Europäisches Erbrecht – Teil 15 – Das europäische Nachlasszeugnis

  • Das europäische Nachlasszeugnis i.S.d. Art. 62 ff. EuErbVO ist ein Dokument/Zeugnis, das auf Antrag für grenzüberschreitende Erbrechtsfälle ausgestellt wird und das ebenso wie der Erbschein die erbrechtlichen Verhältnisse darstellt, siehe Art. 63 II EuErbVO. Da das europäische Nachlasszeugnis mit der EuErbVO neu eingeführt wurde, kann es nur für Erbfälle beantragt werden, die am 17.08.2015 oder später eingetreten sind. Auch beim europäischen Nachlasszeugnis besteht für den Erben keine Pflicht, dieses zu beantragen. Das europäische Nachlasszeugnis besitzt also die gleiche Funktion wie der Erbschein, wird aber bei Erbrechtsfällen mit Auslandsbezug beantragt. Die Dauer der Ausstellung des europäischen Nachlasszeugnisses kann die des Erbscheines minimal überschreiten, da der Verfahrensaufwand als etwas höher einzuschätzen ist.

Auf weitere Unterschiede zwischen dem Erbschein und dem europäischen Nachlasszeugnis wird im Folgenden eingegangen.

9.2 Historischer Hintergrund des europäischen Nachlasszeugnisses

Zwar wurden bereits vor Erlass der EuErbVO mehrere Versuche unternommen, das Erbrecht in den verschiedenen EU-Staaten zu vereinheitlichen, diese Ansätze scheiterten aber allesamt. Vor Einführung der EuErbVO wurde die Anerkennung von ausländischen Erbscheinen daher allein durch bilaterale Abkommen zwischen den Staaten geregelt (beispielsweise existiert ein solcher Vertrag zwischen der BRD und Großbritannien), was zu einigen Schwierigkeiten führen kann. Zum Beispiel führen Unterschiede in den Rechtssystemen und sprachliche Differenzen dazu, dass ausländische Erbscheine nahezu unverständlich werden oder in rechtlicher Hinsicht nicht erkenntlich ist, was gemeint ist. Zwischen manchen Staaten existieren bilaterale Abkommen erst gar nicht, so dass sich der Erbfall nach dem innerstaatlichen Kollisionsrecht des Staates richtet, in dem sich das Vermögen befindet, was die Beteiligten verständlicherweise oft überrascht (Fußnote). Durch die wachsende Globalisierung und damit einhergehende steigende Mobilität der Bürger sind in den vergangenen Jahrzehnten allerdings immer mehr Erbfälle mit internationalem Bezug entstanden, so dass die uneinheitlichen Regeln in den einzelnen Staaten kaum noch zu überblicken waren.

9.3 Beweis- Gutglaubens- und Legitimationsfunktion, Art. 69 EuErbVO

Liegt ein Erbfall vor, muss der Erbe dies oft nachweisen können, um beispielsweise auf das Konto des Erblassers zugreifen zu können oder um gegenüber dem Grundbuchamt beweisen zu können, dass ein Erbrecht besteht. Dieser Nachweis kann durch Vorlage eines Erbscheins oder europäischen Nachlasszeugnisses erbracht werden. Das europäische Nachlasszeugnis hat daher Beweis- Gutglaubens- und Legitimationsfunktion. Wird dieses vorgelegt, wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass die in dem Zeugnis gemachten Angaben über den Erben, den Testamentsvollstrecker etc. korrekt sind (Für Irland und Dänemark entfaltet die EuErbVO keine Geltung, obwohl sie EU- Mitgliedsstaaten sind. Für Großbritannien galt dasselbe, jedoch handelt es sich seit dem Brexit bei Großbritannien nicht mehr um einen EU-Mitgliedstaat, so dass die EuErbVO sich schon deswegen gar nicht auf Großbritannien erstrecken könnte.)
Dies umfasst auch die Befugnisse der im Zeugnis genannten Personen (Es könnte beispielsweise eine Beschränkung des Erben vorliegen).

Praxistipp (Grundbuchrecht):
Es muss darauf geachtet werden, dass es in manchen Mitgliedstaaten zu einer Änderung von öffentlichen Grundstücksregistern nicht ausreicht, nur ein europäisches Nachlasszeugnisses vorzuzeigen, sondern dass weitere Dokumente nötig sind. In Frankreich benötigt man beispielsweise zusätzlich eine notarielle Immobilienbescheinigung, sog. attestation immobilière (Fußnote).

9.4 Beantragung eines ENZ

Der Antrag kann entweder beim zuständigen nationalen Nachlassgericht (also ein Gericht in dem Land, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte, Art. 4 EuErbVO, s.o.) oder bei einem Notar in demselben Staat gestellt werden. Auch hier ist es empfehlenswert, vorher per Testament oder Erbvertrag eine Rechtswahl zugunsten deutschen Rechts vorzunehmen. Dann kann das ENZ beim zuständigen deutschen Gericht beantragt werden. Für die Antragstellung gibt es unter folgendem Link ein Formblatt, das gewährlistet, dass andere Mitgliedstaaten das Nachlasszeugnis inhaltlich schnell nachvollziehen können: https://e-justice.europa.eu/content_succession-166-de.do.

Beispiel:

Frau X ist eine deutsche Staatsangehörige, die in Bremen aufgewachsen ist. Dort steht auch ihr Elternhaus noch immer, dessen Eigentümerin sie mittlerweile ist. Seit einigen Jahren lebt sie mit ihrem treuen Hund Otto in Madrid, wo sie für ein spanisches Unternehmen tätig ist. Eines Morgens, als Frau X sich mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit befindet, übersieht sie im hektischen Madrider Straßenverkehr einen Lieferwagen, der sie seitlich erfasst und vom Fahrrad schleudert. Im Krankenhaus erliegt Frau X ihren Verletzungen. Nach ihrem plötzlichen Unfalltod hinterlässt sie ihren Hund Otto, ein spanisches Bankkonto, Mobiliar etc. in ihrer Mietwohnung in Madrid, sowie ihr Elternhaus in Bremen. Die Tochter und Alleinerbin der Frau X lebt mit ihrem Mann in Deutschland. Um auf das spanische Konto zugreifen zu können und, um dem Vermieter die Erbenstellung nachweisen zu können, möchten sie ein europäisches Nachlasszeugnis beantragen. Wo kann sie dies tun?

  • In Betracht kommt eine Beantragung eines ENZ entweder bei deutschen oder bei spanischen Gerichten. Gem. Art. 4 EuErbVO sind für die gesamte Erbsache (also auch für die Erstellung eines ENZ) die Gerichte (oder Notare etc.) desjenigen Staates zuständig, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte (sog. internationale Zuständigkeit). Dieser war bei Frau X in Spanien. Grundsätzlich wären also spanische Gerichte zuständig. Hier gilt aber auch, dass der Erblasser vor seinem Tod beispielsweise in einem Testament eine Rechtswahl gem. Art. 22 EuErbVO vornehmen kann, so dass Frau X deutsches Recht wählen können hätte. Dann könnte die in Deutschland lebende Tochter per Gerichtsstandsvereinbarung gem. Art. 5 EuErbVO festlegen, dass deutsche Gerichte zuständig sind.

Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Einführung ins europäische Erbrecht“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-96696-015-1.


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Über die Autoren:

Tilo Schindele, Rechtsanwalt, Stuttgart

Portrait Tilo-Schindele

Rechtsanwalt Schindele begleitet IT-Projekte von der Vertragsgestaltung und Lastenheftdefinition über die Umsetzung bis hin zur Abnahme oder Gewährleistungs- und Rückabwicklungsfragen.

Tilo Schindele ist Dozent für IT-Recht und Datenschutz bei der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.

Er bietet Seminare und Vorträge unter anderem zu folgenden Themen an:

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