Kündigungsschutz und Kündigungsschutzklage – Teil 07 – Sozialwidrigkeit der Kündigung

4.1.3 Sechsmonatige Wartezeit

Der allgemeine Kündigungsschutz erfordert weiterhin eine Betriebs- oder Unternehmenszugehörigkeit über mindestens sechs Monate. Dies richtet sich nach dem rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses.[1] Dadurch soll dem Arbeitgeber die Möglichkeit geben werden, den Arbeitnehmer in Augenschein nehmen zu können. Währenddessen ist eine Kündigung nicht an einen Kündigungsgrund gebunden.[2]
Eine Verlängerung der Probezeit hat keine Auswirkungen auf die Wartezeit und hat keine Verzögerung des Kündigungsschutzes zur Folge.[3]
Vereinbarungen zum Nachteil des Arbeitnehmers sind unzulässig.[4] Demgegenüber sind einzelvertragliche Vereinbarungen zu Gunsten des Arbeitnehmers möglich.[5]

Beispiel 1:
Der zwischen Rita und Erik ausgehandelte Arbeitsvertrag enthält eine Abrede welche die Wartezeit um drei Monate verlängert.

  • Diese Verlängerung ist zum Nachteil der Arbeitnehmerin Rita und unzulässig.

Beispiel 2:
Diesmal enthält der Arbeitsvertrag zwischen Rita und Erik eine Vereinbarung über den Ausschluss der sechsmonatigen Wartezeit.

  • Dies ist zu Gunsten der Arbeitnehmerin Rita und dementsprechend zulässig.

Die Berechnung der Wartezeit richtet sich nach §§ 187, 188 BGB. Es kommt insofern auf den Zeitpunkt an, ab dem die Vertragsparteien ihre wechselseitigen Pflichten und Rechte begründen wollen.[6] Im Regelfall stellt dies den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses dar sofern die Arbeitsaufnahme unmittelbar folgt. Ansonsten ist auf die Arbeitsaufnahme abzustellen.[7] Verzögert sich der Arbeitsantritt ohne dass es der Arbeitgeber zu vertreten hat, ist dies ohne Auswirkungen für die Wartezeit. Dies ist vor allem der Fall, wenn der Arbeitnehmer durch z.B. Krankheit, Schwangerschaft oder Arbeitskampf an der Arbeitsaufnahme gehindert ist. Anderes gilt jedoch für Gründe, die der Arbeitnehmer zu vertreten hat, wie eine Urlaubsreise. Der Beginn der Wartezeit verschiebt sich in solchen Fällen entsprechend nach hinten.[8]

Für den allgemeinen Kündigungsschutz maßgeblich ist, dass die Wartezeit im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abgelaufen ist.[9] Gem. §§ 188 II Alt. 2 BGB endet die Wartezeit mit dem Ablauf des Tages des sechsten Monats, welcher dem Tag vorausgeht, der dem Anfangstag in seiner Benennung oder Zahl entspricht. Inwiefern der Ablauf der Frist auf ein Wochenende oder einen gesetzlichen Feiertag fällt ist unerheblich.[10]

Beispiel:
Gemäß der Vereinbarung mit dem Arbeitgeber Haase hat Arbeitnehmer Stefan am 01. April 2016 die Arbeit aufgenommen.

  • Seine sechsmonatige Wartezeit endet somit am 30. September 2016. Folglich fällt Stefan ab dem 01. Oktober in den Schutzbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes.

4.1.4 Ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber

Der allgemeine Kündigungsschutz nach § 1 KSchG greift lediglich bei einer ordentlichen Kündigung durch einen Arbeitgeber, vgl. § 1 I KSchG. Umfasst wird somit auch eine ordentliche Änderungskündigung. Das KSchG findet jedoch keine Anwendung, wenn lediglich die fehlende Zustimmung des gesetzlichen Vertreters geltend gemacht wird, oder die Willenserklärung die zum Arbeitsvertrag führte angefochten wird.[11]

4.2 Sozialwidrigkeit der Kündigung

§ 1 I KSchG erklärt Kündigungen für unwirksam, die bei Berücksichtigung aller Anwendungsvoraussetzungen sozial ungerechtfertigt sind.
Nach § 1 II 1 KSchG sind Kündigungen sozial ungerechtfertigt, sofern sie nicht auf Gründen, die in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder dringenden betrieblichen Erfordernissen beruhen, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in dem Betrieb entgegenstehen. Insoweit werden drei Fallgruppen gebildet, die relative Gründe für die Sozialwidrigkeit darstellen:

  • Personenbedingte Gründe
  • Verhaltensbedingte Gründe
  • Dringende betriebliche Erfordernisse

In den Fällen der relativen Unwirksamkeitsgründe ist eine Interessenabwägung nach Berücksichtigung der konkreten Umstände erforderlich.[12] Hierbei findet zudem der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das ultima-ratio-Prinzip sowie das Prognoseprinzip Anwendung.
Daneben kommen zudem gem. § 1 II 2, 3 die absoluten Unwirksamkeitsgründe in Betracht. Danach ist eine ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie gegen eine Richtlinie nach § 95 BetrVG verstößt oder eine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung in demselben oder einem weiteren Betrieb des Unternehmens vorliegt und der Betriebsrat der Kündigung in Folge dessen form- und fristgerecht nach § 102 II BetrVG widersprochen hat.

4.2.1 Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses

Unabhängig vom Kündigungsgrund erfordert die soziale Rechtfertigung der Kündigung eine Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses.[13] Relevant sind hierbei nur erhebliche Beeinträchtigungen der unternehmerischen Interessen.[14] Somit sind geringfügige Störungen des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber hinzunehmen.[15] Jedoch ist die Erheblichkeit der Störung keinesfalls mit der Unzumutbarkeit i.S.d. § 626 I BGB gleichzusetzen.[16] Vielmehr sind alle Beeinträchtigungen kündigungsrechtlich irrelevant, die keinerlei Auswirkungen auf die Erfüllung der vertraglichen Pflichten haben.[17]

Beispiel 1:

  • Der Arbeitgeber stört kündigungsrechtlich relevant, wenn er dem Arbeitnehmer keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr anbietet.

Beispiel 2:

  • Der Arbeitnehmer stört kündigungsrechtlich relevant, wenn er z.B. seiner Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung nicht mehr nachkommt.

[1] KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG, Rn. 99.

[2] Vgl. zu diesem Absatz Stahlhacke/Preis/Vossen, § 1, Rn. 866.

[3] Stahlhacke/Preis/Vossen/Preis, Rn. 868.

[4] BAG 20.02.2014 NZA 2014, 1983.

[5] BAG 20.02.2014 NZA 2014, 1983; BAG 24.11.2005 NZA 2006, 366.

[6] BAG 24.10.2013, NZA 2014, 725.

[7] BAG 24.10.2013, NZA 2014, 725.

[8] Vgl. zu diesem Absatz Ascheid/Preis/Schmidt/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 30.

[9] KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG, Rn. 102.

[10] Ascheid/Preis/Schmidt/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 30.

[11] ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 54.

[12] Ascheid/Preis/Schmidt/Vossen, § 1 KSchG, Rn. 61.

[13] BAG 30.04.1987 NZA 1987, 776, 777.

[14] ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 67.

[15] ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 67.

[16] HHL/Krause, Rn. 183.

[17] ErfK/Oetker, § 1 KSchG, Rn. 68.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kündigungsschutz und Kündigungsschutzklage“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Paulina Zoe Linke, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-76-2.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem

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und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

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Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
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