Kündigungsschutz und Kündigungsschutzklage – Teil 24 – Pflege eines nahen Angehörigen, Betreuung minderjähriger Pflegebedürftiger, Sterbebegleitung, Zeitraum des besonderen Kündigungsschutzes

8.2.3.1 Zur Pflege eines nahen Angehörigen nach § 3 I PflegeZG

Die Pflegezeit kann grundsätzlich zur Pflege eines nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung gem. § 3 I PflegeZG in Anspruch genommen werden. Hierbei kann sowohl eine vollständige, als auch eine teileweise Freistellung von der Arbeitsleistung gefordert werden, vgl. § 3 I S. 1 PflegeZG. Bei der teilweisen Freistellung ist nach § 3 IV PflegeZG die Verringerung und die Verteilung der Arbeitszeit schriftlich zu vereinbaren und dabei grundsätzlich den Wünschen der Beschäftigen zu entsprechen, sofern keinen betriebliche Gründe entgegenstehen.
Diese Pflegezeit kann für jeden Angehörigen nur einmal in Anspruch genommen werden.[1] Mithin beträgt die Höchstdauer nach § 4 I 1 PflegeZG sechs Monate.

Beispiel:
Der Beschäftigte A. Fiedler beginnt mit der Pflege seiner Ehefrau am 01.07.

  • Der Zeitraum der Inanspruchnahme endet bei voller Ausschöpfung am 31.12.

8.2.3.1.1 Naher Angehöriger

Der Begriff des nahen Angehörigen ergibt sich erneut aus § 7 III PflegeZG.[2] Es bestehen dahingehend keinerlei Unterschiede zum nahen Angehörigen innerhalb der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung.

8.2.3.1.2 Pflegebedürftig

Die Pflegebedürftigkeit richtet sich nach § 7 IV 1 PflegeZG.[3] Dementsprechend kann hier ebenfalls auf die Pflegebedürftigkeit innerhalb der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung verwiesen werden. Jedoch genügt eine voraussichtliche Pflegebedürftigkeit nicht.[4]

8.2.3.1.3 Pflege in häuslicher Umgebung

Entsprechend dem Zweck des Pflegezeitgesetzes, kann die Pflegezeit zur Pflege eines nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung beansprucht werden, vgl. § 3 I PflegeZG.
Insoweit muss spätestens zum Zeitpunkt der Ankündigung die ernsthafte Absicht bestehen eine Pflegeleistung zu erbringen.[5] Des Weiteren muss tatsächlich eine Pflegeleistung erbracht werden.[6] Dazu muss der Beschäftigte sowohl verfügbar, als auch objektiv und subjektiv dazu befähigt sein.[7]
In häuslicher Umgebung impliziert nicht notwendigerweise die häusliche Umgebung des Pflegebedürftigen.[8] Vielmehr kann der Pflegende ebenfalls in einen anderen Haushalt aufgenommen werden.[9] Ein Haushalt setzt eine eigene Kochmöglichkeit und einen eigenen Sanitärbereich voraus, sodass z.B. eine stationäre Pflegeeinrichtung nicht unter den Begriff Haushalt fällt.[10]

8.2.3.2 Zur Betreuung minderjähriger Pflegebedürftiger

Des Weiteren fällt die Betreuung eines pflegebedürftigen Minderjährigen in den Anwendungsbereich des besonderen Kündigungsschutzes. Dies ist häuslicher, aber auch in außerhäuslicher Umgebung möglich.
Anders als bei der Inanspruchnahme der Pflegezeit nach § 3 I PflegeZG, erfolgt die Freistellung nicht allein zur Pflege. Vielmehr soll der über die Pflege hinausgehende Betreuungsaufwand ermöglicht werden.[11]
Die Inanspruchnahme ist nur alternativ zur Pflegezeit aus § 3 I PflegeZG möglich, vgl. § 4 V 4 PflegeZG. Erneut beträgt die Höchstdauer gem. § 4 III 1 i.V.m. § 4 I 1 PflegeZG sechs Monate. Jedoch ist ein Wechsel zwischen der Pflegezeit und der Betreuung eines Minderjährigen innerhalb eines Rahmens von 24 Monaten möglich.[12]

8.2.3.3 Zur Sterbebegleitung

Nach § 3 VI PflegeZG wird dem Beschäftigten zudem ermöglicht, einen nahen Angehörigen in der letzten Lebensphase zu begleiten und dafür von seiner Arbeitsleistung freigestellt zu werden.[13] Dabei wird vorausgesetzt, dass die Erkrankung progredient verläuft und bereits so weit fortgeschritten ist, dass eine Heilung ausgeschlossen ist, eine palliativmedizinische Behandlung erforderlich ist und lediglich eine begrenzte Lebenserwartung von wenigen Wochen oder Monaten vorliegt, vgl. § 3 VI PflegeZG. Die Freistellung ist dabei auf drei Monate je nahem Angehörigen gem. § 4 III 2 PflegeZG beschränkt. Eine Ortsgebundenheit besteht nicht.[14]

8.2.3.4 Zeitraum des besonderen Kündigungsschutzes

Der Sonderkündigungsschutz beginnt mit dem Zugang der Ankündigung des Arbeitsnehmers. Diese Ankündigung ist nach § 3 III 1 PflegeZG an die Schriftform des § 126 BGB gebunden und muss spätestens zehn Arbeitstage vor Beginn der Freistellung erfolgen. Hierbei wird nicht auf die individuellen Arbeitstage, sondern auf die regelmäßigen Arbeitstage eines Vollzeitbeschäftigten abgestellt.[15] Allerdings beginnt der Sonderkündigungsschutz höchstens 12 Wochen vor dem angekündigten Beginn, vgl. § 5 I PflegeZG.
Mit Ablauf der Freistellung endet der besondere Kündigungsschutz nach § 5 PflegeZG. Einen angrenzenden Kündigungsschutz gibt es nicht.[16]


[1] BAG 15.11.2011, AP PflegeZG § 3 Nr 1 = NJW 2012, 1244.

[2] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 18.

[3] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 18.

[4] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 25.

[5] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 26.

[6] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 26.

[7] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 26.

[8] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 19.

[9] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 26.

[10] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 26.

[11] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 22.

[12] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 22.

[13] Vgl. dazu Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 23.

[14] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 23.

[15] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 26.

[16] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 28.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kündigungsschutz und Kündigungsschutzklage“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Paulina Zoe Linke, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-76-2.


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Stand: Januar 2017


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Tilo Schindele, Rechtsanwalt

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  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

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