Die Verantwortung des GmbH-Geschäftsführers im Umweltstrafrecht – Teil 32 – Unerlaubtes Betreiben von kerntechnischen Anlagen

8 Unerlaubtes Betreiben von kerntechnischen Anlagen nach § 327 StGB

Der Straftatbestand des unerlaubten Betreibens von kerntechnischen Anlagen nach § 327 StGB hat drei Absätze:

  • Abs. 1 Nr. 1: Unerlaubter Betrieb und sonstiger Umgang mit kerntechnischen Anlagen
  • Abs. 1 Nr. 2: Wesentliches Ändern einer Betriebsstätte, in der Kernbrennstoffe verwendet werden
  • Abs. 2 Nr. 1: Unerlaubtes Betreiben einer Anlage entgegen dem BImSchG
  • Abs. 2 Nr. 1: Unerlaubtes Betreiben einer Rohrleitungsanlage zur Beförderung wassergefährdender Stoffe
  • Abs. 2 S. 1 Nr. 1: Unerlaubtes Betreiben einer Abfallentsorgungsanlage nach dem KrWG
  • Abs. 2 S. 1 Nr. 1: Unerlaubtes Betreiben einer Abwasserbehandlungsanlage nach § 60 Abs. 3 WHG
  • Abs. 2 S. 2: Unerlaubtes Betreiben einer Gefahrstoffanlage in einem anderen EU-Mitgliedsstaat
  • Abs. 3: Strafbarkeit von fahrlässigen Handelns

§ 327 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 StGB sind abstrakte Gefährdungsdelikte. § 327 Abs. 2 S. 2 StGB ist ein Eignungsdelikt (Alt, in: MüKo-StGB, § 327 Rn. 2).

8.1 Geschütztes Rechtsgut

§ 327 StGB schützt die Rechtsgüter

  • Leib oder Leben von Menschen
  • Gewässer
  • Luft oder
  • Boden

vor Beeinträchtigungen durch unerlaubten Betriebene bestimmter Anlagen (vgl. Alt, in: MüKo-StGB, § 327 Rn. 1).

8.2 Die Tathandlungen des § 327 Abs. 1 StGB

§ 327 Abs. 1 StGB stellt folgende Handlungen unter Strafe:

  • den unerlaubten Betrieb und sonstigen Umgang mit kerntechnischen Anlagen
  • das wesentliche Ändern einer Betriebsstätte, in der Kernbrennstoffe verwendet werden.

8.2.1 Unerlaubter Betrieb und sonstiger Umgang mit kerntechnischen Anlagen

Das Tatobjekt des § 327 Abs. 1 Nr. 1 StGB sind kerntechnische Anlagen. Nach der Definition des § 330d Abs. 1 Nr. 2 StGB handelt es bei einer kerntechnischen Anlage, um eine Anlage zur

  • Erzeugung
  • Bearbeitung
  • Verarbeitung oder
  • zur Spaltung von Kernbrennstoffen oder
  • zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe.

Strafbare Tathandlungen sind:

  • das unerlaubte Betreiben kerntechnischer Anlagen: Maßgeblich ist der Zeitraum ab Inbetriebnahme bis zur tatsächlichen Stilllegung sowie ein bloßer Probebetrieb (vgl. Witteck, in: BeckOK-StGB, § 327 Rn. 9)
  • das unerlaubte Innehaben einer betriebsbereiten oder stillgelegten kerntechnischen Anlage: Das bloße Stilllegen einer kerntechnischen Anlage ist nicht strafbar (vgl. Witteck, in: BeckOK-StGB, § 327 Rn. 10). Ebenfalls straflos ist das ungenehmigte Innehaben oder Errichten einer nicht betriebsbereiten oder nie betriebenen kerntechnischen Anlage (vgl. Fischer-StGB, § 327 Rn. 3)
  • der unerlaubte gänzliche oder teilweise Abbau einer betriebsbereiten oder stillgelegten kerntechnischen Anlage: Bestraft wird der abstrakt gefährliche Rückbau solcher Anlagen bei noch vorhandenem Strahlungspotentials, wenn die Umweltverwaltungsbehörden aufgrund des Verhaltens des Anlagenbetreibers ihrer Überwachungs- und Kontrollpflichten nicht nachkommen können (vgl. Witteck, in: BeckOK-StGB, § 327 Rn. 10).
  • das unerlaubte wesentliche Ändern einer betriebsbereiten oder stillgelegten kerntechnischen Anlage oder des Betriebs einer solchen: Sicherheitserhöhende Änderungen sind nicht strafbar. Ebenso wenig ein rechtswidriges Verändern funktionsneutraler Teile. Eine strafbare wesentliche Änderung liegt vor, wenn sie zu einem erhöhten Gefahrenpotential geführt hat (vgl. Witteck, in: BeckOK-StGB, § 327 Rn. 11; Fischer-StGB, § 327 Rn. 4).

Beispiel
Die AtomicForU-GmbH soll Kernbrennstoffe erzeugen. Der Geschäftsführer G hat aber keine Genehmigung zum Betreiben einer kerntechnischen Anlage nach der Vorschrift über die Genehmigung von Anlagen des § 7 Abs. 1 S. 1 AtG erhalten. Dennoch betreibt er die kerntechnische Anlage und erzeugt Kernbrennstoffe.

  • G macht sich wegen unerlaubten Betriebs einer kerntechnischen Anlage nach § 327 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar. Rechtlicher Betreiber der Anlage und Adressat der Genehmigungspflicht ist zwar die GmbH als juristische Person, dennoch werden diese Merkmale auf den Geschäftsführer nach der Vorschrift des Handelns für einen anderen des § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB zugerechnet. G hat im Wissen der Versagung der notwendigen Genehmigung nach der Vorschrift über die Genehmigung von Anlagen des § 7 Abs. 1 S. 1 AtG den Betrieb zur Erzeugung von Kernbrennstoffen trotzdem aufgenommen.

8.2.2 Wesentliches Ändern einer Betriebsstätte, in der Kernbrennstoffe verwendet werden

Das Tatobjekt des § 327 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist eine Betriebsstätte, in der Kernbrennstoffe verwendet (d. h. verarbeitet oder bearbeitet) werden (vgl. Fischer-StGB, § 327 Rn. 6). Betriebsstätten sind Einrichtungen, die zu einem stehenden Betrieb räumlich verbunden sind. Die tatbestandliche Handlung ist das wesentliche Ändern einer solchen Betriebsstätte oder deren Lage. Die Lage einer Betriebsstätte wird durch Verlegen ihres Standorts auf ein anderes Grundstück verwirklicht (vgl. Witteck, in BeckOK-StGB, § 327 Rn. 12, 13). Hinsichtlich der strafbaren wesentlichen Änderung gilt das zu § 327 Abs. 1 Nr. 1 StGB gesagte. Die Änderung muss umweltgefährlich sein (vgl. Fischer-StGB, § 327 Rn. 6).

Beispiel
Der Geschäftsführer B der AtomicPower GmbH, die Kernbrennstoffe erzeugt, will deren Standort auf ein größeres Grundstück verlegen. Die behördliche Genehmigung aus § 7 Abs. 1 AtG umfasst jedoch nur den Betrieb an dem jetzigen Standort. Eine Lageveränderung wird von der Erlaubnis nicht abgedeckt. B sieht sich nicht dazu veranlasst, eine Genehmigung für die Lageveränderung einzuholen. B veranlasst im Wissen der fehlenden Genehmigung dennoch den Standortwechsel.

  • B macht sich wegen wesentlichem Ändern der Lage einer Betriebsstätte, die Kernbrennstoffe verwendet, nach § 327 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar. Die Pflicht eine Genehmigung für den Ortswechsel einzuholen, trifft zwar die GmbH als Betriebsstätteninhaberin; diese Pflicht wird aber über die Vorschrift des Handelns für einen anderen nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB auf B abgewälzt. B hat vorsätzlich die Lageveränderung der Betriebstätte geändert, ohne die erforderliche Genehmigung aus § 7 Abs. 1 S.1 AtG einzuholen. Hätte B diese behördliche Genehmigung nach der Vorschrift über die Genehmigung von Anlagen nach § 7 Abs. 1 AtG eingeholt, wäre die veranlasste Lageveränderung der Betriebsstätte straflos gewesen.

8.2.3 Verwaltungsakzessorietät in § 327 Abs. 1 StGB

Tatbestandlich ist jede einzelne dieser Tathandlungen des § 327 Abs. 1 StGB, wenn sie „ohne Genehmigung“ oder „entgegen einer vollziehbaren Untersagung“ vollzogen wird. Welcher Umgang genehmigungsbedürftig ist, leitet sich aus der Vorschrift des § 7 AtG ab. Diese Vorschrift legt fest, ab wann das Innehaben oder Stilllegen ortsfester oder ortsveränderlicher Anlagen zur Erzeugung oder zur Bearbeitung oder Verarbeitung oder zur Spaltung von Kernbrennstoffen oder zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe, das wesentliche Ändern derartiger Anlagen oder deren Betrieb eine Genehmigung braucht.

Obwohl es der Wortlaut des § 327 Abs. 1 StGB nicht hergibt (anders Abs. 2), genügt für die Straflosigkeit nach dem LG Hanau nur eine Genehmigung, die auf der Grundlage von § 7 AtG ergangen ist (siehe Beispiel in 8.2.2). Eine bloße Vorabzustimmung reicht nicht aus, um den Tatbestand des § 327 StGB auszuschließen. Das Handeln auf der Grundlage einer solchen Vorabzustimmung oder ähnlichen Zustimmungen außerhalb des § 7 AtG ist dann zwar tatbestandsmäßig (und damit grundsätzlich strafbar). Nach dem LG Hanau stellt eine solche Zustimmung aber einen Rechtfertigungsgrund dar. Dann handelt ein Verantwortlicher zwar tatbestandsmäßig, aber nicht rechtswidrig und damit straflos (vgl. LG Hanau, NStZ 1988, S. 179, 180).[CARI2]

Die Rechtsgrundlage für die vollziehbare Untersagung stellt § 19 Abs. 3 AtG dar, aufgrund der die Aufsichtsbehörde bestimmte Anordnungen treffen kann (vgl. Witteck, in: BeckOK-StGB, § 327 Rn. 14).


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Verantwortung des GmbH-Geschäftsführers im Umweltstrafrecht“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, und Alexander Becker, wissenschaftlicher Mitarbeiter, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-79-3.


Kontakt: brennecke@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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Über die Autoren:

Harald Brennecke, Rechtsanwalt

Portrait Harald-Brennecke

Rechtsanwalt Harald Brennecke ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Fachanwalt für Insolvenzrecht.

Er berät, vertritt und begleitet Gesellschafter, Geschäftsführer und Unternehmen bei

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  • Liquidation von Gesellschaften
  • Firmenkäufen
  • Due Diligence
  • Geschäftsführerverträgen
  • Sanierung, Insolvenzvermeidung und Insolvenzbegleitung:
    Harald Brennecke ist seit 1999 im Bereich der Unternehmenssanierung tätig. Als Fachanwalt für Insolvenzrecht berät und begleitet er Sanierungen und betreut Geschäftsführer und Gesellschafter bei Firmeninsolvenzen. Er unterstützt Geschäftsführer in der Unternehmenskrise hinsichtlich der für sie bestehenden Haftungsrisiken sowie Gesellschafter im Interesse der Wahrung der Unternehmenswerte. Er unterstützt bei der Suche nach Investoren und Wagniskapitalgebern (venture capital), begleitet Verhandlungen und erstellt Investorenverträge.


Rechtsanwalt Harald Brennecke hat im Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht veröffentlicht:

  • "Das Recht der GmbH", Verlag Mittelstand und Recht, 2015, ISBN 978-3-939384-33-5
  • "Der Gesellschaftsvertrag der GmbH - Die GmbH-Satzung in Theorie und Praxis", 2015, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-40-3
  • "Der Unternehmenskauf -  Rechtliche Risiken bei Kauf und Verkauf mittelständischer Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-18-2
  • "Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-29-8
  • "Gesellschaftsrecht in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-26-7
  • "Die Limited in der Insolvenz", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-34-2
  • "Der Insolvenzplan – Sanierungsinstrument in der Insolvenz", 2007, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-03-8
  • "Die Regelinsolvenz - Insolvenz für Unternehmer und Unternehmen", 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-07-6
  • "Gesellschafterinteressen in der Publikums-KG: Auskunftsrechte der Kommanditisten einer Publikums-KG gegen Treuhänder“, 2014, Verlag Mittelstand und Recht, ISBN 978-3-939384-28-1
  • "Die Gesellschafterversammlung: Ein Leitfaden", Harald Brennecke und Dipl.-Jur. Marc Schieren, M. L. E., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-50-2
  • "Arztpraxis – Kauf und Übergang", Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0

Folgende Veröffentlichungen von Rechtsanwalt Brennecke sind in Vorbereitung:

  • Die Due Diligence – Rechtliche Prüfung beim Unternehmenskauf
  • Die Liquidation der Kapitalgesellschaft
  • Die Unternehmergesellschaft (UG)

Harald Brennecke ist Dozent für Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht im DeutscherAnwaltVerein.  
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Gesellschaftsrecht für Steuerberater und Unternehmensberater – Grundlagen des Gesellschaftsrechts
  • Gesellschaftsvertragsgestaltung – Grundlagen und Risiken
  • Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) – kleine Chance, großes Risiko
  • Welche Gesellschaftsform ist die Richtige? Vor- und Nachteile der Rechtsformen für Unternehmer
  • Geschäftsführerhaftung – Geschäftsführung von Kapitalgesellschaften; das letzte große Abenteuer der westlichen Zivilisation
  • Insolvenzrecht für Gründer und lebende Unternehmen: Aus Insolvenzen anderer lernen heißt das eigene Insolvenzrisiko zu vermeiden
  • Unternehmenssanierung: Kopf aus dem Sand! Wer zu spät reagiert, reagiert nie wieder.
  • Insolvenzrecht für Steuerberater – Grundlagen des Insolvenzrechts für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer
  • Insolvenzrecht für Unternehmensberater – Sanierungschancen erkennen und wahren
  • Insolvenzberatung: das (enorme) Haftungsrisiko des Sanierungsberaters

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