Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 12 – Unternehmen als Normadressaten, Abgrenzung des relevanten Marktes


Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt

Constantin Raves
Rechtsanwalt


5.1.1 Unternehmen als Normadressaten

Marktbeherrschende Unternehmen sind die Adressaten des Missbrauchsverbots. Der Unternehmensbegriff ist insoweit mit dem in Art. 101 AEUV identisch.(Fußnote)

5.1.2 Abgrenzung des relevanten Marktes

Das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV ist vom sog. Marktmachtkonzept geprägt. Nach diesem Prinzip ist die wirtschaftliche Macht immer in Bezug auf einen bestimmten - den relevanten - Markt zu ermitteln. Daher muss dieser sachlich, zeitlich und räumlich abgegrenzt werden.(Fußnote)
Die Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes spielt im Rahmen des Missbrauchsverbots des Art. 102 AEUV eine wesentlich größere Rolle als bei der Prüfung des Art. 101, da ihr hier die Aufgabe zukommt, diejenigen Unternehmen zu identifizieren, die mit dem jeweils sachlich relevanten Markt in einem bestimmten Raum tatsächlich konkurrieren, da erst danach die Marktposition des fraglichen Unternehmens zutreffend abgeschätzt werden kann.

5.1.2.1 Kriterien an den Markt

Die maßgeblichen Kriterien wechseln je nach den betroffenen Märkten und deren Eigenarten. Neben der immer zu berücksichtigenden Nachfrage- und Angebotssubstituierbarkeit spielt die Einheitlichkeit der Preise im Raum eine zentrale Rolle. Können Abnehmer an unterschiedlichen Orten zum selben Preis einkaufen, gehören sie zum selben Markt. Besteht dagegen die Möglichkeit zu Preisdiskriminierungen zwischen den Abnehmergruppen an verschiedenen Plätzen, so deutet dies auf getrennte räumliche Märkte hin, weil dafür unter anderem Voraussetzung ist, dass ein Handel der Abnehmer untereinander nicht möglich ist.(Fußnote)
Im Einzelnen ist zwischen lokalen, regionalen, nationalen, europaweiten und Weltmärkten, je nach den unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen, zu unterscheiden.
Lokale Märkte bestehen z.B. für die Erbringung von Bodenabfertigungsdiensten auf Flughäfen, weil die Anbieter gerade auf diejenigen Flughäfen, auf denen sie tätig werden wollen, angewiesen sind(Fußnote), aber auch - aus denselben Gründen, für die Erbringung von Lotsendiensten in einem großen Hafen.(Fußnote)
Im Bahn- und Flugverkehr bildet jede Verbindung zwischen zwei Städten einen eigenen Markt, weil die Nachfrager nach Transportleistungen zu einem Ort schwerlich auf Verbindung nach anderen Orten ausweichen können.(Fußnote)

5.1.2.2 Wesentlicher Teil

Aufgrund der oben genannten Kriterien, kann es dazu kommen, dass es zur Abgrenzung sehr enger räumlicher Märkte kommt. Da die Aufgabe des Art. 102 AEUV nicht ist, auf kleinen lokalen Märkten den wenigen dort tätigen Unternehmen einen Schutz gegen Machtmissbräuche marktbeherrschender Unternehmen zu schaffen, fügt Art. 102 S. 1 AEUV hinzu, dass das Missbrauchsverbot nur Anwendung findet, wenn der jeweilige Markt zugleich einen "wesentlichen Teil" des Marktes bildet.
Hierfür maßgeblich ist die Relevanz des betreffenden Marktes für den Wettbewerb in der Union. Folglich werden nur solche Märkte erfasst, deren Entwicklung für den Wettbewerb in der Union wichtig ist. Für die Beurteilung der Relevanz stellt der Gerichtshof vor allem auf die Struktur des betreffenden Marktes sowie auf die Größe und Umfang der Produktion und des Verbrauchs auf diesem Markt ab.(Fußnote)
Aufgrund dessen können selbst Produktions- und Verbrauchsanteile von deutlich unter 10 % des unionsweiten Marktvolumens für die Annahme eines wesentlichen Teils des Marktes ausreichen, insbesondere, wenn die nationalen Märkte noch getrennt sind. Infolgedessen bilden einen wesentlichen Teil des Binnenmarktes nicht nur das Gebiet jedes Mitgliedsstaates(Fußnote) sowie bedeutende Teile zumindest der großen EU-Mitgliedsstaaten(Fußnote), sondern je nach Fall auch schon ein einziger bedeutender Flug- oder Seehafen.(Fußnote)


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.



Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt

Constantin Raves
Rechtsanwalt


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


Wir beraten Sie gerne persönlich, telefonisch oder per Mail. Sie können uns Ihr Anliegen samt den relevanten Unterlagen gerne unverbindlich als PDF zumailen, zufaxen oder per Post zusenden. Wir schauen diese durch und setzen uns dann mit Ihnen in Verbindung, um Ihnen ein unverbindliches Angebot für ein Mandat zu unterbreiten. Ein Mandat kommt erst mit schriftlicher Mandatserteilung zustande.
Wir bitten um Ihr Verständnis: Wir können keine kostenlose Rechtsberatung erbringen.


Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele berät und vertritt bei Verstößen im Bereich des unlauteren Wettbewerbs, sei es im außergerichtlichen Bereich der Abmahnungen und Abschlussschreiben, im Bereich der einstweiligen Verfügungen oder in gerichtlichen Hauptsacheverfahren. Er prüft Werbeauftritte wi Internetseiten und Prospekte zur Vermeidung von Abmahnrisiken und verhandelt Vertragsstrafevereinbarungen zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr zwischen Verletzern und Verletzten.

Tilo Schindele ist Dozent für Kartellrecht bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Seminare und Vorträge unter anderem zu folgenden Themen an:

  • Herausforderung Online-Vertrieb: Vertriebssysteme rechtssichert gestalten, kartellrechtliche Risiken vermeiden
  • Kartellrecht für die Unternehmenspraxis: Risiken erkennen und vermeiden

Kontaktieren Sie Rechtsanwalt Tilo Schindele unter: 
Mail: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de 
Telefon: 0721-20396-28

Normen: Art. 102 AEUV

Mehr Beiträge zum Thema finden Sie unter:

RechtsinfosKartellrecht