Kündigungsschutz und Kündigungsschutzklage – Teil 11 – Prognose künftiger Vertragsstörungen, keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit, Interessenabwägung, die ordentliche betriebsbedingte Kündigung

4.2.7.2.2 Prognose künftiger Vertragsstörungen

Zweck einer verhaltensbedingten Kündigung ist vor allem die Vermeidung weiterer Pflichtverletzungen. Insoweit findet erneut das Prognoseprinzip Anwendung ( --> 4.2.3). Dabei ist festzustellen, ob das vertragswidrige Verhalten so schwer wiegt, dass es sich künftig weiter belastend auswirkt oder ob man erneute gleichartige oder ähnliche Pflichtverletzungen zu erwarten hat.[1] Entscheidend ist hierbei ob man zukünftig mit vertragsgerechtem Verhalten rechnen kann.[2] In der Regel wird die negative Prognose erst nach einer Abmahnung zu treffen sein.[3] Die Abmahnung entspricht weiter dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und des ultima-ratio-Prinzips (--> 4.2.2). Die Kündigung wäre beim Vorliegen eines milderen Mittels unverhältnismäßig, insbesondere wenn andere Mittel zukünftige Vertragsstörungen ebenfalls so effektiv vermeiden würden.[4] Die Abmahnung stellt ein solches, milderes Mittel dar. Sie umfasst sowohl die Rügefunktion für das vertragswidrige Verhalten, als auch die Warnfunktion hinsichtlich kündigungsrechtlicher Konsequenzen.[5] Fehlt z.B. die Androhung kündigungsrechtlicher Konsequenzen, handelt es sich nicht um eine Abmahnung sondern eine Ermahnung bzw. eine Verwarnung.[6]

4.2.7.2.2.1 Rechtswirksame Abmahnung

Eine Abmahnung ist grundsätzlich erforderlich, wenn es um steuerbares Verhalten geht und das Vertrauen zum Arbeitnehmer wieder hergestellt werden kann.[7] Die Abmahnung müsste jedoch rechtswirksam sein. Dazu müssten deutlich erkennbar Leistungs- und Verhaltensmängel beanstandet werden und auf arbeitsrechtliche Konsequenzen bei einer Wiederholung hingewiesen werden.[8] Die Drohung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss insoweit hinreichend deutlich gemacht werden.[9]
Des Weiteren muss das Fehlverhalten des Arbeitnehmers genau bezeichnet werden.[10] Sie kann sowohl mündlich als auch schriftlich ausgesprochen werden[11] und ist nicht formbedürft, sofern nicht einzel- oder kollektivvertraglich etwas anderes vereinbart wurde[12]. Eine Anhörung des Arbeitnehmers vor der Abmahnung ist nicht erforderlich.[13] Im öffentlichen Dienst kann das Anhörungsrecht jedoch tarifvertraglichen geregelt sein.[14]
Berechtigt eine Abmahnung zu erteilen sind alle Mitarbeiter die befugt sind verbindliche Anweisungen hinsichtlich Ort sowie Zeit als auch Art und Weise der Arbeitsleistung zu erteilen.[15]

4.2.7.2.2.2 Rechtsfolgen einer unterlassenen Abmahnung

Hat der Arbeitgeber keine erforderliche Abmahnung erteilt, ist die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung nach § 1 II 1 KSchG und somit nach § 1 I KSchG unwirksam. Es fehlt allein schon an der Verhältnismäßigkeit und oft an der Grundlage für eine negative Prognose.

4.2.7.2.2.3 Unrichtige Abmahnung

Ist eine Abmahnung unrichtigerweise erteilt worden, kann der Arbeitnehmer eine Gegendarstellung verfassen die der Personalakte beizufügen ist, oder die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte fordern.[16] Eine Beseitigung kann somit z.B. gefordert werden:

  • wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist,[17]
  • wenn sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält[18]
  • oder nicht verhältnismäßig ist[19].

4.2.7.2.3 Keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit

Neben der Abmahnung muss weiter geprüft werden, ob eine andere Beschäftigungsmöglichkeit als milderes Mittel gegenüber der Kündigung besteht. Hierbei kann auf --> 4.2.7.1.3 verwiesen werden. Erneut ist jedoch darauf hinzuweisen, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung auch zumutbar sein muss. Dies hängt sowohl von der Intensität als auch den Folgen der Vertragspflichtverletzung ab.[20]

4.2.7.2.4 Interessenabwägung

Schlussendlich hat erneut eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller vorliegenden Umstände stattzufinden (--> 4.2.5 und 4.2.7.1.4). Hierbei sind die Interessen beider Seiten am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses einerseits und an der Beendigung andererseits gegeneinander abzuwägen.

4.2.7.3 Die ordentliche betriebsbedingte Kündigung

Die ordentliche betriebsbedingte Kündigung ermöglicht dem Arbeitgeber den Personalbestand an den Bedarf anzupassen. Die Kündigung hängt somit nicht mit der Person des Arbeitnehmers zusammen. Die betriebsbedingte Kündigung darf ausschließlich durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers entgegenstehen, bedingt sein. Dafür muss

  • der Arbeitsplatz auf Grund einer unternehmerischen Entscheidung entfallen,
  • es darf keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit vorhanden sein, und
  • bei der Auswahl der Arbeitnehmer muss eine „soziale Auswahl“ richtig getroffen worden sein.[21]

Ist eine der Voraussetzungen nicht erfüllt oder fehlerhaft durchgeführt worden, ist die betriebsbedingte Kündigung sozialwidrig und dadurch nach dem allgemeinen Kündigungsschutz des § 1 KSchG unzulässig.


[1] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Zimmermann, § 1 Teil D, Rn. 236.

[2] Ascheid/Preis/Schmidt/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 343.

[3] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Zimmermann, § 1 Teil D, Rn. 237.

[4] Vgl. BAG 23.1.2014 – 2 AZR 638/13, NZA 2014, 965; BAG 20.6.2013 – 2 AZR 583/12, NZA 2013, 1345.

[5] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Zimmermann, § 1 Teil D, Rn. 240.

[6] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Zimmermann, § 1 Teil D, Rn. 240.

[7] BAG 9.2.2006, AP BGB § 611 Dienstordnungsangestellte Nr. 75 = NZA 2006, 1046.

[8] BAG 19.4.2012 – 2 AZR 258/11, NZA-RR 2012, 567.

[9] Ascheid/Preis/Schmidt/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 348.

[10] Vgl. BAG 19.4.2012 – 2 AZR 258/11, NZA-RR 2012, 567.

[11] Ascheid/Preis/Schmidt/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 366.

[12] BAG 13.11.1991, AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 7 = NZA 1992, 690.

[13] Ascheid/Preis/Schmidt/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 366a.

[14] Ascheid/Preis/Schmidt/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 366a.

[15] BAG 18.1.1980, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 3 = DB 1980, 1351; Ascheid/Preis/Schmidt/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 408.

[16] Ascheid/Preis/Schmidt/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 414f.

[17] BAG 23.6.2009 – 2 AZR 606/08, NZA 2009, 1011.

[18] Vgl. BAG 20.1.2015 – 9 AZR 860/13, NZA 2015, 805.

[19] Vgl. BAG 13.11.1992 – 5 AZR 74/91, NZA 1992, 690.

[20] BAG 17.1.2008 – 2 AZR 752/06; BAG 6.10.2005 – 2 AZR 280/04 – NZA 2006, 431.

[21] Gallner/Mestwerdt/Nägele/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F, Rn. 660.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kündigungsschutz und Kündigungsschutzklage“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Paulina Zoe Linke, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-76-2.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Tilo Schindele, Rechtsanwalt

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und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

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