Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung – Teil 01 – Einleitung, Begriff und Funktion der Abmahnung

1 Einleitung: die Abmahnung im Arbeitsrecht

Bei Fehlverhalten im Rahmen von Arbeitsverhältnissen stellt sich häufig die Frage nach der richtigen Reaktion. Im schlimmsten Fall droht die verhaltensbedingte Kündigung als die - für beide Seiten gleichermaßen - ultima ratio (vgl. Schaller in DStR 1997, 203 (203).). Diese ist jedoch aufgrund ihrer weitreichenden Konsequenzen an strenge Voraussetzungen geknüpft.
In den meisten Fällen eines vorliegenden Fehlverhaltens ist zuerst eine Abmahnung erforderlich, um der Gegenseite zunächst die Chance zu geben, das vertragswidrige Verhalten einzustellen. Es muss also eine "Chance zur Besserung" gewährt werden. Wenn es jedoch trotz wirksamer Abmahnung zu keiner Verhaltenskorrektur kommt, dann - und nur dann - ist die Kündigung auf Grund des Verhaltens des Arbeitnehmers überhaupt möglich.
Es zeigt sich also, dass dem Institut der Abmahnung im Arbeitsrecht ganz erhebliche Bedeutung zukommt. Aufgrund der Tatsache, dass häufig die Wirksamkeit einer arbeitsrechtlichen Kündigung davon abhängt, ob zunächst eine wirksame Abmahnung ausgesprochen wurde, ist sie nicht selten Gegenstand arbeitsrechtlicher Streitigkeiten.

Gerade wegen dieser heute weitreichenden Relevanz der Abmahnung ist das Fehlen gesetzlicher Regelungen in diesem Bereich umso bedauerlicher. Stattdessen wurden die einzelnen Voraussetzungen einer wirksamen Abmahnung durch die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte, insbesondere durch die des Bundesarbeitsgerichts (BAG) entwickelt (vgl. Korte in: Handbuch des Fachanwalts - Arbeitsrecht, Kapitel 1, Rn.707.). Es ist eben dieser Umstand, der in der Praxis häufig zu Unsicherheiten bei der Anwendung führt.

Mit diesem Handbuch soll das Institut der Abmahnung als arbeitsrechtliches Mittel von erheblichem Gewicht - sowohl für Arbeitgeber, als auch Arbeitnehmer - systematisch und in praxisorientierter Art und Weise aufbereitet werden. Erklärtes Ziel ist es hierbei, die Rechtssicherheit bei der Handhabung und Beurteilung der Abmahnung für alle Parteien zu gewährleisten.

2 Begriff und Funktion der arbeitsrechtlichen Abmahnung

2.1 Der Aussagegehalt der Abmahnung

Mit einer Abmahnung erklärt eine Vertragspartei gegenüber der anderen, dass es aus ihrer Sicht zu einem Verstoß gegen die vertraglichen Pflichten gekommen ist, und dass dies nicht noch ein weiteres Mal ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen hingenommen werden wird (vgl. Appel in: Arbeitsrecht - ein Handbuch für die Praxis, § 78, Rn.1.).
Eine Abmahnung ist daher ein arbeitsrechtliches Mittel, um auf eine Vertragsverletzung zu reagieren. Sie steht grundsätzlich sowohl dem Arbeitgeber, als auch dem Arbeitnehmer zur Verfügung.[1]

2.2 Die Funktionen der Abmahnung

Eine Abmahnung entfaltet im Wesentlichen drei Funktionen:

  • Rüge- und Dokumentationsfunktion: Das vertragsverletzende Verhalten wird gerügt und der Vorfall dokumentiert.
  • Aufforderungsfunktion: es wird zum vertragsmäßigen Verhalten aufgefordert.
  • Warnfunktion: es wird für den Fall des fortdauernden Fehlverhaltens mit den arbeitsrechtlichen Konsequenzen gedroht.

Damit eine Abmahnung rechtswirksam werden kann, muss sie diese drei Funktionen auch tatsächlich erfüllen. Daher muss sie alle drei Punkte - das Beschreiben des Pflichtverstoßes, die Aufforderung zu künftiger Vertragstreue, sowie die Androhung der Kündigung bei erneutem Fehlverhalten - beinhalten (näher dazu: Unterpunkt 5.3.6.).

2.2.1 Rüge- und Dokumentationsfunktion

Die Abmahnung ist zunächst dazu da, den Arbeitnehmer darauf aufmerksam zu machen, dass er eine Pflichtverletzung begangen hat ("Rügefunktion"; BAG 23.06.2009 - 2 AZR 606/08 = NZA 2009, 1011.). Zudem wird dadurch der Vorfall durch den Arbeitnehmer festgehalten und dokumentiert (Dokumentationsfunktion). Die Dokumentationsfunktion darf jedoch nicht gleichgesetzt werden mit der Beweisfunktion. Diese kommt der Abmahnung gerade nicht zu. Eine Abmahnung beweist nicht, dass der bemängelte Pflichtverstoß tatsächlich begangen wurde. Ob dies der Fall ist, muss eigenständig bewiesen werden (Schaller in DStR 1997, 203 (204).). Die Funktion der Abmahnung liegt lediglich darin, zu dokumentieren, dass der Arbeitnehmer auf den Verstoß - sofern er denn stattgefunden hat - hingewiesen wurde, sodass der Arbeitnehmer sein Fehlverhalten erkennen und in Zukunft unterlassen konnte.

2.2.2 Aufforderungsfunktion

Der Arbeitnehmer muss zudem unmissverständlich dazu aufgefordert werden, sich in Zukunft vertragstreu zu verhalten. Hierbei wird bereits der zukunftsorientierte Charakter der Abmahnung deutlich: Sie hat keine Sanktionsfunktion, stellt also keine "Bestrafung" für vergangenes Fehlverhalten dar (Schaller in DStR 1997, 203 (203).). Stattdessen soll der Arbeitnehmer durch die Abmahnung dazu aufgefordert werden, das geschilderte Fehlverhalten zukünftig zu unterlassen, damit das Arbeitsverhältnis unter Wahrung der Vertragstreue ungestört fortgesetzt werden kann (vgl. Schaub in NJW 1990, 872 (873).).

2.2.3 Warnfunktion

Es genügt jedoch nicht, die bloße Vertragswidrigkeit des Verhaltens klarzustellen und den Arbeitnehmer zur Vertragstreue anzuhalten. Vielmehr soll dem Arbeitnehmer durch die Abmahnung vor Augen geführt werden, dass im Wiederholungsfall individualarbeitsrechtliche Konsequenzen drohen (BAG 23.06.2009 - 2 AZR 606/08 = NZA 2009, 1011; BAG 27.11.2008 - 2 AZR 675/07 = AP BGB § 611 Abmahnung Nr.33.). Es muss zwar keine konkrete Maßnahme angedroht werden, aber dem Arbeitnehmer muss mit der Abmahnung deutlich gemacht werden, dass das Arbeitsverhältnis bei einem erneuten Verstoß "in seinem Inhalt und Bestand gefährdet" ist, er also auch mit einer Kündigung rechnen muss.
Erneut ist diese Funktion klar von der Sanktionsfunktion, welche die Abmahnung gerade nicht hat, zu unterscheiden: Die Abmahnung bestraft nicht, sie warnt.

2.3 Die Bedeutung der Abmahnung für die Parteien des Arbeitsvertrags

2.3.1 Die Bedeutung für den Arbeitgeber

2.3.1.1 Bewirken der Vertragstreue

Obwohl sich die Fragen nach der Rechtmäßigkeit einer Abmahnung meist im Rahmen einer nachfolgenden Kündigung stellt, sollte eines nicht vergessen werden: Primäres Ziel der Abmahnung ist es, die andere Vertragspartei zur Vertragstreue anzuhalten. Der Zweck einer Abmahnung liegt also in erster Linie gerade nicht im Hinwirken auf eine Kündigung, sondern im Streben nach Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses. Für den Arbeitgeber entwickelt die Abmahnung daher zunächst personalpolitische Bedeutung (Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1414.).

2.3.1.2 Vorbereiten einer Kündigung

In den meisten Fällen ist eine Abmahnung notwendige Voraussetzung für eine spätere Kündigung. In anderen Worten: Ohne vorausgegangene Abmahnung keine verhaltensbedingte Kündigung. Wenn der abgemahnte Arbeitnehmer also sein Verhalten nicht ändert und es zu weiteren Pflichtverletzungen kommt, entfaltet die Abmahnung auch ihre rechtliche Bedeutung für den Arbeitgeber: die Abmahnung ist in diesem Fall die "Vorbereitung der Kündigung" (Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1414.).

2.3.1.3 Entgegenwirken einer „schlüssigen“ Vertragsänderung

Auch aus einem weiteren Grund empfiehlt es sich, Vertragsverletzungen nicht stillschweigend hinzunehmen, sondern eine Abmahnung auszusprechen: Duldet eine Vertragspartei ein vertragsverletzendes Verhalten über längere Zeit hinweg, so liegt darin ein „schlüssiges Verhalten“, durch das sich der Vertrag stillschweigend ("konkludent") ändern kann (Gerhards in: BB 1996, 794 (794); Schaller in: DStR 1997, 203 (204).). Das ursprünglich vertragswidrige Verhalten gilt dann durch die dauernde Duldung als vertragsmäßig. Ist dies geschehen, kann der Arbeitnehmer wegen dieses Verhaltens nicht mehr abgemahnt oder gar gekündigt werden. Um eine solche stillschweigende Vertragsänderung zu verhindern sollten Vertragsverletzungen nie unkommentiert hingenommen werden.

2.3.2 Die Bedeutung für den Arbeitnehmer

Die Abmahnung ist jedoch nicht nur für den Arbeitgeber, sondern gleichzeitig auch für den Arbeitnehmer von großer Bedeutung. Einerseits kann einem Arbeitnehmer in den allermeisten Fällen nur gekündigt werden, wenn schon zuvor wegen genau dieses Verhaltens eine wirksame Abmahnung gegen ihn ergangen ist und er sein Verhalten trotzdem nicht geändert hat. Eine Kündigung kann also unwirksam sein, wenn es vorher keine Abmahnung gab, oder diese ihrerseits unwirksam war. Der Arbeitnehmer hat daher ein erhebliches Interesse daran zu wissen, ob eine Abmahnung gegen ihn wirksam war oder nicht. Ist dies nicht geschehen und bleibt der Arbeitnehmer infolge seiner vermeintlichen Kündigung der Arbeit fern, so handelt es sich hierbei um einen Vertragsbruch, welcher möglicherweise erhebliche negative Folgen, wie etwa Schadenersatzforderungen oder die wiederrum fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber nach sich ziehen kann (Kleinebrink in: HzA - Arbeitsrecht in der Praxis, Ordner 3a, Gruppe 5, Teilbereich 2, Rn.1420 f.).
Andererseits kann der Arbeitnehmer nicht nur Empfänger einer Abmahnung sein, sondern sie auch selbst gegenüber dem Arbeitgeber aussprechen (siehe dazu näher: Unterpunkte 8, 9.).


[1] Aufgrund der Tatsache, dass es sich in der Praxis in den meisten Fällen um Abmahnungen durch den Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer handelt, widmet sich jedoch der erste und überwiegende Teil dieses Werkes dieser Variante. Die Besonderheiten, die im Fall einer Abmahnung durch den Arbeitnehmer gelten, werden in den Unterpunkten 8 und 9 behandelt.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Handbuch zur arbeitsrechtlichen Abmahnung“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Miriam Schwartzer, Rechtsreferendarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-80-9.


Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem

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und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

  • Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:

  • Arbeitsvertragsgestaltung: Gestaltungsmöglichkeiten und Fallen
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