Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner – Teil 16 – Verhältnis zum Arbeitsvertrag , Verhältnis zur Weisung

6.3. Verhältnis zum Arbeitsvertrag

Eine Betriebsvereinbarung gestaltet das Arbeitsverhältnis zwar grundsätzlich unmittelbar und zwingend (--> 1.2.1), im Verhältnis zwischen Arbeitsvertrag und Betriebsvereinbarung gilt jedoch das sogenannte Günstigkeitsprinzip.

6.3.1. Günstigkeitsprinzip

Dem Günstigkeitsprinzip zufolge geht der Arbeitsvertrag einer Betriebsvereinbarung dann vor, wenn er eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung enthält.

Beispiel
Arbeitnehmer X vereinbart mit seinem Arbeitgeber eine individuelle Sonderzahlung in Form eines Jubiläumsgelds. Dieses soll ein Monatsgehalt betragen und ihm nach fünf Jahren Betriebszugehörigkeit zustehen. Im Laufe der Zeit schließt der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung "Jubiläumsgeld" ab. Sie regelt, dass die Beschäftigten nach fünf Jahren Betriebszugehörigkeit einen Anspruch auf ein Jubiläumsgeld in Höhe von 50 Prozent eines Monatsgehalts haben. Arbeitnehmer X ist unsicher, in welcher Höhe sein Anspruch auf die Sonderzahlung besteht.

  • Nach der arbeitsvertraglichen Vereinbarung steht Arbeitnehmer X ein höherer Anspruch zu, weshalb es sich hierbei um eine für ihn günstigere Regelung handelt. Somit kann er das Jubiläumsgeld abweichend von der abgeschlossenen Betriebsvereinbarung in Höhe von einem Monatsgehalt verlangen.

Beispiel
Es besteht eine Betriebsvereinbarung, nach der die Arbeitnehmer ein 13. Monatsgehalt in Höhe von 30 Prozent ihres regelmäßigen Durchschnittsverdienstes erhalten sollen. Die Arbeitsverträge der Beschäftigten sehen zwar keine Regelung zu einem 13. Monatsgehalt vor, verweisen aber auf einen bestimmten Tarifvertrag, welcher auf die Arbeitsverhältnisse Anwendung findet. Der Tarifvertrag sieht einen Anspruch der Arbeitnehmer auf ein 13. Monatsgehalt in Höhe von 50 Prozent ihres Durchschnittsverdienstes vor.

  • Vereinbart der Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmern, dass ein bestimmter Tarifvertrag auf die Arbeitsverhältnisse anwendbar sein soll, handelt es sich hierbei um eine arbeitsvertragliche Abrede. Auf ihrer Grundlage können die Arbeitnehmer im vorliegenden Fall ein höheres 13. Monatsgehalt, als es in der Betriebsvereinbarung festgelegt ist, beanspruchen. Somit geht die arbeitsvertragliche Abrede der Betriebsvereinbarung vor.

6.3.2. Betriebsvereinbarungsoffenheit

Das Günstigkeitsprinzip findet ausnahmsweise dann keine Anwendung, wenn der Arbeitsvertrag betriebsvereinbarungsoffen ist. In einem solchen Fall gehen ihm nämlich auch ungünstigere betriebliche Regelungen vor. Ist eine Betriebsvereinbarungsoffenheit gewünscht, wird sie regelmäßig ausdrücklich im Arbeitsvertrag vereinbart.

Beispiel
Die Arbeitsverträge, die das 13. Monatsgehalt in Höhe von 50 Prozent eines Durchschnittsverdienstes vorsehen, enthalten zusätzlich eine Klausel, nach der Betriebsvereinbarungen den Arbeitsverträgen auch dann vorgehen, wenn sie für die Arbeitnehmer ungünstigere Regelungen enthalten. Da es eine Betriebsvereinbarung gibt, welche das 13. Monatsgehalt auf 30 Prozent des Durchschnittsverdienstes festsetzt, fragen sich die Arbeitnehmer, wie viel ihnen zusteht.

  • Die Arbeitsverträge sind hier betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet. Somit stehen den Arbeitnehmern lediglich 30 Prozent ihres Durchschnittsverdienstes zu, obwohl ihre Arbeitsverträge ein höheres 13. Monatsgehalt vorsehen.

6.4. Verhältnis zur Weisung

Nach § 106 S. 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen. Dies bezeichnet man als das Weisungs- bzw. Direktionsrecht des Arbeitgebers. Es bezieht sich auch auf die Ordnung und das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb (§106 S. 2 GewO). Die Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber kann allerdings unter anderem nur insoweit stattfinden, als dass die zu regelnden Arbeitsbedingungen nicht durch Bestimmungen eines Gesetzes, eines Tarifvertrages oder aber einer Betriebsvereinbarung festgelegt sind.

Beispiel
Nach der durch eine Betriebsvereinbarung aufgestellten Betriebsordnung gilt im gesamten Betrieb ein grundsätzliches Rauchverbot. In speziell hierfür vorgesehenen Bereichen bleibt das Rauchen allerdings gestattet. Da sich die Reinigungskräfte des Unternehmens vermehrt über Verunreinigungen in den Raucherbereichen beschweren, verbietet der Arbeitgeber das Rauchen auch in diesen.

  • Die zwischen den Betriebspartnern abgeschlossene Betriebsvereinbarung erlaubt das Rauchen in den dafür vorgesehenen Bereichen. Hierüber kann sich der Arbeitgeber nicht durch Ausübung seines Weisungsrechts einseitig hinwegsetzen. Die Arbeitnehmer müssen somit die Weisung des Arbeitgebers und das damit verbundene Verbot nicht beachten.

Beispiel
Im Betrieb des Arbeitgebers kommt es in der Ferienzeit regelmäßig zu Auftragsmängeln. Aus diesem Grund einigen sich die Betriebspartner auf eine Betriebsvereinbarung "Betriebsurlaub". Deren Bestimmungen erlauben es dem Arbeitgeber, den Betriebsurlaub für sämtliche Arbeitnehmer lediglich im Zeitraum von August bis September anzuweisen. Da die Aufträge unerwartet früher zurückgehen, soll der Betriebsurlaub im laufenden Jahr laut Weisung des Arbeitgebers bereits im Juli beginnen.

  • Laut geltender Betriebsvereinbarung zum Thema Betriebsurlaub darf der Arbeitgeber diesen nur für die Monate August und September festsetzen. Die Weisung des Arbeitgebers, dass der Betriebsurlaub bereits im Juli beginnen soll, ist somit unwirksam.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Die Betriebsvereinbarung – Das Regelungsinstrument der Betriebspartner“ von Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Alexander Geier, Wirtschaftsjurist LL.B., erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-70-0.


 

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Kontakt: tilo.schindele@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2017


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