Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 29 – Das Fusionskontrollverfahren


Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt

Constantin Raves
Rechtsanwalt


7.3 Das Fusionskontrollverfahren

Das europäische sowie das deutsche Fusionskontrollverfahren basiert auf dem Grundsatz einer präventiven Zusammenschlusskontrolle mit einer Anmeldungspflicht des Zusammenschlussvorhabens vor dessen Vollzug und einer Vollzugssperre während der Dauer des Prüfungsverfahrens.

7.3.1 Ablauf des europäischen Fusionskontrollverfahren

Die Art. 4 und 6 ff. FKVO regeln das europäische Fusionskontrollverfahren. Um einen Überblick über selbiges zu erhalten, wird das Verfahren im Folgenden schematisch dargestellt. Das Verfahren lässt sich in folgende Abschnitte unterteilen:

I. Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens (Art. 4 FKVO)

  • Anmeldung durch die beteiligten Unternehmen nach Vertragsabschluss, Veröffentlichung des Übernahmeangebots oder Kontrollerwerb vor Vollzug (Art. 4 Abs. 1 FKVO)
  • Anmeldung zuverlässig beabsichtigter Zusammenschlüsse (Art. 4 Abs. 1 UAbs. 1 und 2)
  • Verwendung des Formblatts CO der Verordnung (EG) Nr. 802/2004

II. Eintritt in das Vorverfahren (Art. 6 FKVO)

  • Freigabe oder Verfahrenseinleitung innerhalb Monatsfrist
  • Entscheidung innerhalb von 25 Arbeitstagen
  • Freigabeentscheidung (Abs. 1 lit. b)
  • Einleitung des Hauptverfahrens (Abs. 1 lit. c)
  • Entscheidung, dass Zusammenschluss nicht der FKVO unterfällt (Abs. 1 lit. a)

ODER

  • Eintritt in verlängertes Vorverfahren
  • Verlängerung auf 35 Arbeitstage
  • Freigabeentscheidung (Abs. 1 lit. b)
  • Verfahrenseinleitung (Abs. 1 lit. c)

III. Eintritt in das Hauptverfahren (Art. 8 FKVO)

  • Entscheidung innerhalb von 90 Arbeitstagen (Art. 10 Abs. 3 FKVO):
  • Freigabeentscheidung gem. Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 und 4 FKVO
  • Untersagungsentscheidung gem. Art. 8 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 3 und 4 FKVO
  • Auflösung eines vollzogenen Zusammenschlusses gem. Art. 8 Abs. 4 FKVO
  • Verweisung an eine nationale Kartellbehörde gem. Art. 9 FKVO

7.3.1.1 Das europäische Verweisungssystem in Fusionssachen

Die FKVO-sieht verschiedene Möglichkeiten einer Verweisung der Prüfzuständigkeit bei Zusammenschlüssen von gemeinschaftsweiter Bedeutung vor. Je nach Vorliegen weiterer Voraussetzungen kommt in Betracht ein eine Verweisung an:

  • die nationalen Kartellbehörden oder
  • die Kommission.
7.3.1.1.1 Verweisung an die nationalen Kartellbehörden

Die EG-FKVO sieht partiell eine Verweisung der Prüfungszuständigkeit bei Zusammenschlüssen von gemeinschaftsweiter Bedeutung an die nationalen Kartellbehörden der EU-Mitgliedsstaaten vor. Diese kann einmal nach Art. 4 Abs. 4 FKVO auf Antrag der Betroffenen durch Entscheidung der Kommission erfolgen, wenn der Zusammenschluss den Wettbewerb in einem Markt innerhalb eines Mitgliedsstaates, der alle Merkmale eines gesonderten Marktes aufweist, erheblich beeinträchtigen könnte und er deshalb ganz oder teilweise von diesem Mitgliedstaat geprüft werden sollte und sofern der genannte Mitgliedstaat einer solchen Verweisung nicht widerspricht.

Eine Verweisung ist darüber hinaus nach Art. 9 FKVO möglich. Wenn ein Mitgliedstaat der Kommission mitteilt, dass ein Zusammenschluss den Wettbewerb auf seinem nationalen Markt erheblich zu beeinträchtigen droht oder wenn ein Zusammenschluss den Wettbewerb auf einem Markt in diesem Mitgliedstaat beeinträchtigen würde, kann auf Antrag des betroffenen Mitgliedstaats die Kommission, falls sie nicht selbst entscheiden will, die Sache an die nationale Kartellbehörde verweisen.

7.3.1.1.2 Verweisung an die Kommission

Wenn ein Zusammenschluss zwar noch keine gemeinschaftsweite Bedeutung im Sinne von Art. 1 FKVO aufweist, er aber nach dem Wettbewerbsrecht mindestens dreier Mitgliedstaaten geprüft werden könnte, kann er auf Antrag der Unternehmen von der Kommission geprüft werden, falls keiner der betroffenen Mitgliedstaaten sich dagegen verwehrt.

Unbeschadet dessen ist auch nach Art. 22 FKVO eine Verweisung auf Antrag eines oder mehrere Mitgliedstaaten möglich, obwohl es an der gemeinschaftsweiten Bedeutung im Sinne des Art. 1 FKVO fehlt, wenn durch den Zusammenschluss der Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt wird und eine erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs im Hoheitsgebiet des bzw. der antragstellenden Mitgliedstaaten droht. Der Zusammenschluss wird dann von der Kommission nach den Regeln der FKVO geprüft, falls die genannten Voraussetzungen nach Auffassung der Kommission vorliegen.

7.3.1.2 Vollzugsverbot

Durch die Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens wird das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO bis zur Freigabe des Zusammenschlusses nach den Art. 6 Abs. 1 lit. b und 8 Abs. 1 und Abs. 2 FKVO ausgelöst.
Ausnahmen von diesem Verbot finden sich in Art. 7 Abs. 2 und 3 FKVO. Zu nennen sind die Ausnahmen für öffentliche Übernahmeangebote sowie für bestimmte Wertpapiergeschäfte. Nach Art. 7 Abs. 3 FKVO kann die Kommission zudem die Befreiung vom Verbot erteilen.
Rechtsgeschäfte, die gegen das Verbot verstoßen, sind gem. Art. 7 Abs. 4 UAbs. 1 FKVO bis einer späteren Entscheidung der Kommission schwebend unwirksam. Zudem ist ein Verstoß gem. Art. 14 Abs. 2 lit. b) FKVO bußgeldbewehrt.

7.3.1.3 Rechtschutz gegen Entscheidungen im Fusionskontrollverfahren

Die beteiligten Unternehmen können sämtliche Entscheidungen und Beschlüsse der Kommission nach Art. 263 Abs. 4 AEUV anfechten, soweit sie durch die angegriffene Entscheidung beschwert sind. Dies ist zu verneinen, wenn die Entscheidung der Kommission die Freigabe des Zusammenschlussvorhaben beinhaltet.
Liegen die Voraussetzungen des Art. 263 Abs. 4 AEUV vor, können Dritte sowie insbesondere die Konkurrenten der beteiligten Unternehmen eine Freigabeentscheidung der Kommission anfechten. Hierzu müssen sie durch die Entscheidung oder den Beschluss unmittelbar und individuell betroffen sein. Dies ist zu bejahen, wenn sie am Verwaltungsverfahren beteiligt waren und ihre Marktstellung durch den Zusammenschluss unmittelbar beeinträchtigt wird.[1]


7.3.2 Ablauf des deutschen Fusionskontrollverfahren

Die §§ 39 ff. GWB regeln das deutsche Fusionskontrollverfahren. Wie bereits das europäische Fusionskontrollverfahren, soll es folgend schematisch dargestellt werden:

I. Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens (§ 39 GWB)

  • Anmeldung durch die beteiligten Unternehmen, im Falle des Vermögens- und Anteilserwerbs auch durch den Veräußerer
  • Verwendung des Anmeldeformulars des BKartA zur Fusionskontrolle

II. Eintritt in das Vorprüfverfahren (§ 40 Abs. 1 GWB)

  • Entscheidung innerhalb Monatsfrist:
  • formlose Mitteilung der Nichteinleitung eines Hauptprüfverfahrens
  • Freigabefiktion des § 40 Abs. 1 S. 1 GWB, wenn keine Entscheidung binnen eines Monats
  • Einleitung des Hauptverfahrens (§ 40 Abs. 1 S. 2 GWB)

III. Eintritt in das Hauptverfahren (§ 40 Abs. 2 GWB)

  • Entscheidung innerhalb von 4 Monaten (Fristbeginn mit vollständiger Anmeldung):
  • Freigabeentscheidung gem. § 40 Abs. 2 S. 1 GWB
  • Untersagungsentscheidung gem. § 40 Abs. 2 S. 1 GWB
  • Freigabefiktion des § 40 Abs. 2 S. 2 GWB, wenn keine Entscheidung binnen vier Monaten.

7.3.2.1 Vollzugsverbot

Auch im deutschen Fusionskontrollrecht gibt es das Vollzugsverbot für Zusammenschlüsse vor der Freigabe durch das BKartA oder einer gleichgestellten Freigabefiktion. Rechtsgeschäfte, die gegen das Vollzugsverbot verstoßen, sind gem. § 41 Abs. 1 S. 2 GWB schwebend - d.h. bis zu ihrer Genehmigung - unwirksam. Ein Verstoß kann gem. § 81 Abs. 2 Nr. 1 GWB mit einem Bußgeld geahndet werden.

7.3.2.2 Rechtsschutz gegen Entscheidungen im Fusionskontrollverfahren

Gem. § 63 GWB können die beteiligten Unternehmen gegen eine Untersagungsentscheidung beim OLG Düsseldorf Beschwerde einlegen, die jedoch gem. § 64 Abs. 1 GWB grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat, d.h. ein Zusammenschluss bleibt verboten und darf nicht vor der gerichtlichen Entscheidung über die Beschwerde durchgeführt werden. Dritte, die nicht selbst am Zusammenschluss beteiligt sind, können gegen eine Freigabeentscheidung nach Maßgabe des § 63 Abs. 2 GWB vorgehen.


[1] EuG WuW/E EU-R 1079 (10102 f. Tz. 30 ff.) – easyJet; NZKart 2014, 26 Tz. 34 ff. – Microsoft/Skype.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.



Autor(-en):
Tilo Schindele
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Constantin Raves
Rechtsanwalt


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele berät und vertritt bei Verstößen im Bereich des unlauteren Wettbewerbs, sei es im außergerichtlichen Bereich der Abmahnungen und Abschlussschreiben, im Bereich der einstweiligen Verfügungen oder in gerichtlichen Hauptsacheverfahren. Er prüft Werbeauftritte wi Internetseiten und Prospekte zur Vermeidung von Abmahnrisiken und verhandelt Vertragsstrafevereinbarungen zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr zwischen Verletzern und Verletzten.

Tilo Schindele ist Dozent für Kartellrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
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