Preisabsprachen – Teil 03 – Tatbestandsmerkmale I

4.2 Die Tatbestandsmerkmale im Einzelnen

Die Erläuterung der einzelnen Tatbestandsmerkmale wird für beide Normen zusammen vorgenommen. Bei grundlegenden Abweichungen werden die Unterschiede für jede Norm einzeln dargestellt.

4.2.1 Unternehmen und Unternehmensvereinigungen

Der Adressat beider Normen ist ein Unternehmen oder eine Unternehmensvereinigung.

4.2.1.1 Unternehmen

Der Unternehmensbegriff ist nicht explizit in § 1 GWB und Art. 101 Abs. 1 AEUV definiert. Im Laufe der Jahre hat jedoch die ständige Rechtsprechung des BGH und EuGH eine Definition entwickelt. Dabei ist insgesamt von einem funktionalen Unternehmensbegriff auszugehen, bei dem nicht entscheidend ist, wer handelt, sondern wie die Art der Handlung aussieht.[1]

Definition: Ein Unternehmen ist „jede Einheit, die eine wirtschaftliche Tätigkeit von gewisser Dauer ausübt, unabhängig von ihrer Rechtsform, der Art der Finanzierung und einer Gewinnerzielungsabsicht“.[2

Als zentrale Merkmale der Definition bilden die Begriffe "Einheit“ und "wirtschaftliche Tätigkeit“ den Kern des Unternehmensbegriffs.

4.2.1.1.1 Einheit

Als wirtschaftliche Einheit gelten sowohl natürliche Personen (Kaufleute, Handelsvertreter, Kommissionäre, Freiberufler, Künstler) als auch juristische Personen, Personalgesellschaften (AG, GmbH, OHG, KG, GbR) und diejenigen, die sich selbstständig am wirtschaftlichen Verkehr beteiligen können. Nicht eindeutig ist der Begriff der wirtschaftlichen Einheit unter anderem bei Konzernen.

4.2.1.1.2 Wirtschaftliche Tätigkeit

Das zweite zentrale Merkmal ist die wirtschaftliche Tätigkeit. Die wirtschaftliche Tätigkeit wird als „jede selbstständige Tätigkeit in der Erzeugung oder Verteilung wirtschaftlicher Güter oder gewerblicher Leistungen“[3] verstanden. Damit wird jede Tätigkeit erfasst, die in dem Angebot von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt besteht.

4.2.1.1.3 Beispiele aus der Praxis

Zur Verdeutlichung des Unternehmensbegriffs und zum besseren Verständnis werden Beispiele aus der Praxis erläutert.

4.2.1.1.3.1 Angehörige der freien Berufe

Sowohl bei § 1 GWB als auch bei Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen die Angehörigen der freien Berufe unter den Unternehmensbegriff. Angehörige der freien Berufe bieten Dienstleistungen am Markt im Wettbewerb mit anderen Berufsangehörigen gegen Entgelt an und erfüllen so das Merkmal der wirtschaftlichen Tätigkeit.[4]
Unter die Angehörigen der freien Berufe fallen nach der bisherigen Praxis der Rechtsprechung unter anderem Ärzte[5], Rechtsanwälte[6] oder selbstständige Zollspediteure[7].

4.2.1.1.3.2 Wissenschaftler und Künstler

Die wissenschaftliche und künstlerische Tätigkeit fällt als solche nicht unter den Unternehmensbegriff. Bieten Wissenschaftler, Künstler und Erfinder hingegen ihre Leistungen und Güter auf dem Markt an, werden auch sie unternehmerisch tätig. Insbesondere gilt dies für Verträge über Urheber-, Leistungsschutzrechte und Lizenzerteilungen.[8]
Etwas anderes gilt, wenn Wissenschaftler und Künstler aufgrund eines Dienstvertrages tätig werden. Dann werden sie nicht als Unternehmer, sondern lediglich als Arbeitnehmer angesehen. Künstler, die außerhalb ihres Dienstvertrages zusätzlich unternehmerisch tätig werden, fallen aber unter den Unternehmensbegriff.[9]

4.2.1.1.3.3 Arbeitnehmer

Arbeitnehmer fallen grundsätzlich nicht in den Adressatenkreis beider Normen, da sie abhängig und weisungsgebunden handeln und daher nicht als selbstständige und autonome Marktteilnehmer anzusehen sind.[10]
Von dem Grundsatz werden zwei Ausnahmen gemacht. Ein Arbeitnehmer ist dann als Unternehmen zu behandeln, wenn er neben seiner Beschäftigung zusätzlich auf eigene Rechnung selbstständig tätig wird.[11] Zweitens hat ein Arbeitnehmer in dem Fall eine Unternehmensstellung inne, wenn er für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einem Konkurrentenverbot bezüglich seiner selbstständigen Tätigkeit zustimmt.[12]

4.2.1.1.3.4 Gewerkschaften, Arbeitgeber und ihre Verbände

Gewerkschaften gelten als Anbieter und Nachfrager von Waren und Dienstleitungen auf dem Markt und sind damit grundsätzlich Unternehmen. Soweit sich jedoch die Tätigkeit der Gewerkschaften auf den Arbeitsmarkt und die Vereinbarung von Tarifverträgen bezieht, gilt die Gewerkschaft nicht als Unternehmen.[13]

Sobald Arbeitgeber am Markt wirtschaftlich als Anbieter oder Nachfrager von Waren und Dienstleistungen tätig werden, gelten auch sie als Unternehmen im Rahmen des Kartellrechts. Treten Arbeitgeber jedoch in ihrer Rolle als Tarifpartner auf, fallen sie nicht unter den Unternehmensbegriff.[14]

Arbeitgeberverbände werden hingegen nicht wirtschaftlich tätig, da sie weder als Anbieter noch als Nachfrager von Waren oder Dienstleitungen am Markt fungieren. Da ihre Mitglieder eine Unternehmenseigenschaft besitzen, gelten sie als Unternehmensvereinigungen.[15]

4.2.1.1.3.5 Konzerne

Auch wirtschaftliche Einheiten, die aus mehreren rechtlich selbstständigen, natürlichen und juristischen Personen gebildet werden, können dem Unternehmensbegriff unterfallen. Die Frage nach der Unternehmenseigenschaft und insbesondere nach der wirtschaftlichen Einheit stellt sich häufig, wenn nicht der Konzern selbst, sondern ein konzernangehöriges Unternehmen einen Kartellrechtsverstoß begeht.

Entscheidend sind die einheitliche Organisation und die dauerhafte Verfolgung eines wirtschaftlichen Zwecks von Mutter- und Tochtergesellschaft auf dem Markt. Die Bindung der Tochter- zur Muttergesellschaft muss zu einem derartigen Einfluss auf die Tochtergesellschaft führen, dass diese ihr Marktverhalten nicht mehr unabhängig bestimmt, sondern den Weisungen der Muttergesellschaft folgt.[16]

Sofern die Muttergesellschaft 100% der Anteile an der Tochtergesellschaft hält, wird widerlegbar vermutet, dass die Muttergesellschaft Einfluss auf die Tochtergesellschaft hat.[17] Der Muttergesellschaft steht es frei, Beweise für die Eigenständigkeit der Tochter vorzubringen. In wie weit eine Widerlegung der Vermutung gelingt, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.


[1] Zimmer in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, S. 34. Rn. 31.

[2] Kling/Thomas, Kartellrecht, S. 49, Rn. 5.

[3] Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 156, Rn. 15

[4] Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 158, Rn. 20; Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Auflage, S. 50, Rn.10.

[5] EuGH 12.9.2000 Slg. 2000 I-6497, 6521 Rn. 77 – Pavlov.

[6] EuGH v. 19.2.2002 – Rs. C-309/99, Slg. 2002, I-1577 – Wouters.

[7] Kommission v. 30.6.1993, Fall IV/33,407, ABl. EG Nr. L 203, S. 27 – CNSD.

[8] Zimmer in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, S. 47. Rn. 69.

[9] Zimmer in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, S. 47. Rn. 70 f.

[10] Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 161, Rn. 24; Zimmer in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, S. 36. Rn. 38.

[11] Zimmer in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, S. 36. Rn. 38; Emmerich in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 1. EU/Teil 1, S. 160, Rn. 24.

[12] Zimmer in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2. GWB/Teil 1, S. 38. Rn. 45.

[13] Kling/Thomas, Kartellrecht, 2. Auflage, S. 51, Rn.14.

[14] Ebenda Rn.15.

[15] Ebenda Rn. 15.

[16] Grave/Nyberg in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kommentar, Art. 101 Abs. 1 AEUV, S. 316, Rn. 165 f.

[17] Grave/Nyberg in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kommentar, Art. 101 Abs. 1 AEUV, S. 319, Rn. 172 f.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Preisabsprachen im Kartellrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Laura Macht, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-87-8.


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Stand: Januar 2018


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Tilo Schindele ist Dozent für Kartellrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
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