Gemeinnützigkeitsrecht - Teil 07 - Selbstlosigkeit I
Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
3.5 Selbstlosigkeit § 55 AO
Nach § 55 AO geschieht eine Förderung selbstlos, wenn durch die Selbstlosigkeit keine eigenwirtschaftlichen Zwecke verfolgt werden.
3.5.1 Begriff der Selbstlosigkeit
Neben der Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke und der Förderung der Allgemeinheit auf
- materiellem,
- geistigem und
- sittlichem Gebiet
muss als weitere Voraussetzung für die Anerkennung der Steuerbegünstigung wegen Gemeinnützigkeit die Selbstlosigkeit gemäß § 55 Abs. 1 AO gegeben sein.
§ 55 Abs. 1 AO definiert den Begriff der Selbstlosigkeit wie folgt:
"Eine Förderung oder Unterstützung geschieht selbstlos, wenn dadurch nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke – z.B. gewerbliche Zwecke oder sonstige Erwerbszwecke – verfolgt werden und die weiteren Voraussetzungen, die der Gesetzgeber in § 55 Abs. 1 Nr. 1–5 AO fordert, erfüllt sind."
Der Begriff der Selbstlosigkeit ist von der Rechtsprechung entwickelt worden (Fußnote) und wird für alle steuerbegünstigten Zwecke im Sinne der §§ 52 - 54 AO gefordert.
Selbstloses Handeln ist nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AO immer dann gegeben, wenn eine steuerbegünstigten Zwecken dienende Körperschaft nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke erfüllt.
Für die Steuerbegünstigung schädliche eigenwirtschaftliche Interessen verfolgt eine Körperschaft immer dann, wenn sie mit ihren Betätigungen eigenen wirtschaftlichen Interessen nachgeht.
Der Gesetzgeber fordert daher bei Körperschaften, die als steuerbegünstigten Zwecken dienend anerkannt werden wollen, bestimmte Voraussetzungen:
- Bei gemeinnützigen Zwecken nach § 52 AO, dass die Allgemeinheit auf materiellem, geistigen oder sittlichem Gebiet selbstlos gefördert wird.
- Bei mildtätigen Zwecken nach § 53 AO, dass eine selbstlose Unterstützung des in § 53 Nr. 1 und 2 AO genannten Personenkreises, der persönlich und wirtschaftlich hilfsbedürftig ist, erfolgt.
- Bei kirchlichen Zwecken nach § 54 AO, dass eine selbstlose Förderung einer Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, erfolgt.
Dabei sind eigenwirtschaftliche Zwecke solche Zwecke, die der Mehrung der eigenen Einkünfte oder der eigenen Substanz dienen.
3.5.2 Selbstlosigkeit und Betätigungen in einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb §§ 14, 64 AO
Wird von einer steuerbegünstigten Zwecken dienenden Körperschaft ein steuerschädlicher wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb unterhalten, liegt kein Verstoß gegen die Selbstlosigkeit vor.
Die Unterhaltung eines steuerschädlichen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes führt in Bezug auf diese Tätigkeit (Fußnote) zur Einschränkung von steuerlichen Vergünstigungen für die Körperschaft.
Mit einem Betrieb solcher Art wird die Körperschaft partiell (Fußnote) steuerpflichtig (Fußnote).
Voraussetzung für die Unterhaltung eines derartigen steuerschädlichen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes ist, dass durch eine derartige Betätigung die eigentlichen steuerbegünstigten, satzungsmäßigen Zwecke nicht in den Hintergrund treten. Das bedeutet, dass das wirtschaftliche Betätigungsfeld keinesfalls den eigentlichen Zweck der Körperschaft darstellen und dieser folglich das Gepräge geben darf.
Steuerunschädliche wirtschaftliche Geschäftsbetriebe (Fußnote) im Sinne von §§ 64, 65 in Verbindung mit §§ 66–68 AO beeinträchtigen die Steuerbegünstigung nicht, weil sie vom Gesetzgeber ausdrücklich zugelassen worden sind.
Beispiel
Der gemeinnützige Verein A betreibt mehrere Sozialstationen und führt im Landkreis B die Altkleidersammlung durch. A ist zu 100 % an der vor zehn Jahren aus dem Verein ausgegliederten Behindertenwerkstatt beteiligt. Die dort Betreuten arbeiten in der Tischlerei, Wäscherei sowie im Garten- und Hauswirtschaftsbereich. Seit einem Jahr betreibt die Behindertenwerkstatt einen Gaststätten- und Hotelbetrieb in der Innenstadt. Hier sind in geringem Umfang auch Behinderte aus dem Hauswirtschaftsbereich unter Anleitung von zwei Gruppenleitern tätig.
- Die Tätigkeiten sind folgenden Bereichen zuzuordnen:
- Sozialstationen/Tischlerei etc. = steuerbefreite Zweckbetriebe.
- Altkleider und Gaststätte/Hotel = steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe.
- Der Gewinn aus der Altkleidersammlung ist mit dem Verlust aus dem Bereich Gaststätte/Hotel zu verrechnen (Fußnote).
3.5.3 Eigenwirtschaftliche Zwecke
Nach § 55 Abs. 1 AO nennt als Beispiele für eigenwirtschaftliche Zwecke
- gewerbliche Zwecke und
- sonstige Erwerbszwecke.
Danach können sich eigenwirtschaftliche Interessen beispielsweise
- aus der Zielsetzung der steuerbegünstigen Körperschaft (Fußnote),
- der tatsächlichen Geschäftsführung Fußnote) oder
- der Stellung der Mitglieder im Privat- und Erwerbsleben
ergeben (Fußnote).
Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Steuerrechtliches Gemeinnützigkeitsrechts“ von Carola Ritterbach, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht, und Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Jens Bierstedt LL.M, wissenschaftlicher Mitarbeiter, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-939384-93-9.
Herausgeber / Autor(-en):
Carola Ritterbach
Rechtsanwältin
Monika Dibbelt
Rechtsanwältin
Stand: Januar 2019