Freistellung im Arbeitsrecht – Teil 16 – Betriebsrisiko des Arbeitgebers

9.2.3 Betriebsrisiko des Arbeitgebers, nach § 615 S. 3 BGB

Bei dem Betriebsrisiko, wo kein Verschulden des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers ursächlich für die Betriebsstörung ist (Fußnote) und der Arbeitnehmer auch ohne Arbeitsleistung seinen Lohnanspruch behält, liegen betriebsbedingte Gründe für die fehlende Leistungsfähigkeit des Betriebes vor. Hierunter fallen vor allem technische Umstände, die den Betrieb quasi zum Stilllegen fordern. Auch die Unterbrechung von der Energieversorgung, die Beeinflussung durch Naturereignisse, die Einbuße von Rohstoffen aufgrund fehlender Lieferketten oder dem plötzlichen und im hohen Maße Auftreten von Maschinenschäden stellen Betriebsrisikofälle dar. Wenn also keine in der Person des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers vorwerfbaren Gründe vorliegen, sondern rein aus betriebstechnischen Ursachen keine Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer mehr möglich ist, folgt hieraus die sogenannte Betriebsrisikolehre, nach derer der Arbeitgeber das Entgelt gemäß § 615 S. 3 BGB dem Arbeitnehmer dennoch weiterhin schuldet.

9.2.4 Behördlich angeordnete Schließung

Pandemien können ursächlich für die vorübergehende Schließung oder das massive Reduzieren der Arbeitsleistung auf ein Minimum von Unternehmen sein. Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber das wirtschaftliche Risiko, wenn beispielsweise Rohstoffe, die zur Produktentwicklung benötigt werden, von dem betreffenden Zulieferer nicht zur Verfügung gestellt werden können. Wenn es aber, wie bei einer Pandemie, zu einer behördlich angeordneten Betriebsschließung kommt (z.B. aufgrund § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG) dann kommt auch hier die Lehre des Betriebsrisikos in Betracht. Demnach müsste auch hier der Arbeitgeber die Lohnkosten weiterhin aufbringen. Wesentlich für die Zurechnung des Risikos, ist die Frage der Steuerbarkeit des Risikos und, ob das Risiko in der Eigenart des Betriebes angelegt ist. Im Falle eines Smogs, welches die Schließung eines Betriebes mit ausstoßenden Schadstoffen ohne Frage notwendig macht (Fußnote), bedingt diese besondere Eigenart des Betriebs die Schließung. Hierbei fällt das Betriebsrisiko mithin auf den Arbeitgeber und er ist zur Weiterzahlung des Entgelts verpflichtet.

Auch Rahmen einer krankheitsbedingten Pandemie, bei der es zwar um grundsätzliche Schließungen aller Betriebe geht, die gewissermaßen durch die Infektionsgefahren nicht genügend Schutz für Mitarbeiter, Gäste oder Kunden garantieren können, wird von einer Art höheren Gewalt ausgegangen. Allerdings lässt die Betriebsrisikolehre die Einstellung des Betriebes, im Anschluss an eine behördliche Anordnung, ebenso unter das vom Arbeitgeber zu tragende Betriebsrisiko fallen. Hieraus folgt ebenso die Pflicht zur Entgeltfortzahlung.

9.2.5 Möglichkeiten für den Arbeitgeber

Grundsätzlich besteht also für den Arbeitgeber die Vergütungspflicht, trotz vorrübergehender Schließung des Betriebes, sei es im Alleingang des Arbeitgebers aufgrund der wirtschaftlichen Lage, sei es durch behördlich angeordnete Schließungen. Jedoch hat der Arbeitgeber Möglichkeiten, sein Betriebsergebnis nicht vollends im Verlustbereich zu sehen, sondern er kann über verschiedene Wege den zu erwartenden Schaden minimieren.

9.2.6 Urlaub und Gutstunden

Zunächst können die Arbeitnehmer durch die Inanspruchnahme von Urlaub oder geleisteten Überstunden beispielsweise die Rückstellungen des Arbeitgebers, für die Zeit nach der Schließung, abmildern. Zeitgleich erhält der Arbeitnehmer den vollen Lohnanspruch für die betreffenden Tage, trotz fehlender Arbeitsleistung. Allerdings bedarf es der gegenseitigen Absprache mit dem Arbeitgeber, denn keine der beiden Vertragsparteien kann einseitig den Abbau von Urlaub oder Überstunden festlegen. Auch während der Pandemiezeit können Betriebsferien lediglich mit einem überschaubaren und angemessenen Vorlauf festgelegt werden, die Urlaubswünsche der Arbeitnehmer müssen ebenso, gemäß § 7 I 1 BUrlG, Berücksichtigung finden (Fußnote).

9.2.7 Freistellung durch den Arbeitgeber

Freistellung des Arbeitnehmers unter Bezug seiner gewöhnlichen Vergütung, kann der Arbeitgeber im Rahmen einer Kündigung als widerruflich oder unwiderruflich wahrnehmen. Bei einer Pandemie sind hieran gewisse Voraussetzungen geknüpft, die dies einseitig rechtfertigen. Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer dann freistellen, wenn es für den Arbeitnehmer im Betrieb keinen ausreichenden Schutz für seine Gesundheit gewährleistet werden kann. Ebenso ist die Freistellung legitim, wenn der nachweisliche Verdacht besteht, dass der Arbeitnehmer erkrankt ist, wenn er beispielsweise aus einem Pandemie betroffenen Gebiet zurückkehrt. Wenn die Freistellung aufgrund einer Übereinkunft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zustande gekommen sein sollte, kann auch beschlossen werden, ob es sich um eine entgeltliche oder unentgeltliche Freistellung handelt.

Hinweis zu § 615 S.1 BGB
Die Regelungen zur Vergütungspflicht bei Annahmeverzug und Betriebsrisiko des Arbeitgebers findet nur dann Anwendung, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufgrund der angeordneten sozialen Distanzierung freistellt. Erfolgt die Freistellung aufgrund desbestätigten Infektionsverdachtes (symptomatisch oder Kontaktperson derer) kann der Arbeitgeber gegen den Träger der Gesundheitsbehörde analog nach § 56 V 2 IfSG einen Anspruch auf Entschädigung erlangen, wenn die Gesundheitsbehörde nicht tätig geworden ist und lediglich aus diesem Grund die staatliche Entschädigung nach § 56 V IfSG nicht beansprucht werden kann (Fußnote).


Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Die gesetzlichen Freistellungsansprüche im Arbeitsrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-019-9.


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
Er prüft, erstellt und verhandelt unter anderem

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und berät und vertritt Betriebsräte.

Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

  • Arbeitnehmer und Scheinselbständigkeit

Rechtsanwalt Tilo Schindele ist Dozent für Arbeitsrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare zum Thema:

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