Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 27 – Besonderheiten der deutschen Zusammenschlusskontrolle


Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt

Constantin Raves
Rechtsanwalt


7.2 Besonderheiten der deutschen Zusammenschlusskontrolle

Die nationalen Regelungen zur Verhinderung einer erheblichen Behinderung des wirksamen Wettbewerbes gelten genauso wie die europäischen Regelungen präventiv als Marktstrukturkontrolle und sind im GWB geregelt. Die Regelungen des GWG und der FKVO laufen weitgehend parallel.

7.2.1 Normadressaten

Die Normadressaten der deutschen Zusammenschlusskontrolle sind Unternehmen. Konzerne werden aufgrund der Regelung in § 36 Abs. 2 S. 1 GWB als ein einheitliches Unternehmen angesehen. Personen oder Personenvereinigungen gelten gem. § 36 Abs. 3 GWB als Unternehmen, wenn ihnen die Mehrheitsbeteiligung an einem Unternehmen zusteht (sog. "Flick-Klausel").

7.2.2 Der Zusammenschlussbegriff des § 37 GWB

§ 37 GWB regelt den Tatbestand des deutschen Zusammenschlussbegriffs. Anders als die europäische Fusionskontrolle werden danach auch Zusammenschlüsse unterhalb der Beherrschungsschwelle erfasst. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit an eine vollständige Anpassung des deutschen an das europäische Fusionskontrollrecht verzichtet und lediglich den Kontrollerwerb gem. § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB angepasst.

7.2.2.1 Vermögenserwerb (§ 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB)

Ein Zusammenschluss durch Vermögenserwerb setzt gem. § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB voraus, dass ein Unternehmen das ganze oder einen wesentlichen Teil des Vermögens eines anderen Unternehmens erwirbt. Unter Vermögen ist die Gesamtheit aller geldwerten Güter und Rechte eines Unternehmens, das sog. Aktivvermögen, zu verstehen. Vermögensteile sind wesentlich, wenn sie im Verhältnis zum Gesamtvermögen wesentlich, d.h. quantitativ ausreichend hoch sind (z.B. 80 % des Gesamtvermögens) oder eine betriebliche Teileinheit bilden, der im Hinblick auf die Marktstellung des Veräußerers qualitativ eine eigenständige Bedeutung zukommt (z.B. räumlich abgrenzbare Betriebsstätten).[1]

7.2.2.2 Kontrollerwerb (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB)

Der deutsche Kontrollerwerb gem. § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB wurde dem europäischen Fusionskontrollrecht entlehnt. Demnach kann ein Kontrollerwerb durch den Erwerb von Eigentums- oder Nutzungsrechten, einer Mehrheitsbeteiligung, durch Unternehmensverträge oder in sonstiger Wiese erlangt werden. Zu den Einzelheiten kann auf die Ausführungen im europäischen Fusionskontrollrecht verwiesen werden.[2]

7.2.2.3 Anteilserwerb (§ 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB)

Den in der Praxis des BKartA wichtigsten Anwendungsfall bildet der Anteilserwerb gem. § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB. Er setzt voraus, dass durch den Erwerb von Anteilen die Anteilsschwellen des § 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 GWB erreicht werden. Diese liegen bei 25 % und 50 % und stellen selbstständige Zusammenschlüsse dar. Jeder Erwerb, der einen der beiden Schwellenwerte erreicht, ist anzuzeigen und führt zu einem eigenständigen Fusionskontrollverfahren.
Bei der Berechnung der Anteile des gem. §§ 36 Abs. 2, 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 und 3 GWB folgende Anteile mitzuzählen: die Anteile eines Unternehmens, das mit dem Erwerber im Sinne von § 36 Abs. 2 GWB verbunden ist, die Anteile, die einem Dritten für Rechnung des erwerbenden Unternehmens gehören und die vom Inhaber des erwerbenden Unternehmens als sonstiges (Privat-)Vermögen gehaltene Anteile, sofern dieser Einzelkaufmann ist.[3]

7.2.2.4 Wettbewerblich erheblicher Einfluss gem. § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB

Erfasst ein Anteilserwerb die untere Anteilsschwelle von 25 % nicht, kann der Zusammenschluss gem. § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB trotzdem in den Anwendungsbereich des deutschen Fusionskontrollrechts fallen, wenn der Erwerb trotzdem die Rechtsstellung einer aktienrechtlichen Sperrminorität vermittelt. § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB fungiert demnach als Auffangtatbestand, der alle Zusammenschlüsse von Unternehmen erfasst, aufgrund derer unmittelbar oder mittelbar ein wettbewerblich erheblicher Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausgeübt werden kann. Hierbei genügt jede gesellschaftsrechtliche Möglichkeit der Einflussnahme.[4]

7.2.2.5 Verstärkung einer bereits bestehenden Unternehmensverbindung (§ 37 Abs. 2 GWB)

Im Laufe der Zeit ist es möglich, dass zwischen den gleichen mehrere Zusammenschlüsse stattfinden. Dies liegt beispielsweise dann vor, wenn ein Unternehmen zunächst eine Minderheitsbeteiligung erwirbt und diese dann später auf eine Mehrheitsbeteiligung erhöht. § 37 Abs. 2 Hs. 2 GWB regelt für eine solche Konstellation, dass kein neuer Zusammenschluss im Sinne des § 37 Abs. 1 GWB vorliegt, wenn die bereits bestehende Unternehmensverbindung nicht wesentlich verstärkt wird.
Gem. § 37 Abs. 3 GWB liegt ebenso kein Zusammenschluss vor, wenn Kredit- oder Finanzinstitute sowie Versicherungsunternehmen Anteile zum Zwecke der Weiterveräußerung erwerben, solange die Beteiligungen innerhalb eines Jahres veräußert und zwischenzeitlich keine Stimmrechte ausgeübt werden.


[1] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 33 Rn. 3-7.

[2] S. Kapitel 7, 7.1, 7.1.1.2.

[3] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 33 Rn. 20-29.

[4] Thomas, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Auflage 2014, § 37 GWB, Rn. 336-346.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.



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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Portrait Tilo-Schindele

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