Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 10 – Das Kartellverbot des deutschen Kartellrechts (§ 1 GWB)


Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt

Constantin Raves
Rechtsanwalt


4.2 Das Kartellverbot des deutschen Kartellrechts (Fußnote)

§ 1 GWB verbietet Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken. Die heutige Fassung des § 1 GWB entspricht damit, mit Ausnahme der Zwischenstaatlichkeitsklausel und des nicht übernommenen Beispielkatalogs, dem europäischen Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV.
Hintergrund der weitgehenden Identität der deutschen und europäischen Vorschriften zum Kartellverbot ist der erweiterte Vorrang des Unionsrechts aufgrund des Art. 3 Abs. 2 S. 1 der VO Nr. 1/2003, der dem nationalen Gesetzgeber nahezu keinen Raum mehr für eigenständige Gesetzgebung belässt.
Die Folge ist, dass das deutsche Recht heute nur noch an wenigen Stellen besondere Regelungen enthält, die vom europäischen Kartellrecht abweichen. Zu nennen sind hierbei insbesondere die Regelungen für Mittelstandskartelle gem. § 3 GWB, für Wettbewerbsregeln in den §§ 24 bis 27 GWB, für die Landwirtschaft gem. § 28 GWB sowie für die Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften in § 30 GWB.

4.2.1 Mittelstandskartelle (Fußnote)

Regelungszweck von § 3 GWB ist es, kleinen und mittelständischen Unternehmen einen Ausgleich für ihre größenbedingten Nachteile im Wettbewerb mit Großunternehmen zu gewähren. § 3 GWB enthält eine gesetzliche Fiktion. Bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen ist das Mittelstandskartell gem. § 2 GWB freigestellt.
Praktische Bedeutung hat § 3 GWB lediglich in Fällen ohne zwischenstaatlichen Bezug, da in anderen Fällen, gekennzeichnet durch die Eignung der Vereinbarung zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV den Vorrang vor § 3 GWB hat.(Fußnote)
Zu beachten ist hierbei, dass nach Meinung der Kommission heute Vereinbarungen zwischen kleinen und mittleren Unternehmen ohnehin nicht mehr zur Beeinträchtigung des Handels zwischen den EU-Mitgliedsstaaten geeignet sind, woraus die Verfasser der 7. GWB-Novelle von 2005 die Berechtigung abgeleitet haben, an einer eigenständigen Regelung für Mittelstandskartelle festzuhalten. Ist nach den Umständen des Einzelfalls doch von einer Beeinträchtigung des mitgliedsstaatlichen Handels auszugehen, so findet der strengere Art. 101 AEUV Anwendung.(Fußnote)
§ 3 GWB beschränkt sich zunächst nur auf "Vereinbarungen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen", bei denen es sich gem. § 3 Nr. 2 GWB um kleine oder mittlere Unternehmen handeln muss. Für die Beurteilung, ob es sich um ein kleines oder mittleres und nicht etwa eines großen Unternehmens handelt, wird auf die relativen Größenverhältnisse auf dem betreffenden Markt abgestellt. Unternehmensgruppen, die im Sinne des § 36 Abs. 2 GWB eine sog. wettbewerbliche Einheit bilden und damit auch Konzerne im Sinne des § 18 Abs. 1 AktG sind, sind im Rahmen des § 3 GWB gleichfalls als Einheit zu behandeln. (Fußnote) Zudem erfasst § 3 GWB "nur die Freistellung horizontal wirkender Wettbewerbsbeschränkungen"(Fußnote), während vertikale Kooperationen von einer Freistellung aufgrund des § 3 GWB ausgeschlossen bleiben.
Die Voraussetzungen des § 3 GWB sind im Einzelnen:

4.2.1.1 Zwischenbetriebliche Zusammenarbeit

Voraussetzung ist zunächst, dass eine zwischenbetriebliche Zusammenarbeit vorliegt. Dabei handelt es sich um eine weite Formulierung, da im Ergebnis alle Kartelle Ausdruck einer irgendwie gearteten "Zusammenarbeit" von Unternehmen sind. Damit erfasst § 3 GWB sämtliche wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen im Sinne des § 1 GWB unter Voraussetzung, dass die Zusammenarbeit tatsächlich der Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge bei den beteiligten Unternehmen dient.(Fußnote)
Eine Zusammenarbeit kleiner und mittlerer Unternehmen wird durch § 3 GWB vornehmlich im Einkauf und im Verkauf sowie bei der Forschung, der Produktion und der Werbung erlaubt.(Fußnote) Die Rechtsform der gewählten Kooperation ist irrelevant, sodass vor allem auch die Ausgliederung von Unternehmensfunktionen und deren Zusammenfassung in einem Gemeinschaftsunternehmen unter § 3 GWB fällt.(Fußnote)

4.2.1.2 Rationalisierung

Weitere Voraussetzung der Freistellung eines Mittelstandkartells ist das Erreichen eines Rationalisierungseffekts. Das bedeutet, dass die Kooperation das Verhältnis zwischen betrieblichem Aufwand und betrieblichem Ertrag, bezogen auf die Produktionseinheit, bei sämtlichen Beteiligten im Vergleich mit der Situation ohne die jeweilige wettbewerbsbeschränkende Maßnahme verbessern muss.(Fußnote)
Dagegen reicht es nicht, dass die Unternehmenserträge verbessert werden. Reine Quoten- und Preiskartelle sind von § 3 GWB daher nicht gedeckt.(Fußnote)Gleiches gilt für Kartelle, die lediglich durch den Ausschluss des Wettbewerbs zu einer Ertragssteigerung führen (Fußnote), sowie für Vereinbarungen, bei denen Kernbeschränkungen in Gestalt von Abreden über Preise, Gebiete, Mengen und Produkte und nicht die Rationalisierung im Vordergrund stehen.(Fußnote)

Neben dem Rationalisierungseffekt muss die Vereinbarung dazu dienen, die Wettbewerbsfähigkeit der am Kartell beteiligten Unternehmen zu verbessern. Üblicherweise fällt beides, also der Rationalisierungseffekt sowie die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zusammen, da auf einen tatsächlichen Rationalisierungseffekt zumeist auch gleichzeitig die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit folgt.

4.2.1.3 Wettbewerbsbeeinträchtigung

Als weitere Voraussetzung des § 3 GWB ist es erforderlich, dass durch die mittelständische Kooperation der Wettbewerb auf dem jeweilig relevanten Markt nicht wesentlich beeinträchtigt wird.
Die Zulässigkeitsgrenze für Mittelstandsgrenze liegt. je nach Schwere der jeweiligen Wettbewerbsbeschränkung, bei einem Marktanteil zwischen 10 und 15 %.(Fußnote) Darüber hinaus ist anerkannt, dass für die Zulässigkeit von Mittelstandskartellen umso engere Grenzen gelten, je mehr Kartelle auf einem Markt bereits tätig sind.(Fußnote)


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.



Autor(-en):
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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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