Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 11 – Missbrauchsverbot


Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt

Constantin Raves
Rechtsanwalt


4.2.2 Wettbewerbsregeln (§§ 24 – 27 GWB)

Die §§ 24 ff. GWB über Wettbewerbsregeln intendieren eine praktisch wirksame Förderung der Lauterkeit des Wettbewerbs und dürfen insoweit nach Art. 3 Abs. 3 EG-KartVerfVO als nationales Recht weiterhin zulässig sein, auch wenn ihnen eine Einwirkung auf den zwischenstaatlichen Handel zukommt. Der Sache nach geht es darum, dass Unternehmensverbände für ihren jeweiligen Bereich unter der Aufsicht der Kartellbehörden konkret regeln, welche Verhaltensweisen als unlauter anzusehen sind und demgemäß nach dem UWG zu unterbleiben haben.[1]

4.2.3 Weitere Sonderregeln

In der gleichen Wiese gehen Sonderregeln für den Bereich der Landwirtschaft (§ 28 GWB) und die Vorschrift über die Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften (§ 30 GWB) davon aus, dass insoweit ein europarechtliches Verbot nicht eingreift.
Die Preisbindung für Bücher ist aus kulturpolitischen Gründen ausdrücklich aufgrund eines besonderen Gesetzes erlaubt, wenngleich dies wettbewerbspolitisch nicht unumstritten ist.

5 Missbrauchsverbot

Das europäische und auch das deutsche Kartellrecht sehen jeweils ein Missbrauchsverbot vor. Während das europäische Kartellrecht Missbrauchsfälle von marktbeherrschenden Unternehmen untersagt setzt das deutsche Kartellrecht schon unterhalb der Marktbeherrschungsschwelle an.

5.1 Missbrauchsverbot des europäischen Kartellrechts (Art. 102 AEUV)

Das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV bildet neben dem Kartellverbot des Art. 101 AEUV die zweite Säule des europäischen Kartellrechts. Nach Art. 102 S. 1 AEUV ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen verboten, soweit die missbräuchliche Ausnutzung dazu führen kann, den Handel zwischen den EU-Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen.
Dies ist gem. Art. 102 S. 2 AEUV "insbesondere" dann der Fall, wenn eines der in der Vorschrift genannten Regelbeispiele eines Missbrauchs vorliegt.

Die Regelung des Missbrauchsverbots hat vor allem die Aufgabe, marktmächtige Unternehmen daran zu hindern, das ordnungsmäßige Funktionieren des Systems unverfälschten Wettbewerbs zu stören. Hierbei enthält die Vorschrift kein generelles Monopolisierungsverbot, sondern wendet sich bloß gegen die missbräuchliche Ausnutzung einer bereits bestehenden beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder einen wesentlichen Teil desselben. Der erstmalige Aufbau einer monopolartigen, marktmächtigen Stellung ist ebenso wenig wie ihr Bestand vom Anwendungsbereich des Art. 102 AEUV erfasst.[2]
Vom erstmaligen Aufbau und dem Bestand einer beherrschenden Stellung muss allerdings der weitere Ausbau sowie die Übertragung der beherrschenden Stellung auf dritte Märkte unterschieden werden, bei denen Art. 102 AEUV je nach den Umständen des Einzelfalls zur Anwendung kommen kann.[3]
Wie die Beispielstatbestände des Art. 102 S. 2 lit. a und b AEUV zeigen, hatten die Verfasser des AEU-Vertrages bei der Konzipierung des Missbrauchsverbots vor allem Fälle des Ausbeutungsmissbrauchs im Auge. Daneben gleichberechtigt steht allerdings der Schutz anderer Unternehmen gegen ihre Behinderung im Wettbewerb durch missbräuchliche Verhaltensweisen von Unternehmen in beherrschender Stellung, wie die Beispielstatbestände des Art. 102 S. 2 lit. c und d AEUV zeigen.
Bei Vorliegen anderer Missbrauchsformen kann schließlich auf die Generalklausel des Art. 102 S. 1 AEUV zurückgegriffen werden.

Das Kartellverbot auf der einen Seite sowie das Missbrauchsverbot auf der anderen Seite schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern könnten je nach den Umständen des einzelnen Falls auch nebeneinander anwendbar sein.[4] Einer der wichtigsten Fälle stellt hierbei die missbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung von Kartellen dar. Da auch nach Art. 101 Abs. 3 AEUV freigestellte Vereinbarungen von Unternehmen ihre Machtstellung auf dem relevanten Markt nicht in einer Weise missbrauchen dürfen, die gegen Art. 102 AEUV verstoßen könnte, ist es dabei irrelevant, ob das Kartell verboten oder erlaubt ist. Folge ist, dass selbst Vereinbarungen, die unter eine der Gruppenfreistellungsverordnungen fallen, unabhängig vom Art. 101 Art. 3 AEUV nichtig sind, sofern ihr Abschluss im Einzelfall einen Missbrauch im Sinne des Art. 102 AEUV darstellt.[5]
Gleich verhält es sich bei Unternehmenszusammenschlüssen, die einerseits aufgrund der Fusionskontrollverordnung erlaubt sind, aber auf der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Sinne des Art. 102 S. 1 AEUV beruhen. Sie sind sodann verboten und können als Folge z.B. auch von den nationalen Behörden und Gerichten untersagt werden.


[1] Emmerich, Kartellrecht, 13. Auflage 2014, § 24 Rn. 1 ff.

[2] BGHZ 170, 299 (302 ff.) = NJW 2007, 1823 Tz. 13 f. = JuS 2007, 784 Nr. 13 – National Geographic II.

[3] Mestmäcker/Schweitzer, § 15 Rn. 31 ff. (S. 386 ff.).

[4] Mestmäcker/Schweitzer, § 18 Rn. 16 ff. (S. 382 f.).

[5] Eilmansberger, EuZW 1992, 625 (629 f.); Kulka, FS Rittner, 1991, S. 343.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.



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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele berät und vertritt bei Verstößen im Bereich des unlauteren Wettbewerbs, sei es im außergerichtlichen Bereich der Abmahnungen und Abschlussschreiben, im Bereich der einstweiligen Verfügungen oder in gerichtlichen Hauptsacheverfahren. Er prüft Werbeauftritte wi Internetseiten und Prospekte zur Vermeidung von Abmahnrisiken und verhandelt Vertragsstrafevereinbarungen zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr zwischen Verletzern und Verletzten.

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