Int. Vertragsrecht - Teil 20 - Verbraucherverträge

6.2 Verbraucherverträge

6.2.1 Grundsätzliches

Aus verbraucherschutzrechtlichen Gründen gelten für Verbraucherverträge abweichend von den allgemeinen Regeln die besonderen Vorschriften des Art. 6 Rom I-VO, sofern es sich nicht um Beförderungsverträge iSd Art.5 (s. oben) bzw. Versicherungsverträge iSd Art. 7 Rom I-VO (s. Kapitel 6.3) handelt. Art. 6 Rom I-VO besitzt folgende zwei Kernaussagen:

  • Bei mangelnder Rechtswahl ist nicht auf das Recht am Aufenthaltsort des Leistenden (so Art. 4 Rom I-VO) abzustellen, sondern auf das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers, wenn der Vertrag ein besonderes Näheverhältnis zu dieser Rechtsordnung besitzt.
  • Die Rechtswahl ist bei Verbraucherverträgen insofern eingeschränkt als dass sie nicht dazu führen darf, dass Verbraucher dem Schutz der nicht abdingbaren Vorschriften seines Heimatrechts entzogen wird.
  • Gem. Art. 11 Rom I-VO richten sich die Formerfordernisse ausschließlich nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers.

6.2.2 Anwendungsvoraussetzungen

Für die Anwendbarkeit der Vorschriften aus Art. 6 Rom I-VO müssen zunächst einige Voraussetzungen erfüllt sein. Kernbedingung ist, dass überhaupt ein Verbrauchervertrag vorliegt. Gemeint sind damit alle Verträge, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen werden. Ausschlaggebend für die Kategorisierung ist die Beantwortung der Frage, inwieweit die Parteien hinsichtlich des Vertrages im Rahmen ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handeln. Daher kann auch ein eingetragener Kaufmann, der von einem Unternehmer ein Boot zur privaten Nutzung kauft, ein Verbraucher iSd Norm sein.

Anwendung findet Art. 6 Rom I-VO grundsätzlich auf jede Vertragsart. Ausgeschlossen sind lediglich die in Art. 6 Abs. 4 lit. a - e Rom I-VO aufgeführten folgenden fünf Vertragsarten:

  • Verträge über ausschließlich im Ausland erbrachte Leistungen (lit. a)
  • Beförderungsverträge mit Ausnahme von Pauschalreiseverträgen (lit. b)
  • Grundstücksverträge mit Ausnahme von Teilzeitnutzungsverträgen (lit. c)
  • Verträge über Finanzinstrumente (lit. d)
  • Verträge in multilateralen Handelssystemen (lit. e).

Gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a und b muss zwischen dem Recht am Aufenthaltsort des Verbrauchers und dem Vertrag zudem ein besonderes räumliches Näheverhältnis bestehen. Dieses Verhältnis liegt vor, wenn der Vertrag in die berufliche oder gewerbliche Tätigkeit des Unternehmers fällt und er diese Tätigkeit entweder:

  • im gleichen Staat in dem der Verbraucher seinen ständigen Aufenthalt hat, ausübt (lit. a), oder
  • er seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auf den Aufenthaltsstaat des Verbrauchers in irgendeiner Weise ausrichtet (lit. b).

Unter dem Ausüben einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit versteht man das Entfalten von unternehmerischer Aktivität, bspw. über eine Zweigniederlassung im Verbraucherstaat.[1]

Beispiel
Eine deutsche Drogeriemarktkette besitzt mehrere Niederlassungen im europäischen Ausland. In einer Filiale in Wien kauft ein dort ansässiger Kunde eine Monatspackung Windeln für den privaten Gebrauch. Eine Rechtswahl wurde nicht getroffen. Welches Recht ist auf den Vertrag anzuwenden?

  • Durch den Verkauf von Drogerieprodukten in seiner Wiener Filiale übt das deutsche Unternehmen eine gewerbliche Tätigkeit in Österreich aus. Österreich ist gleichzeitig der Staat, in dem der Kunde seinen gewöhnlichen Aufenthalt pflegt. Da dieser die Windeln nicht für gewerbliche oder berufliche Zwecke kauft, liegen somit die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO vor. Daher ist das Recht am Aufenthaltsort des Verbrauchers anzuwenden, hier also österreichisches Recht.

Unter einem Ausrichten iSv lit. b versteht man die in irgendeiner Weise erfolgte, aktive Beteiligung am Wirtschaftsverkehr im Aufenthaltsstaat des Verbrauchers, bspw. durch:

  • Werbung unabhängig vom benutzen Medium (Funk und Fernsehen, Prospekte, Zeitschriften)[2]
  • Besondere Events (Messen, Ausstellungen, Kaffeefahrten)[3]
  • E-Commerce (solange ein Fernabsatzkauf über die Webseite tatsächlich erfolgt ist)[4].

Beispiel
Ein in Stuttgart angesiedeltes Unternehmen A hat sich auf die Herstellung von geländetauglichen Fahrrädern spezialisiert, die es über die firmeneigene deutschsprachige Webseite bewirbt und ins In- und Ausland vertreibt. Ein italienischer Verbraucher B schließt über die Webseite mit dem Unternehmen daraufhin einen Vertrag über den Kauf und die Lieferung eines solchen Fahrrads an seinen Wohnsitz in Verona ab. Liegt ein räumliches Näheverhältnis vor?

  • Zwar liegt ein Verbrauchervertrag vor, wodurch grundsätzlich Art. 6 Rom I-VO einschlägig ist. Fraglich ist aber, ob der Vertrag auch das benötigte besonderes Näheverhältnis zum Verbraucher aufweist. Dies ist gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a und b entweder der Fall, wenn das Unternehmen seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Aufenthaltsstaat des Verbrauchers ausübt oder es diese Tätigkeit auf den Aufenthaltsstaat ausrichtet. Zwar vertreibt das Unternehmen seine Fahrräder ins Ausland, also auch nach Italien. Allerdings besitzt es keine für das Unternehmen tätig gewordene Niederlassung in dem Land. Daher wird von A in Italien keine Tätigkeit ausgeübt (Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I-VO).
  • Das Unternehmen könnte seine Tätigkeit aber auf Italien ausgerichtet haben. Durch die Bewerbung der Fahrräder auf der Webseite des A hat das Unternehmen grenzüberschreitend Werbung entfaltet. Nicht relevant ist, in welcher Sprache die Werbung geschaltet wurde. Vielmehr kommt es darauf an, dass A durch seine Webseite zum Fernabsatzkauf aufgerufen hat und die entsprechenden Bestellmöglichkeiten auf seiner Webseite vorhanden waren.[5] B hat die Ware auch tatsächlich über die Webseite des A bestellt. Der Vertragsinhalt, nämlich der Verkauf eines Fahrrads fällt auch in den Tätigkeitsbereich des Unternehmens. Ein räumliches Näheverhältnis iSd Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO liegt damit vor.


[1] PWW/Remien Rom I-VO Art. 6 Rn 4.

[2] PWW/Remien Rom I-VO Art. 6 Rn 5.

[3] Güllemann, Internationales Vertragsrecht, 2. Auflage 2014, S. 75.

[4] Leible/Lehmann RIW 2008, 538.

[5] Güllemann, Internationales Vertragsrecht, 2. Auflage 2014, S. 76.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Internationales Vertragsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Tim Hagemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-88-5.


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Stand: Januar 2018


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Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele begleitet IT-Projekte von der Vertragsgestaltung und Lastenheftdefinition über die Umsetzung bis hin zur Abnahme oder Gewährleistungs- und Rückabwicklungsfragen.

Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

Er bietet Seminare und Vorträge unter anderem zu folgenden Themen an:

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Normen: Art. 6 Rom I-VO

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