Kündigungsschutz und Kündigungsschutzklage – Teil 22 – Besonderer Kündigungsschutz nach dem Pflegezeitgesetz

8 Besonderer Kündigungsschutz nach dem Pflegezeitgesetz

Das Pflegezeitgesetz trägt dem Wunsch der meisten Pflegebedürftigen Rechnung, in häuslicher Umgebung gepflegt zu werden. Insoweit schafft es arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen um die Pflege und Sterbebegleitung naher Angehöriger zu verwirklichen. Insoweit wird die Vereinbarkeit von familiärer Pflege und Erwerbstätigkeit angestrebt.[1] Zusätzlich zu den Maßnahmen wie z.B. die unbezahlte Freistellung von der Arbeit impliziert das Pflegezeitgesetz mit § 5 PflegeZG einen besonderen Kündigungsschutz für diese Ausnahmesituation.

8.1 Geltungsbereich

Der besondere Kündigungsschutz nach § 5 PflegeZG gilt für alle Beschäftigte i.S.v. § 7 I PflegeZG.
Beschäftige i.S.d. § 7 I Nr. 1 PflegeZG sind zunächst Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Dabei umfasst werden erneut sowohl Vollzeit-, als auch Teilzeitbeschäftigte sowie geringfügig Beschäftigte oder befristet Beschäftigte.[2]
Des Weiteren werden nach § 7 I Nr. 2 PflegeZG zur Berufsausbildung Beschäftigte einschließlich Praktikanten und Volontären in den Geltungsbereich einbezogen.[3]
Außerdem gilt der Sonderkündigungsschutz gem. § 7 I Nr. 3 PflegeZG, anders als zum Beispiel beim allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG, ebenfalls für arbeitnehmerähnliche Personen sowie Heimarbeiter und ihnen Gleichgestellte. Es wird somit nicht auf die Weisungsgebundenheit und die persönlich Abhängigkeit bezüglich Art, Ort und Zeit der Tätigkeit abgestellt[4], sondern vielmehr auf eine wirtschaftliche Abhängigkeit[5].

8.2 Voraussetzungen

Der besondere Kündigungsschutz nach dem PflegeZG wird grundsätzlich in den Fällen der kurzzeitiger Arbeitsverhinderung nach § 2 PflegeZG und bei der Inanspruchnahme von Pflegezeit gem. § 3 PflegeZG zu beachten sein.[6] Insoweit richten sich die Voraussetzungen nach den beiden Fallgruppen.

8.2.1 Beschäftigungsverhältnis

Als unstrittige Voraussetzung für den besonderen Kündigungsschutz nach § 5 PflegeZG wird in beiden Fällen ein Beschäftigungsverhältnis vorausgesetzt. Dies wird bereits bei dem persönlichen Geltungsbereich impliziert.

8.2.2 Bei kurzzeitiger Arbeitsverhinderung

Nach § 2 I PflegeZG können Beschäftigte bis zu zehn Arbeitstage der Arbeit fernbleiben, wenn eine akut aufgetretene Pflegesituation eines pflegebedürftigen, nahen Angehörigen es erforderlich macht, eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen.
Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Fehltage unweigerlich hintereinander ausgeübt werden, vielmehr ist eine Verteilung auf mehrere Zeitabschnitte möglich.[7]
Dieses Recht auf Leistungsverweigerung steht jedem Beschäftigten unabhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses oder der Größe des Betriebes oder Unternehmens zu.[8] Wie oft es im Jahr ausgeübt wird ist mithin nicht beschränkt.[9] Jedoch wird davon ausgegangen, dass bei jedem pflegebedürftigem Angehörigen nur einmal die Erforderlichkeit im konkreten Fall besteht.[10] Eine wiederholte Inanspruchnahme ist hingegen bei einem Pflegebedürftigen mit unterschiedlichen Krankheitssituationen weiter umfasst.[11]

8.2.2.1 Akute Pflegesituation

Für eine Inanspruchnahme der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung nach § 2 PflegeZG ist zunächst eine akute Pflegesituation erforderlich. Das Auftreten einer akuten Pflegesituation ist nicht unweigerlich mit dem Auftreten des Pflegebedarfs gleichzusetzen.[12]
Die akute Pflegesituation kann dementsprechend sowohl mit dem erstmaligen plötzlichen Einsetzen der Pflegebedürftigkeit eines nahen Angehörigen als auch mit dem Wegfall der normalerweise sichergestellten Pflege z.B. durch Erkrankung der pflegenden Person einhergehen.[13]
Die Pflegesituation muss folglich unerwartet und unvermittelt auftreten und darf nicht aus nicht rechtzeitig vorhergesehenen Umständen resultieren.[14] Dementsprechend kann nicht von einem akuten Fall ausgegangen werden, wenn der Pflegesituation ein längerer Krankenhausaufenthalt vorausging, welche eine solche Situation deutlich abzeichnete und genügend Zeit zur Organisation der Pflege geboten hätte.[15]

8.2.2.2 Erforderlichkeit der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung

Mithin müsste die kurzzeitige Arbeitsverhinderung erforderlich sein um die Pflege zu organisieren oder eine Versorgung diesbezüglich sicherzustellen. Dies impliziert zum Einen, dass der Beschäftigte dazu geeignet sein muss, und zum Anderen, dass eine anderweitige Versorgung mit geringeren Auswirkungen auf die Arbeitstätigkeit nicht möglich ist.[16]
Folglich fehlt es bereits an der Erforderlichkeit wenn eine andere geeignete Person die Pflege organisiert oder sicherstellt.[17]
Allerdings scheitert die Erforderlichkeit nicht schon daran, dass eine spätere Aufnahme der Arbeit genügen würde, da eine Teilfreistellung nicht von § 2 PflegeZG umfasst wird.[18]


[1] ErfK/Gallner, § 1 PflegeZG, Rn. 2.

[2] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 3

[3] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 4.

[4] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 5.

[5] ErfK/Gallner, § 5 PflegeZG, Rn. 1.

[6] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 14.

[7] Vgl. LAG Baden-Württemberg 31.03.2010 – 20 Sa 87/09 – ArbRb 2010, 204.

[8] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 6.

[9] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 16.

[10] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 18.

[11] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 16.

[12] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 10.

[13] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 10,

[14] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 17.

[15] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 17.

[16] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 13.

[17] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Böhm, § 5 PflegeZG, Rn. 18.

[18] Ascheid/Preis/Schmidt/Rolfs, § 5 PflegeZG, Rn. 13.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kündigungsschutz und Kündigungsschutzklage“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Paulina Zoe Linke, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-76-2.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

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Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

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  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
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