Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung – Teil 14 – Tatsächliche Kenntnisnahme, Mitwirken des Betriebsrates

4.1.6.2 Tatsächliche Kenntnisnahme

Damit die Abmahnung ihre Warnfunktion entfalten kann, ist im Fall einer Abmahnung zusätzlich auch nötig, dass der Inhalt tatsächlich zur Kenntnis genommen wird (Däubler, Das Arbeitsrecht, Rn.694; BAG 09.08.1984 - 2 AZR 400/83 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr.12.). Der Arbeitnehmer muss die Abmahnung nicht nur formal erhalten, sondern auch ihren Inhalt wahrnehmen und verstehen.
Im Falle ausländischer Arbeitnehmer bedeutet dies beispielsweise, dass der Arbeitgeber selbst gewährleisten muss, dass diese den Inhalt seiner Abmahnung verstehen können. Daher kann es gegebenenfalls erforderlich sein, eine Übersetzung in der entsprechenden Fremdsprache beizufügen (Korte in: Handbuch des Fachanwalts - Arbeitsrecht, Kapitel 1, Rn.725.).

Beispiel
Der Arbeitgeber G möchte gegenüber dem Arbeitnehmer N eine Abmahnung aussprechen. G weiß seit der Einstellung des N, dass dieser nur Englisch spricht und kein Wort Deutsch versteht. Die Mitarbeiter untereinander sprechen im Betrieb ebenfalls Englisch. G ruft N zu sich und teilt ihm die Abmahnung - da er selbst nur wenig Englisch spricht - auf Deutsch mit.

  • Die Abmahnung ist unwirksam. N konnte den Inhalt dessen, was ihm G mitteilte nicht verstehen, da er kein Deutsch spricht. Dessen war sich G sogar auch bewusst. G hätte entweder einen Dolmetscher einsetzen, oder die Abmahnung schriftlich und auf Englisch übersetzt erteilen müssen.

Der Arbeitnehmer muss die Abmahnung also tatsächlich zur Kenntnis nehmen, damit sie wirksam wird. Allerdings kann er sich nicht auf die fehlende Kenntnisnahme und damit die Unwirksamkeit der Abmahnung berufen, wenn er sie "absichtlich" oder "böswillig" nicht zur Kenntnis nimmt (Dörner in Dörner/Luczak/Willdschütz/Baeck/Hoß: Handbuch des Fachanwalts - Arbeitsrecht, Kapitel 4, Rn.2460; BAG 09.081984 - 2 AZR 400/83 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr.12.).

Beispiel
Arbeitgeber G schickt Arbeitnehmer N eine inhaltlich korrekte Abmahnung per Post zu. Bei der Durchsicht der Post bemerkt N den Brief. Von den ständigen Auseinandersetzungen mit seinem Chef frustriert, wirft das Schreiben entnervt und ohne es auch nur zu öffnen in den Müll. Als es in der Folgezeit zur Kündigung kommt, macht N geltend, nie von einer Abmahnung Kenntnis erlangt zu haben.

  • Grundsätzlich muss der Empfänger einer Abmahnung deren Inhalt tatsächlich wahrgenommen und verstanden haben, damit sie ihm gegenüber wirksam ist. Hier kann sich N jedoch nicht auf die Unkenntnis berufen, denn er hat es absichtlich unterlassen, das Schreiben zu lesen. N muss sich daher so behandeln lassen, als hätte er vom Inhalt der Abmahnung Kenntnis gehabt. Die Abmahnung ist daher wirksam.

Beispiel
Arbeitnehmer N bleibt unentschuldigt der Arbeit fern. Der Arbeitgeber G möchte deshalb eine Abmahnung aussprechen. G weiß seit der Einstellung des N, dass dieser nur Englisch spricht und kein Wort Deutsch versteht. G erstellt eine schriftliche Abmahnung auf Deutsch und übergibt sie an N. N nimmt das Schreiben ohne Widerspruch entgegen und fordert auch in der Folgezeit keine Aufklärung über den Inhalt. Ist die Abmahnung wirksam?

  • Damit die Abmahnung wirksam ist, muss der Empfänger tatsächlich von ihrem Inhalt Kenntnis genommen haben. Das ist hier nicht der Fall, denn N versteht kein Deutsch. Jedoch kann N sich nicht auf diese fehlende Kenntnisnahme berufen, da N nicht einmal bei G nach dem Inhalt gefragt hat, sondern das Schreiben schlicht als inexistent ignoriert hat. Zwar hätte G dafür sorgen müssen, dass die Abmahnung auf einer für N verständlichen Sprache ergeht. Jedoch gibt dies N nicht das Recht, die Abmahnung völlig zu ignorieren. G durfte durch die fehlende Nachfrage oder Reaktion daher davon ausgehen, dass sich N anderweitig Kenntnis über den Inhalt verschafft hat. (Vergleiche dazu auch: BAG 09.081984 - 2 AZR 400/83 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr.12.).

4.1.7 Mitwirken des Betriebsrates

Die Abmahnung unterliegt nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Somit ist eine Anhörung des Betriebsrats zur Erteilung einer Abmahnung nicht erforderlich. Gleiches gilt im Übrigen auch für eine Anhörung der Schwerbehindertenvertretung (Korte in: Handbuch des Fachanwalts - Arbeitsrecht, Kapitel 1, Rn.774.).
Auch hat der Betriebsrat kein Recht auf Überlassung einer Abschrift der Abmahnung. Eine schriftliche Abmahnung ist jedoch der Personalakte beizufügen. Der Betriebsrat kann somit auf diesem Weg Einsicht in das Schreiben nehmen (Korte in: Handbuch des Fachanwalts - Arbeitsrecht, Kapitel 1, Rn.774.).


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Miriam Schwartzer, Rechtsreferendarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-80-9.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


Wir beraten Sie gerne persönlich, telefonisch oder per Mail. Sie können uns Ihr Anliegen samt den relevanten Unterlagen gerne unverbindlich als PDF zumailen, zufaxen oder per Post zusenden. Wir schauen diese durch und setzen uns dann mit Ihnen in Verbindung, um Ihnen ein unverbindliches Angebot für ein Mandat zu unterbreiten. Ein Mandat kommt erst mit schriftlicher Mandatserteilung zustande.
Wir bitten um Ihr Verständnis: Wir können keine kostenlose Rechtsberatung erbringen.


Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem

  • Aufhebungsverträge
  • Abwicklungsverträge
  • Kündigungen
  • Kündigungsschutzansprüche
  • Abfindungen
  • Lohn- und Gehaltsansprüche
  • Befristete und unbefristete Arbeitsverträge
  • Betriebsvereinbarungen
  • Tantiemenvereinbarungen

und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

  • Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:

  • Arbeitsvertragsgestaltung: Gestaltungsmöglichkeiten und Fallen
  • Arbeitszeitmodelle: Arbeitszeitkonten, Gleitzeit, (Alters-)Teilzeit, Schichtmodelle, Jobsharing
  • Telearbeit aus arbeitsrechtlicher, datenschutzrechtlicher und IT-rechtlicher Sicht
  • Minijobs rechtssicher gestalten

Kontaktieren Sie Rechtsanwalt Tilo Schindele unter:  
Mail: schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Telefon: 0711-896601-24

 


Mehr Beiträge zum Thema finden Sie unter:

RechtsinfosArbeitsrecht