Int. Vertragsrecht - Teil 26 - Vertragsstatuts

7 Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Während sich Art. 3 - 8 Rom I-VO damit befassen, welches Recht auf den Vertrag anzuwenden ist - das sog. Vertragsstatut - regeln Art. 10 - 12 Rom I-VO welche Fragen davon abgedeckt werden. Im Einzelnen regeln sie:[1]

  • Das Zustandekommen von Verträgen und ihre materielle Wirksamkeit (Art. 10 Rom I-VO)
  • Die für diese Verträge geltenden Formvorschriften (Art. 11 Rom I-VO)
  • Den Geltungsbereich des Vertragsstatuts (Art. 12 Rom I-VO), also:
  • Auslegung, Erfüllung, Nichterfüllung,
  • Erlöschen und Verjährung,
  • Rechtsfolgen der Nichtigkeit von Verträgen
  • Rechts-, Geschäfts- und Handlungsunfähigkeit (Art. 13 Rom I-VO)

7.1 Zustandekommen und materielle Wirksamkeit von Verträgen

7.1.1 Vertragsstatut

Die Voraussetzungen für das Zustandekommen und die Wirksamkeit von Verträgen variiert je nach betrachteter Rechtsordnung. Um auch bei internationalen Verträgen eine einheitliche Rechtsgestaltung zu erreichen bestimmt Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO, dass sich das Zustandekommen und die Wirksamkeit eines solchen Vertrages nach dem hypothetischen Vertragsstatut bemessen. Gemeint ist damit das Recht, das im Fall eines wirksam zustande gekommenen Vertrags Anwendung finden würde. Die Voraussetzungen des Vertrags bemessen sich also nach demselben Recht, das auch für die Rechtsfolgen des Vertrags gilt.

Beispiel
Ein deutsches Unternehmen A möchte für ein Marketingevent ein kleines Konferenzzentrum im Ausland anmieten. Daher ruft der Unternehmensprokurist beim zuständigen Gebäudeverwalter B an und reserviert die Räumlichkeiten für den gewünschten Zeitraum. Die AGB des Verwalters bestimmen, dass im Falle einer kurzfristigen Stornierung der Reservierung Gebühren anfallen. Da das deutsche Unternehmen bereits häufiger das Konferenzzentrum angemietet hatte sind ihm diese AGB auch bekannt. Als es wegen mangelndem Interesse tatsächlich zu einer kurzfristigen Stornierung der Buchung kommt, verlangt B die in der AGB aufgeführten Gebühren von A. A beruft sich allerdings darauf, die AGB seien nach deutschem Recht nicht wirksamer Vertragsbestandteil geworden. Gilt bei mangelnder Rechtswahl deutsches oder ausländisches Recht?

  • Fraglich ist hier, ob die AGB Bestandteil des Vertrags geworden sind. Gem. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO ist bei der Einbeziehung von Vertragsbestandteilen an das hypothetische Vertragsstatut anzuknüpfen. Daher muss zunächst das anzuwendende Recht gem. Art. 3 ff Rom I-VO bestimmt werden. Da keine Rechtswahl vereinbart wurde und kein Vertrag iSd Art. 5 - 8 Rom I-VO vorliegt, bestimmt sich das Vertragsstatut nach Art. 4 Rom I-VO. Da bei gewerblich genutzten Immobilienmietverträgen Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO einschlägig ist, bemisst sich das anwendbare Recht nach dem Lageort der Immobilie. Diese liegt hier im Ausland weswegen ausländisches Recht auf den Vertrag Anwendung findet. Inwieweit die AGB Vertragsbestandteil geworden sind ist also nach ausländischem und nicht nach deutschem Recht zu beurteilen.

7.1.2 Einrede der fehlenden Zustimmung

Ausnahmsweise kann sich eine Partei gem. Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO auch darauf berufen, dass ein Vertrag oder ein Vertragsbestandteil nach dem Recht ihres gewöhnlichen Aufenthaltsorts nicht zustande gekommen oder nicht miteinbezogen worden wäre und deswegen nichtig ist. Voraussetzung dafür ist, dass es nach den Umständen des jeweiligen Falls nicht angebracht erscheint, die Zustimmung der Partei zum Vertrag nach dem auf ihn eigentlich anwendbaren Recht zu bemessen. In diesem Fall wird stattdessen das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt der sich darauf berufenen Vertragspartei angewendet. Da es sich um einen Ausnahmetatbestand handelt, muss die betroffene Vertragspartei jedoch im Einzelfall nachweisen, dass ihr ein besonderes Schutzbedürfnis zukommt und dass es zu für sie unangemessenen Konsequenzen führen würde, wenn nicht das Recht ihres gewöhnlichen Aufenthalts zum Tragen käme. Typische Fälle sind die nach ausländischem Recht erfolgte Zustimmung zu einem Vertragsabschluss oder die Einbeziehung von AGB durch Schweigen der anderen Vertragspartei, wenn diese vom Aussagegehalt des Schweigens keine Kenntnis hatte.

Beispiel
Wie im obigen Beispiel, allerdings mietet A zum ersten Mal das Konferenzzentrum von B und ist somit nicht mit ihren AGB vertraut. Ist auch in diesem Fall ausländisches Recht anzuwenden?

  • Grundsätzlich ist auch in diesem Beispiel das ausländische Recht einschlägig. Sollte dieses Recht aber dazu führen, dass die AGB Vertragsbestandteil geworden ist, ohne dass dem A die AGB vorgelegt wurde oder er von ihnen Kenntnis hatte, so würde dies für den A zu einer schweren Benachteiligung führen. Beruft sich A also vorliegend auf die Unwirksamkeit der AGB nach deutschem Recht, so kann vom Gericht für diesen Einzelfall festgestellt werden, dass statt des ausländischen deutsches Recht auf die Einbeziehung der AGB angewandt wird (§§ 305 ff BGB). Führt dieses abweichend nicht zu einer Einbeziehung der AGB in den Vertrag, so kann sich die andere Vertragspartei nicht darauf berufen, dass die AGB nach dem eigentlich auf den Vertrag anwendbaren Recht wirksamer Vertragsbestandteil geworden wäre.


[1] Vgl. Güllemann, Internationales Vertragsrecht, 2. Auflage 2014, S. 91.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.


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Stand: Januar 2018


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Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele begleitet IT-Projekte von der Vertragsgestaltung und Lastenheftdefinition über die Umsetzung bis hin zur Abnahme oder Gewährleistungs- und Rückabwicklungsfragen.

Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

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