Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung – Teil 31 – Alkoholbedingtes Fehlverhalten - Verstoß gegen Alkoholverbot, Androhung von Nachteilen, Verletzung der Anzeigepflicht

10.3 Alkoholbedingtes Fehlverhalten/ Verstoß gegen Alkoholverbot

Bei Fehlverhalten eines Arbeitgebers unter Alkoholeinfluss ist zunächst danach zu differenzieren, ob eine krankhafte Alkoholanhängigkeit besteht oder nicht.
Liegt eine krankhafte Alkoholabhängigkeit vor, so kommt lediglich eine personenbedingte Kündigung in Betracht. Eine solche Krankheit entzieht sich der Steuerungsfähigkeit des Betroffenen, sodass eine Abmahnung keine Chancen auf Besserungen verspricht. Eine Abmahnung ist daher entbehrlich (Beckerle, Die Abmahnung, S.25.). Allerdings werden bei der personenbedingten Kündigung strenge Anforderungen an die Dauerhaftigkeit der Störung gestellt (welche jedoch im Fall einer Alkoholerkrankung regelmäßig gegeben ist).
Jedoch sind die Fälle, in denen eine krankhafte Alkoholabhängigkeit vorliegt eher selten. In den meisten Fällen ist ein Fehlverhalten unter Alkoholeinfluss daher auf ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen, sodass eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht kommt. Es ist deshalb grundsätzlich zunächst eine Abmahnung erforderlich, wenn die Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers durch den Konsum von Alkohol beeinträchtigt wird (LAG Nürnberg 11.07.1994 - 7 Sa 1123/93 = DB 1994, 2456.), oder er durch den Konsum gegen ein (gesetzlich, einzelvertraglich oder durch Betriebsvereinbarung bestimmtes) Alkoholverbot verstößt (LAG Hamm 11.11.1996 - 10 Sa 1789/95.). Allerdings müssen im Einzelfall ggf. branchenübliche Gegebenheiten berücksichtigt werden. Beispielsweise wird bei Angestellten eines Baubetriebs der Genuss einer Flasche Bier möglicherweise soweit als üblich gelten, dass eine Entlassung deshalb gar nicht in Betracht kommt. Ist die Tätigkeit hingegen besonders sicherheitsrelevant oder schlicht nicht vereinbar mit auch nur geringem Alkoholkonsum (z.B. Erzieher, Lehrer, Ärzte), so sind umso strengere Anforderungen an die Einhaltung des Alkoholverbots zu stellen (Preis in: Stahlhacke/Preis/Vossen, § 22, Rn.625.).
Ausnahmsweise kann eine Abmahnung sogar entbehrlich sein, wenn der Arbeitnehmer bei seinem Verstoß gegen das Alkoholverbot erhebliche Rechtsgüter Dritter verletzt hat (LAG Köln 08.11.2010 - 2 Sa 612/10.).

Beispiel
Arbeitnehmer N feiert eine ausgelassene Party und erscheint am nächsten Morgen noch stark alkoholisiert zur Frühschicht, obwohl im Betrieb ein striktes Alkoholverbot gilt. Infolge des Alkoholeinflusses kann er die gefährlichen und schweren Maschinen, mit denen er sonst fehlerfrei und sicher arbeitet nicht mehr ordnungsgemäß bedienen und es kommt zu einem tragischen Unfall, bei dem mehrere seiner Kollegen schwer verletzt und Arbeitsgeräte im Wert von 500.000€ zerstört werden. Sein Arbeitgeber G ist schockiert und möchte N gerne sofort kündigen.

  • G muss in diesem Fall nicht zuerst eine Abmahnung aussprechen. Da N nicht krankhaft alkoholabhängig ist, sondern schlichtweg zu ausgelassen gefeiert hat, kommt eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht, welche grundsätzlich eine erfolglose Abmahnung voraussetzt. Vorliegend sind jedoch durch den Verstoß gegen das Alkoholverbot ganz erhebliche Rechtsgüter Dritter verletzt worden (Gesundheit der Kollegen, Eigentum des G). Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung und deren Konsequenzen ist eine Abmahnung vorliegend entbehrlich.

10.4 Androhung von Nachteilen

Der Arbeitnehmer darf dem Arbeitgeber nicht mit ungerechtfertigten Nachteilen drohen. Tut er dies doch, um ihm eigentlich nicht zustehende Vorteile zu erlangen, so begeht er eine Pflichtverletzung. In der Praxis häufig anzutreffen sind das "Androhen des Krankfeierns" oder das Drohen mit einer für den Arbeitgeber nachteiligen, unwahren Presseveröffentlichung. Eine Abmahnung ist in diesen Fällen wegen der Schwere des Verstoßes regelmäßig entbehrlich (BAG 11. 03.1999 - 2 AZR 507/98 = AP BGB § 626 Nr.149.; Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1581; Preis in: Stahlhacke/Preis/Vossen, § 22, Rn.629.).

10.5 Anzeigepflicht, Verletzung der…

Von bestimmten Umständen muss der Arbeitnehmer den Arbeitnehmer umgehend unterrichten, da dies zur Leistungssicherung oder Schadensabwendung notwendig ist (Preis in: Stahlhacke/Preis/Vossen, § 22, Rn.610.). Es handelt sich hierbei um eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis. Man spricht von der "Anzeigepflicht".

Diese besteht insbesondere bei

  • Beginn einer (z.B. krankheitsbedingten) Arbeitsunfähigkeit inklusive Angabe der voraussichtlichen Dauer ("Krankmeldung");
  • Verlängerung und Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit über die zunächst als voraussichtlich angegebene Dauer hinaus;
  • Aufnahme und Ausübung einer Nebentätigkeit;
  • Inanspruchnahme einer Familienpflegezeit gem. § 2 Abs.5 FPfZG oder Kurzzeitpflege gem. § 2 Abs.2 S.1 PflegeZG (Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1539.).

Ein Verstoß gegen diese Anzeigepflicht ist regelmäßig eine (Neben-) Pflichtverletzung von eher geringem Gewicht. Er muss daher grundsätzlich zunächst mit einer Abmahnung gerügt werden, bevor er im Wiederholungsfall zu einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung führen kann (BAG 16.08.1991 - 2 AZR 604/90 = AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr.27 = NZA 93, 17; Beckerle, Die Abmahnung, S.28 f.). Nur in absoluten Ausnahmefällen und unter erschwerenden Umständen, nämlich, wenn sich schwere Verstöße gegen die Anzeigepflicht wiederholen und der Arbeitnehmer sie vorsätzlich begeht, kann auch eine außerordentliche (ggf. fristlose) Kündigung in Betracht kommen, sodass eine Abmahnung entbehrlich sein kann (Preis in: Stahlhacke/Preis/Vossen, § 22, Rn.611.).
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass der "Verstoß gegen die Anzeigepflicht" vom Pflichtverstoß des "unberechtigten Fehlens" strikt unterschieden werden muss. Fehlt ein Arbeitgeber unberechtigt, so erbringt er - weder rechtzeitig noch verspätet - überhaupt keine Entschuldigung, wie etwa eine Krankschreibung, für sein Fehlen vor. Er fehlt ohne Berechtigung. Ein "Verstoß gegen die Anzeigepflicht" hingegen bedeutet, dass der Arbeitnehmer zwar berechtigterweise fehlt, dies dem Arbeitgeber jedoch nicht bzw. zu spät angezeigt hat. Zwar kann auf beide dieser Pflichtverletzungen mit einer Abmahnung reagiert werden, jedoch muss der Verstoß darin korrekt bezeichnet werden - das "unberechtigtes Fehlen" und der "Verstoß gegen die Anzeigepflicht" dürfen nicht verwechselt werden!


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Miriam Schwartzer, Rechtsreferendarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-80-9.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem

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  • Lohn- und Gehaltsansprüche
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und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

  • Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:

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