Int. Vertragsrecht - Teil 07 - Konkludente Rechtswahl

4.2.2 Konkludente Rechtswahl

Die Rechtswahl muss nicht unbedingt ausdrücklich verabredet werden. Gem. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO kann sich die Rechtswahl der Parteien auch aus den Vertragsbestimmungen sowie den Umständen des Einzelfalls ergeben.(Fußnote) Aus Gründen der Rechtssicherheit müssen allerdings eindeutige Indizien für die Rechtswahl vorliegen.(Fußnote) Vage Anhaltspunkte wie der vermutete oder hypothetische Parteiwillen der Vertragsbeteiligten reichen nicht aus.(Fußnote)

4.2.2.1 Anerkannte Indizien

Aufgrund der Rechtsprechung zur konkludenten Rechtswahl wurden eine Reihe von gerichtlich anerkannten Indizien identifiziert. Diese müssen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung mit- bzw. gegeneinander abgewogen werden.(Fußnote) Die von den Gerichten anerkannten Indizien werden im Folgenden kurz vorgestellt und mit Beispielen unterlegt:

4.2.2.1.1 Gerichtsstandklauseln

Vereinbaren die Parteien, dass ausschließlich ein bestimmtes Gericht oder die Gerichte in einem bestimmten Land bei Streitigkeiten angerufen werden sollen, so wird ihnen unterstellt, dass sie damit konkludent das Recht des Landes anwenden wollten, in dem sich das Gericht befindet.(Fußnote) Daher kommt einer solchen ausschließlichen Gerichtsstandklausel eine starke Indizienwirkung zu.(Fußnote)

Beispiel
Ein deutscher Unternehmer vereinbart mit seinem algerischen Geschäftspartner, dass das zuständige Gericht in Algier im Streitfall zuständig sein soll. Eine ausdrückliche Wahl des auf den Vertrag anwendbaren Rechts treffen sie nicht. Ist eine konkludente Rechtswahl erfolgt?

  • Mangels einer ausdrücklichen Rechtswahlvereinbarung ist zu prüfen, ob die Parteien sich iSd Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO konkludent auf das anwendbare Recht geeinigt haben. Da sie sich für den Streitfall auf die Anrufung des zuständigen Gerichts im algerischen Algier verständigt haben und dieses gewöhnlich algerisches Recht anwendet, liegt ein starkes Indiz für die konkludente Verabredung der algerischen Rechtsordnung vor. Dass Algerien kein Mitgliedsstaat der Rom I-VO ist, ist aufgrund der universellen Anwendbarkeit der Rom I-VO unschädlich.(Fußnote) Da es keine entgegenstehenden Indizien gibt, ist algerisches Recht anzuwenden.

4.2.2.1.2 Schiedsvereinbarungen

Eine ähnlich starke Indizwirkung entfaltet die Vereinbarung, im Streitfall ein bestimmtes Schiedsgericht anzurufen.(Fußnote) Unterstellen sich die Parteien der Gerichtsbarkeit eines Schiedsgerichts in einem bestimmten Land, so wird regelmäßig davon ausgegangen, dass die Parteien das Recht des Landes in dem sich das Schiedsgericht befindet gelten lassen wollten.(Fußnote) So ist bspw. dann deutsches Recht anzuwenden, wenn im Streitfall ein Schiedsgericht einer deutschen Industrie- und Handelskammer angerufen werden soll und die Parteien keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen haben.(Fußnote)

Wird allerdings die Zuständigkeit eines internationalen Schiedsgerichts vereinbart - bspw. das Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer in Paris - so ist regelmäßig nicht davon auszugehen, dass es das Recht des Sitzstaates anwenden wird.(Fußnote) Daher liegt hierin keine konkludente Rechtswahl der Parteien begründet.

4.2.2.1.3 Bezugnahmeklauseln

Ein gewichtiges Indiz für eine konkludent geschlossene Rechtswahl kann auch darin liegen, dass der Hauptvertrag auf nationale Rechtsvorschriften Bezug nimmt.(Fußnote) Dies kann einerseits durch die Verwendung von Rechtsbegriffen geschehen, die typisch für eine bestimmte Rechtsordnung sind, bspw. wenn typische Begriffe des deutschen Bürgschaftsrechts im Vertrag verwendet werden.(Fußnote)

Andererseits wird es als starkes Indiz für eine konkludente Rechtswahl gewertet, wenn der Vertrag auf einzelne Vorschriften eines bestimmten Rechts Bezug nimmt.(Fußnote) Beziehen sich die Parteien im Vertrag bspw. auf einen auf Grundlage des französischen Privatrechts geschlossenen "Vergleich iSd Art. 2044 ff Code Civil", so wird den Parteien unterstellt, dass sie für den ganzen Vertrag französisches Recht gelten lassen wollten.(Fußnote)

Ebenfalls kann von einer konkludenten Rechtswahl auch dann ausgegangen werden, wenn für den Vertrag Allgemeine Geschäftsbedingungen(Fußnote) oder standardisierte Formularverträge(Fußnote) verwendet werden, die auf ein bestimmtes Recht ausgerichtet sind.

Beispiel
Bei einem grenzüberschreitenden Kaufvertrag über 30 t Weizen verwenden die Parteien einen Formularvertrag der "Grain and Feed Trade Association". Eine ausdrückliche Rechtswahlvereinbarung gibt es nicht. Liegt in der Wahl des Formularvertrags bereits eine konkludente Wahl des anwendbaren Rechts?

  • Die Grain and Feed Trade Association ist eine in London ansässige Vereinigung von Getreidehändlern, die standardisierte Formularverträge herausgibt. Dass sich der Hauptsitz der Vereinigung in London befindet ist noch kein hinreichender Hinweis auf das anwendbare Recht, da es sich um einen international tätigen Verband handelt. Allerdings sind ihre Verträge auf die englische Vertragspraxis und die Verwendung englischen Rechts zugeschnitten. Damit liegt eine hinreichende Bezugnahme auf die Verwendung einer bestimmten Rechtsordnung vor. Durch die stillschweigende Verwendung dieser Vertragsformulare wird dann angenommen, dass die Parteien sich konkludent auf die Verwendung englischen Rechts geeinigt haben.(Fußnote)

4.2.2.1.4 Prozessverhalten

Ein wichtiges Indiz ergibt sich auch aus dem Verhalten der Parteien im Prozess.(Fußnote) Verhandeln die Parteien auf Grundlage desselben in- oder ausländischen Rechts, so wird von den Gerichten darin eine konkludente nachträgliche Rechtswahl erkannt.(Fußnote) Allerdings genügt es regelmäßig nicht, dass der Kläger Klage am Standort des Beklagten erhebt.(Fußnote) Vielmehr muss sich aus dem Verhalten im Prozess ein deutliches Signal auf eine konkludente Rechtswahlvereinbarung entnehmen lassen.(Fußnote) Die Wahl eines bestimmten Gerichts und die Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsordnung muss ein Ausdruck des gemeinsamen Willens der Parteien sein.(Fußnote) So gilt bspw. das Prozessverhalten als aussagekräftiges Indiz, wenn beide Parteien vom Gericht auf die Rechtswirkungen ihrer Wahl und der Anwendung des dort geltenden Rechts hingewiesen worden sind und ein bestimmtes Recht nicht nur anwenden, weil sie denken vor dem Gericht dazu verpflichtet zu sein.(Fußnote)

4.2.2.1.5 Vertragspraxis der Parteien

Als wichtiges Indiz herangezogen werden können auch die früheren Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien.(Fußnote) Haben die Parteien bereits zuvor Verträge miteinander geschlossen und für diese stets ein bestimmtes Recht gewählt, so wird davon ausgegangen, dass die Parteien dies auch für die nachfolgenden Verträge anwenden wollten.(Fußnote) Ist die Rechtswahl der vorangegangenen Verträge ebenfalls konkludent vereinbart worden, knüpft das Gericht an die Vertragspraxis allerdings besonders hohe Anforderungen.(Fußnote) Insbesondere dürfen keine Umstände vorliegen, die darauf schließen lassen, dass sich die Haltung der Parteien geändert hat, bspw. wenn die Parteien die getroffene Rechtswahl nachweislich aufgeben wollten.(Fußnote)

Das gleiche gilt, wenn der Vertrag ausdrücklich auf einen anderen Vertrag Bezug nimmt, bei dem bereits eine Rechtswahlvereinbarung vorliegt, bspw. wenn auf eine Klausel aus einem bereits bestehenden Vertrag verwiesen wird.(Fußnote) Liegt keine ausdrückliche Bezugnahme vor, so kann es bereits ausreichen, wenn der in Frage stehende Vertrag wirtschaftlich eng mit einem anderen Vertrag in Zusammenhang steht, bspw. wenn auf einen Vertrag mit ausdrücklicher Rechtswahl ein damit zusammenhängender Folgevertrag geschlossen wird.(Fußnote)


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.


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Stand: Januar 2018


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Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

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Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

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