Kartellrecht – Eine Einführung – Teil 06 – abgestimmte Verhaltensweisen, Empfehlungen


Autor(-en):
Tilo Schindele
Rechtsanwalt

Constantin Raves
Rechtsanwalt


4.1.2.3 abgestimmte Verhaltensweisen

Als dritte Form der Maßnahmen, die den Wettbewerb beschränken können, sieht Art. 101 Abs. 1 AEUV noch die "aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen" von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen vor. Die wichtigsten Elemente einer Verhaltensabstimmung sieht der europäische Gerichtshof in der Koordination der Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen am Markt.
Eine Verhaltensabstimmung wird demnach angenommen, wenn zumindest zwei Unternehmen in irgendeiner Form willentlich zusammenwirken, während die bloß einseitige Anpassung des Verhaltens eines Unternehmens an das eines anderen (sog. Parallelverhalten) nicht mehr als Verhaltensabstimmung erfasst werden kann, solange diesem Verhalten nicht eine darauf abzielende "Fühlungnahme", das heißt eine Kontaktaufnahme zwischen beiden Unternehmen, vorausgegangen ist. Von wem hierbei die Initiative ausgegangen ist, spielt dabei keine Rolle.[1]
Die Erfahrungen zeigen, dass das wichtigste Mittel der Verhaltensabstimmung der gegenseitige Informationsaustausch der Unternehmen ist. Dadurch beseitigen sie, die für die Wettbewerbssituation typische Unsicherheit bezüglich Reaktionen von Konkurrenzen auf ihre eigenen Maßnahmen.[2
Der Informationsaustausch lässt sich insbesondere in zwei Fallgruppen unterteilen. Zum einen die Unterrichtung der Konkurrenzen über das geplante eigene Verhalten in der Erwartung, dass sich die Adressaten danach richten werden und zum anderen der Versuch, über das zukünftige Verhalten der Konkurrenzen Aufschluss zu erhalten.[3] In beiden Fällen umgehen die beteiligten Unternehmen die normalen Wettbewerbsbedingungen, die eigentlich durch die Unsicherheit über die Reaktionen der Konkurrenten gezeichnet sind.

Abgestimmte Verhaltensweisen widersprechen dem Grundsatz des Selbstständigkeitspostulats der Unternehmen, welches besagt, dass Unternehmen ihr Verhalten im Binnenmarkt selbstständig zu bestimmen haben.
Die Ausarbeitung eines gemeinsamen Plans ist für die Annahme einer abgestimmten Verhaltensweise nicht erforderlich. Wie bereits geschildert, genügt vielmehr die "abgesprochene" Anpassung an die Wünsche eines anderen Unternehmens.
Eine Koordinierung bzw. "Fühlungnahme" der Unternehmen kann in verschiedensten Erscheinungsformen erfolgen.
Das Hauptmittel der Wahl scheint allerdings zumeist der Austausch unternehmensrelevanter Informationen, insbesondere auf gemeinsamen Sitzungen der Unternehmensvertreter, zu sein.[4]
Grundsätzlich kann eine Koordination auch unter Beteiligung Dritter oder über Dritte erfolgen, z.B. auf gemeinsamen Sitzungen der Vertreter der beteiligten Unternehmen sowie der Abnehmer oder Lieferanten oder auch durch die Einschaltung von Verbänden, denen der Austausch der Informationen zwischen den beteiligten Unternehmen oder die Überwachung der Einhaltung des gemeinsamen Planes übertragen wird.
Als umstrittener Grenzfall für eine abgestimmte Verhaltensweise wird die sog. "Koordinierung am Markt" angesehen. Damit sind Preisankündigungen gegenüber dem Kunden gemeint. Da sie ein normales Mittel des Wettbewerbs sind und für die Kunden von erheblicher Bedeutung sein können, können sie grundsätzlich nicht vom Anwendungsbereich des Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst sein. Daher wird argumentiert, dass es sich bei der abgestimmten Verhaltensweise vor allem um Informationen handelt, die sonst streng geheim Unternehmensdaten wie Umsätze und Aufträge sowie geplante Preisänderungen beinhalten und nur Konkurrenzen unter Ausschluss der Kunden zugänglich gemacht werden.[5]

4.1.2.4 Exkurs: Empfehlungen

Empfehlungen mit wettbewerbsbeschränkender Zielsetzung sind, anders als im früheren deutschen Kartellrecht, nicht als Maßnahme im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst. Solche Empfehlungen, vor allem vertikale Preisempfehlungen sind daher grundsätzlich zulässig. Hiervon kann eine Ausnahme nur dann gemacht werden, wenn die Empfehlung, z.B. von Verbänden zugleich die Merkmale einer Vereinbarung, eines Beschlusses oder einer abgestimmten Verhaltensweise erfüllen.
In vielen Fällen liegen die Voraussetzungen für eine Anwendung nach Art. 101 AEUV vor. So sind beispielsweise sog. Verbandsempfehlungen als Beschlüsse im Sinne des Art. 101 AEUV zu qualifizieren und verstoßen dann gegen das Kartellverbot, insbesondere in den Fällen, in denen sie auf die Festlegung von Festpreisen oder Mindestpreisen hinauslaufen.[6]
In anderen Fällen liegen oftmals die Merkmale einer abgestimmten Verhaltensweise vor. So vor allem dann, wenn die Empfehlungen von den Adressaten befolgt werden.[7]
Geht es um Empfehlungen, die im Rahmen schon bestehender wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen ausgesprochen werden, sind sie nach den Umständen des Einzelfalls als Teil dieser Vereinbarung zu qualifizieren und dann aus diesem Grund unter Art. 101 Abs. 1 AEUV zu subsumieren.


[1] Stöcker, WuW 2012, 935.

[2] EuGH NZKart 2014, 63 Tz. 36 ff. – Solvay.

[3] Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Auflage 2012, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 89 ff.

[4] Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Auflage 2012, Art. 101 Abs. 1 AEUV, Rn. 92 ff.

[5] EuGH Slg. 1998, I-3138 (3146 Tz. 91) – John Deere.

[6] EuGH Slg. 2009, I-2464 = EuZW 22009, 374 (379 Tz. 79) – Pedro IV.

[7] BKartA WuW/E DE-V 1539 (1543 f. Tz. 25 ff.) – Arzneimittelhersteller.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Kartellrecht – Eine Einführung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Constantin Raves, Rechtsanwalt, und Alexander Fallenstein, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-77-9.



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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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