Haftung für Steuerverbindlichkeiten – Teil 10 – Verschulden
Herausgeber / Autor(-en):
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
5.6 Verschulden
Der GmbH-Geschäftsführer muss die Pflichtverletzung schuldhaft begangen haben. Das ist der Fall, wenn er sich vorsätzlich oder grob fahrlässig verhält und durch sein Verhalten eine steuerliche Pflichtverletzung begeht.
5.6.1 Vorsatz und Fahrlässigkeit
Vorsatz ist gegeben, wenn der Geschäftsführer die steuerlichen Pflichten kennt und bewusst missachtet (Fußnote). Dabei wird - wie im Strafrecht - allgemein auf den Grundsatz vom "Wissen und Wollen" abgestellt. Das bedeutet, dass der Geschäftsführer mit "Wissen" um die Pflichtverletzung handeln muss und diese Pflichtverletzung auch "wollen" oder sie zumindest billigend in Kauf nehmen muss.
Beispiel
Der Geschäftsführer G der X-GmbH weiß als gelernter Diplom-Finanzwirt bestens über die steuerlichen Pflichten der X-GmbH. Dennoch kommt er den ihm obliegenden steuerlichen Verpflichtungen der GmbH nicht nach, da er aus Protest über die seiner Ansicht nach falsche Flüchtlingspolitik, keine Gelder an den Fiskus entrichten will.
- G handelt vorsätzlich. Er kennt die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten und verstößt gegen diese Pflichten mit Wissen und Wollen.
Dem Vorsatz ist bei der Haftung die grobe Fahrlässigkeit gleichgestellt.
Grob fahrlässig handelt, wer die
- nach seinen persönlichen Fähigkeiten
- und Verhältnissen
- zumutbare Sorgfalt
- in hohem Maße
- und in nicht entschuldbarer Weise
- verletzt (Fußnote).
Der GmbH-Geschäftsführer handelt danach grob fahrlässig, wenn er erforderliche Überlegungen nicht anstellt und das Offensichtliche unbeachtet lässt, obwohl er hierzu verpflichtet wäre (Fußnote).
Beispiel
G wurde kürzlich zum Geschäftsführer der X-GmbH, die Bauarbeiten durchführt, bestellt. Mit den auf ihn zukommenden steuerlichen Pflichten hat sich G nicht auseinandergesetzt, da ihn das Finanzamt nicht interessiert. Die Aufträge kassiert er bar ab und seine Mitarbeiter zahlt er auch bar aus, weil ihm das am einfachsten erscheint. Er unterlässt es, Umsatzsteuer und Lohnsteueranmeldungen abzugeben. Die abzuführenden Steuerbeträge belaufen sich auf mittlerweile 40.000 EUR.
- G handelt grob fahrlässig. Der Vertreter einer GmbH kann sich nicht darauf berufen, dass er die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten nicht kennt. Denn ein Geschäftsführer ist verpflichtet, sich über die mit der Geschäftsführung einer GmbH verbundenen steuerlichen Pflichten zu informieren und sich ggfs. der Hilfe Dritter (z.B. Steuerberater) zu bedienen.
Beispiel
Nachdem sich G über seine steuerlichen Pflichten in diversen Internetforen informiert und auch entsprechende Steuererklärungen abgegeben hat, beschließt die Gesellschafterversammlung der X-GmbH die Ausschüttung einer Dividende in Höhe von 10.000 EUR. G weiß, dass er verpflichtet wäre, aufgrund der Dividendenausschüttung Kapitalertragssteuer an das Finanzamt abzuführen und ärgert sich darüber. Als er abends seinen Stammtischkollegen davon erzählt, erfährt er, dass aufgrund einer vermeintlichen Neuregelung der Kapitalertragssteuer diese nun doch nicht mehr an das Finanzamt abzuführen sei. Als er Erkundigungen beim Finanzamt einholt, wird ihm mitgeteilt, dass dies so nicht zutreffend sei und er die Steuer abzuführen habe. Dennoch führt er unter Berufung auf seine Rechtsauffassung keine Kapitalertragssteuer ab.
- Indem G unter Berufung auf eine von der Verwaltungsmeinung abweichende Rechtsauffassung seiner gesetzlichen Verpflichtung, Kapitalertragssteuer einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen nicht nachgekommen ist, handelte er grob fahrlässig. Im Verwaltungsverfahren wird insbesondere für die Kapitalertragssteuer regelmäßig vorausgesetzt, dass die Beträge entsprechend der allgemein gültigen Rechtsauffassung zu erklären sind. Eine abweichende andere Rechtsauffassung wäre im Rechtsbehelfsverfahren durchzusetzen (Fußnote).
5.6.2 Ausschluss des Verschuldens
Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit sind nicht gegeben, wenn der Geschäftsführer einem absolut unvermeidbaren Irrtum über die Rechtslage unterliegt. Ein Irrtum ist unvermeidbar, wenn für den Geschäftsführer kein Grund zu der Annahme besteht, dass sein Handeln falsch ist. Denn wenn der Geschäftsführer davon ausgeht, rechtlich korrekt zu handeln, kann ihm nicht unterstellt werde, dass er vorsätzlich pflichtwidrig handelt. Auch ist grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen, da aufgrund der Unvermeidbarkeit keine Sorgfaltsverletzung vorliegt.
Von einem Irrtum ist z.B. auszugehen, wenn sich der Geschäftsführer auf Informationen des Finanzamts verlassen hat. Ebenso kann eine unklare Rechtslage das Verschulden ausschließen (Fußnote).
Beispiel
G ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der W-GmbH, die Wohngebäude herstellt. Ein vom Auftraggeber A in Auftrag gegebenes Gebäude wurde im Jahr 1977 teilweise fertiggestellt, jedoch von A nicht abgenommen. Aufgrund eines Merkblattes des Finanzamts ging G davon aus, das für die Entstehung der Umsatzsteuer bei Baudienstleistungen die Abnahme durch den A erforderlich sei. Deshalb wurden die Umsätze aus dem Auftrag des A nicht in den laufenden monatlichen Umsatzsteuer-voranmeldungen erklärt. Bei der späteren Erstellung der Jahressteuererklärung wurden sie dann auf Rückfrage des Finanzamts doch angegeben. Die im Rahmen der Umsatzsteuer-Jahreserklärung angemeldete Umsatzsteuer-Nachzahlung wurde jedoch infolge Zahlungsunfähigkeit der W-GmbH nicht an das Finanzamt abgeführt.
- G handelte weder vorsätzlich noch grob fahrlässig. Denn unter Berücksichtigung des vom Finanzamt verbreiteten Merkblatts musste G nicht davon ausgehen, dass seine Lieferung bereits im Jahr 1977 ausgeführt war. Demnach wäre nach der Rechtsauffassung des G im Jahr 1977 keine Umsatzsteuer entstanden. Der Irrtum war für G auch unvermeidbar, da eine falsche Auskunft des Finanzamts vorlag. Es liegt damit ein Rechtsirrtum vor, so dass die Voraussetzungen einer persönlichen Haftung des G als Geschäftsführers nach § 69 AO nicht vorliegen (Fußnote).
Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Haftung des Geschäftsführers für Steuerverbindlichkeiten“ von Monika Dibbelt, Rechtsanwältin und Carola Ritterbach, Rechtsanwältin mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-018-2.
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