Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung – Teil 21 – Gleichartigkeit des Verstoßes im Falle der Kündigung

5.6 Gleichartigkeit des Verstoßes im Falle der Kündigung

Die Kündigung darf sich nur auf ein Verhalten stützen, das bereits abgemahnt worden ist. Der Grund hierfür ist das Recht des Arbeitnehmers, zunächst die Chance zu bekommen sich zu bessern. Eine solche Gelegenheit muss ihm jedoch vor einer Kündigung regelmäßig gegeben werden.
Die Gründe der Kündigung müssen also grundsätzlich mit den Gründen der vorangegangenen und erfolglos gebliebenen Abmahnung übereinstimmen. Dies bezeichnet man als die "Gleichartigkeit" von Kündigungs- und Abmahnungsgrund (Korte in: Handbuch des Fachanwalts - Arbeitsrecht, Kapitel 1, Rn.772.). Die Gründe müssen jedoch nicht komplett übereinstimmen, sondern müssen sich lediglich unter den gleichen Oberbegriff, einen "einheitlichen Gesichtspunkt" subsumieren lassen (LAG Frankfurt 07.07.1997 - 16 Sa 2328/96 = NZA 1998, 822.), also das Arbeitsverhältnis in vergleichbarer Art und Weise stören (Korte in: Handbuch des Fachanwalts - Arbeitsrecht, Kapitel 1, Rn.772.).
An dieser Stelle muss jedoch festgehalten werden, dass das Kriterium der Gleichartigkeit in der Rechtsprechung bislang wenig präzise und eher einzelfallbezogen gehandhabt wird (hierzu näher: Dörner in Dörner/Luczak/Willdschütz/Baeck/Hoß: Handbuch des Fachanwalts - Arbeitsrecht, Kapitel 4, Rn.2505; Walker in NZA 1995, 601 (605 f.).).

Beispiel
Arbeitnehmer N macht bei einer verspäteten Krankmeldung falsche Angaben über die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitgeber G mahnt ihn nur wegen der falschen Daten ab. In der Folgezeit kommt es zu einer erneuten, jedoch dieses Mal lediglich verspäteten Krankmeldung. Kann G dem N kündigen unter Berufung auf die Abmahnung?

  • G kann dem N nicht unter Berufung auf die Abmahnung kündigen. In dieser wurde ausschließlich die Falschangabe der voraussichtlichen Arbeitsunfähigkeit bemängelt. Die Kündigung hingegen bezieht sich auf die Verspätung der Krankmeldung. Die Pflichtverstöße sind nicht gleichartig. (Vergleiche dazu auch: LAG Bln.-Bra. 18.12.2009 - 6 Sa 1239/09, ZTR 2010, 163 LS)

Beispiel
Arbeitnehmer N wird wegen Verletzung der Anzeigepflicht bei Krankheit von seinem Arbeitgeber G wirksam abgemahnt. In der Folgezeit soll N zu einem Gespräch bei G erscheinen, weigert sich jedoch. Kann G dem N unter Berufung auf die Abmahnung kündigen?

  • Laut Rechtsprechung kann G dem N unter Berufung auf die Abmahnung kündigen. Es werden hier unberechtigtes Fehlen (Verweigerung des Erscheinens zum Gespräch) und berechtigtes, aber nicht angezeigtes Fernbleiben (nicht angezeigter krankheitsbedingter Ausfall) gleichgesetzt. Die verschiedenen Pflichtverletzungen führten zu einer vergleichbaren Störung des Arbeitsverhältnisses und seien daher übereinstimmender Ausdruck einer spezifischen Unzuverlässigkeit. Daher wurde ihre Gleichartigkeit bejaht (LAG Frankfurt 07.07.1997 - 16 Sa 2328/96 = NZA 1998, 822.).

Beispiel
Arbeitgeber G erteilt dem Arbeitnehmer N eine wirksame Abmahnung mit dem Inhalt, dass er im Rahmen des Zeitmanagements dafür zu sorgen hat, dass die Telefonkosten nicht zu hoch werden. In der Folgezeit wird N dabei erwischt, wie er während der Arbeitszeit private Telefonate führt. Kann G dem N unter Berufung auf die Abmahnung kündigen?

  • Laut Rechtsprechung kann G dem N nicht unter Berufung auf die Abmahnung kündigen, da es an der Gleichartigkeit der Pflichtverletzungen mangele (LAG Nürnberg 06.08.2002 - 6 (5) Sa 472/01 = NZA-RR 2003, 191.).

Beispiel
Arbeitgeber G erteilt dem Arbeitnehmer N eine wirksame Abmahnung, weil dieser eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verspätet vorgelegt hat. In der Folgezeit erscheint N zu spät zur Arbeit, meldet sich nach seinem Eintreffen jedoch nicht bei seinem Vorgesetzten.

  • In diesem Fall handelt es sich laut Rechtsprechung um gleichartige Pflichtverletzungen, da beide unter den Bereich der "Meldepflicht" subsummiert werden können (LAG Saarland 23.04.2003 - 2 SA 134/02.).

Beispiel
Arbeitnehmer N erhält eine wirksame Abmahnung von seinem Arbeitgeber G, weil er einige Kolleginnen durch körperliche Berührungen sexuell belästigt hat. In der Folgezeit unterlässt N zwar die entsprechenden Berührungen, macht jedoch stattdessen anzügliche sexuelle Bemerkungen.

  • Die Pflichtverletzungen sind gleichartig, da sie sich problemlos unter den Begriff der "sexuellen Belästigung" subsummieren lassen. (vgl. hierzu auch: BAG 09.06.2011 - 2 AZR 323/10 = AP BGB § 626 Nr. 236 = NZA 2011, 1342.).


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Miriam Schwartzer, Rechtsreferendarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-80-9.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem

  • Aufhebungsverträge
  • Abwicklungsverträge
  • Kündigungen
  • Kündigungsschutzansprüche
  • Abfindungen
  • Lohn- und Gehaltsansprüche
  • Befristete und unbefristete Arbeitsverträge
  • Betriebsvereinbarungen
  • Tantiemenvereinbarungen

und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

  • Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:

  • Arbeitsvertragsgestaltung: Gestaltungsmöglichkeiten und Fallen
  • Arbeitszeitmodelle: Arbeitszeitkonten, Gleitzeit, (Alters-)Teilzeit, Schichtmodelle, Jobsharing
  • Telearbeit aus arbeitsrechtlicher, datenschutzrechtlicher und IT-rechtlicher Sicht
  • Minijobs rechtssicher gestalten

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