglich moralische Bindung entfaltet, fällt unter den Begriff der Vereinbarung. Es genügt die mit der Absprache zum Ausdruck gebrachte Koordinierung des gemeinsamen Auftretens am Markt, unabhängig von der rechtlichen und faktischen Bindung.[4] Unerheblich ist, ob die Vereinbarung freiwillig oder unter Druck der Wettbewerber getroffen wurde.[5]

Der Begriff der Vereinbarung, insbesondere einer stillschweigend zustande gekommenen, ist von einseitigen und hoheitlichen Maßnahmen abzugrenzen, da letztere nicht dem Anwendungsbereich von § 1 GWB und Art. 101. Abs. 1 AEUV unterfallen.

Unter einseitigen Maßnahmen fallen bloße Empfehlungen, Warnungen und Weisungen. Soweit einseitige Maßnahmen ohne die Unterstützung einer anderen Partei erfolgen können, gelten sie nicht als Vereinbarungen. Handelt es sich jedoch nur um scheinbare Weisungen und Empfehlungen, die in Wirklichkeit durch Stillschweigen bzw. konkludentes Handeln eine Willensübereinstimmung darstellen, ist die Maßnahme als stillschweigende Absprache zu qualifizieren.[6] Bei der Abgrenzung sind immer die konkreten Umstände des Einzelfalls zu beachten.

Eine Vereinbarung liegt vor, wenn eine vermeintlich einseitige Maßnahme des Herstellers gegenüber dem Händler zur Konkretisierung des Vertrages durch eine vorherige Zustimmung des Händlers gedeckt ist. Keine einseitige Maßnahme liegt dagegen vor, wenn der Händler nachträglich seine ausdrückliche oder konkludente Zustimmung zu dem koordinierten Verhalten auf dem Markt gibt, indem er den Weisungen und Empfehlungen des Herstellers folgt.[7]

4.2.2.2 Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen

Eine weitere Form von wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen, die vom Kartellrecht erfasst sind, sind Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen.

Definition: Ein Beschluss ist die Bildung eines Gesamtwillens einer Unternehmensvereinigung durch deren zuständige Organe.[8]

Für einen Beschluss im Sinne des Kartellrechts muss lediglich der ernsthafte Wille zum Ausdruck kommen, dass die Unternehmensvereinigung das Verhalten ihrer Mitglieder auf dem Markt koordinieren will. Der Beschluss muss dabei nicht rechtlich bindend sein. Ausreichend ist eine faktische Bindungswirkung, die jedoch nicht konstitutiv für das Vorliegen eines Beschlusses ist. Schon ein Rundschreiben oder eine Empfehlung aus der ein Koordinierungswille hervorgeht, stellt einen Beschluss dar. Weiterhin braucht der Beschluss keine bestimmte Form. Er kann sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgen.[9]

Damit das Verhalten der Unternehmensvereinigung auch zugerechnet werde kann, muss sie bezüglich der Koordination von Marktverhalten selbst tätig werden. Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die Vereinigung lediglich die Plattform für eine Vereinbarung stellt.[10]

Mitglieder, die den Beschluss befürwortet haben, erfüllen den Tatbestand der Vereinbarung oder den der abgestimmten Verhaltensweisen, wenn sie sich nicht offen von dem Beschluss distanzieren und diesen nicht befolgen. Verpflichtende Beschlüsse, die gemäß der Satzung bindend sind, sind jedoch auch ablehnenden Mitgliedern zurechenbar.[11]

4.2.2.3 Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen

Als dritte Maßnahme, die das Kartellrecht verbietet, wird die “aufeinander abgestimmte Verhaltensweise“ beleuchtet. Der Begriff steht im engen Zusammenhang mit der Abrede und hat die Funktion eines Auffangtatbestandes, soweit das Vorliegen einer Vereinbarung nicht nachweisbar ist.[12]

Definition: Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen sind die willentliche Koordinierung des Verhaltens mehrerer Unternehmen am Markt, die die praktische Zusammenarbeit bewusst an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lassen.[13]

Der Tatbestand der abgestimmten Verhaltensweisen ist zweigliedrig. Es muss sowohl eine mittelbare oder unmittelbare Fühlungnahme vorliegen, als auch die Umsetzung des in der Abstimmung bestimmten Marktverhaltens. Zwischen den beiden Voraussetzungen muss zudem ein ursächlicher Zusammenhang bestehen.[14]

Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen unterscheiden sich von Vereinbarungen durch ihre Ausdrucksform und ihre Intensität. Erstere stellen keine offensichtlich wahrnehmbare Übereinstimmung über ein wettbewerbsrelevantes Verhalten dar. Das führt dazu, dass bei abgestimmten Verhaltensweisen ein Abstimmungserfolg unerlässlich ist. Eine Abgrenzung der beiden Maßnahmen ist in der Praxis oft schwierig. Hinfällig wird eine Abgrenzung, wenn beide Maßnahmen vorliegen, da sie vom Kartellrecht gleichbehandelt werden.[15]

Die häufigste Form, in der abgestimmte Verhaltensweisen auftreten, ist der gegenseitige Informationsaustausch der Unternehmen über ihr künftiges Marktverhalten z.B. auf gemeinsamen Sitzungen der Unternehmensvertreter oder unter Einschaltung Dritter, die die Informationen übermitteln sollen. Das Kartellrecht verbietet aber jegliche Fühlungnahme (Kontaktaufnahme) zwecks Informationsaustausch über geplantes eigenes Verhalten oder das Verhalten eines anderen und damit jeden Austausch von wettbewerbserheblichen Daten.[16]

Ein bloßes Sich-Anpassen an das Verhalten der anderen Marktteilnehmer und damit eine Abstimmung ohne Kommunikation stellt keine Verhaltensabstimmung dar, sondern wird als sogenanntes erlaubtes Parallelverhalten angesehen.[17]

Beispiel:
A geht in den Laden des Konkurrenten B, um sich über die aktuellen Preise anhand der Preisauszeichnungen zu informieren und später seine eigenen Preise daran anzupassen.

  • Durch das Informieren anhand der Preisauszeichnung bei B hat sich A an das festgestellte Verhalten des B mit wachem Sinn angepasst.
  • A hat sich gleichförmig verhalten, ohne, dass es vorher zu einer Abstimmung des Verhaltens gekommen ist.
  • Damit liegt in dem Verhalten des A ein erlaubtes Parallelverhalten.

Öffentliche Ankündigungen von Preiserhöhungen in erkennbarer Erwartung, dass die Konkurrenz sich diesem Verhalten anschließt, sind als abgestimmte Verhaltensweise zu verstehen, wenn dadurch künstliche Marktbedingungen entstehen und eine öffentliche Preisankündigung zur Koordinierung des Marktverhaltens ausreicht. Beispielhaft dafür ist das Hervorrufen einer künstlichen Markttransparenz durch unnötig frühe und ausführliche Preiserhöhungsankündigungen. Auch die Schaffung einer Vertrauensebene, auf der alle auf die gegenseitige Handlung vertrauen können, kann als abgestimmte Verhaltensweise verstanden werden.[18]

Einseitige Ankündigungen von Preiserhöhungen fallen unter den Begriff des erlaubten Parallelverhaltens, wenn diese primär der Information der Kunden und nicht der Konkurrenten gelten. Nicht gestattet ist eine solche Ankündigung, wenn Konkurrenten mit der entsprechenden Ankündigung nachziehen oder streng geheime Unternehmensdaten (Umsätze, Aufträge, Preisänderungen) unter Ausschluss der Kunden den Konkurrenten zugänglich gemacht werden. Ein Marktverhalten, dass nicht anders als mit einer abgestimmten Verhaltensweise zu erklären ist, kann kein erlaubtes Parallelverhalten sein. Gleichzeitige Preiserhöhungen um den gleichen Preis oder Prozentsatz sind nicht anders als durch eine abgestimmte Verhaltensweise zu erklären und können nicht als erlaubtes Parallelverhalten angesehen werden.[19]

Bei einer einseitigen Empfehlung fehlt das Element der Gegenseitigkeit. Grundsätzlich sind Empfehlungen wie beispielsweise die Preisempfehlung eines Herstellers nicht erfasst, wenn diese nicht befolgt werden. Einigen sich die Wettbewerber im Vorhinein darauf, die Empfehlung zu befolgen oder im Nachhinein, ihr Marktverhalten der Empfehlung anpassen, liegt eine abgestimmte Verhaltensweise vor.[20]


[1] Siehe EuGH v. 30.1.1985, Rs. 123/83, Slg. 1985, 391 – BNIC/Clair; EuG v. 15.03.2000, Slg. 2000 II 508, 847 ff, Tz. 1321, 1325ff – Cimenteries CBR.

[2] Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 65, Rn. 53.

[3] Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 66, Rn. 54 f.

[4] Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 66, Rn. 54 f.

[5] Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 176, Rn. 55.

[6] Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 182, Rn. 69.

[7] Grave/Nyberg in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kommentar, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Seite 336, Rn. 223.

[8] Paschke, in: MüKoEuWettbR, Art. 101 Rn. 51.

[9] Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Auflage, S. 69, Rn. 60.

[10] Grave/Nyberg in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Seite 347, Rn. 353.

[11] Grave/Nyberg in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 254.

[12] Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 189, Rn. 85.

[13] Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 574, Rn. 32.

[14] Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 194, Rn. 95.

[15] Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 194, Rn. 88.

[16] Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 190, Rn. 89.

[17] Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 574, Rn. 34.

[18] Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 192, Rn. 93.

[19] Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 576, Rn. 39.

[20] Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 197, Rn. 103 f.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Preisabsprachen im Kartellrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Laura Macht, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-87-8.


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Stand: Januar 2018


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