Der Immobilienkaufvertrag – Teil 24 – Anfechtung wegen Irrtum

5.3.1 Anfechtung wegen Irrtum

Das Gesetz unterscheidet bei den Anfechtungsmöglichkeiten wegen Irrtum zwischen

  • Inhaltsirrtum
  • Erklärungsirrtum
  • Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft und
  • denjenigen Irrtum, der durch die falsche Übermittlung einer Willenserklärung entstehen kann.

Letztere können im Grundstückrecht insbesondere durch die Vorschriften der Wissenszurechnung von Vertreten und den notariellen Formvorschriften weitestgehend vermieden werden und haben daher eine untergeordnete Bedeutung.

Die Erklärung der Anfechtung wegen Irrtums hat zu erfolgen, sobald derjenige, der anfechten darf, sich über den Irrtum bewusst ist oder bewusst sein muss, § 121 Abs. 1 BGB.

5.3.1.1 Inhaltsirrtum

Ein Inhaltsirrtum ist ein Irrtum über die Bedeutung eines an sich bekannten Erklärungsinhalts, § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB. Das bedeutet, der Erklärende ist sich darüber bewusst, was er sagt, aber nicht genau darüber, was er damit sagt (vgl. Ellenberger, in: Palandt, Kommentar zum BGB, 69. Aufl., § 119 Rn. 11). Er irrt also über den Inhalt seiner Erklärung.

Es wird zwischen den folgenden Irrtumsfällen unterschieden (vgl. Ellenberger, in: Palandt, Kommentar zum BGB, 69. Aufl., § 119 Rn. 12 ff):

  • Irrtum über den Geschäftstyp
  • Irrtum über die Person des Geschäftspartners
  • Irrtum über den Geschäftsgegenstand
  • Irrtum über die Rechtsfolgen seiner Erklärung

Beispiel
Der Immobilienverkäufer I bietet mehrere Eigentumswohnungen in zwei verschiedenen, hintereinanderstehenden Wohnhäusern zum Verkauf an. Die Maße sind identisch, nur die Lage der Eigentumswohnungen unterscheidet sich. Die Eigentumswohnungen im vorderen Wohnhaus haben einen Balkon zur Straßenseite, die Eigentumswohnungen im hinteren Wohnhaus haben einen Balkon zum Garten. Der Käufer K besichtigt die Eigentumswohnung Nr. E, die einen Balkon zur Gartenseite hat und entscheidet sich zum Kauf. Der I erklärt, dass er diese Wohnung bereits an einen anderen Interessenten verkauft hat, aber die identische Eigentumswohnung Nr. B anbieten kann. Der Immobilienkaufvertrag zwischen I und K wird geschlossen, wobei K irrtümlicherweise davon ausgeht, dass Nr. B einen Balkon zur Gartenseite hat. Tatsächlich handelt es sich bei Nr. B um eine Eigentumswohnung in dem vorderen Wohnhaus, deren Balkon zur Straße blickt.

  • K hat sich hier über den Inhalt des Vertragsgegenstandes geirrt, denn er hat zwar bewusst eine Erklärung zum Immobilienerwerb abgegeben, er war sich allerdings nicht im Klaren für welche Eigentumswohnung seine Erklärung gilt. K kann den Immobilienkaufvertrag wegen eines Inhaltsirrtums anfechten.

5.3.1.2 Erklärungsirrtum

Ein Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB ist typischerweise ein Irrtum der bei der Vornahme der Erklärungshandlung selbst entsteht, z.B. durch

  • Versprechen
  • Verschreiben
  • Vergreifen.

Beispiel
In einem Immobilienkaufvertrag wird aufgrund eines Schreibfehlers eine geringere Fläche des Grundstücks angegeben, als Verkauft werden sollte. Der Käufer bemerkt den Irrtum.

  • Bei der auf einem Schreibfehler beruhenden unrichtigen Flächenangabe im Grundstückskaufvertrag handelt es sich um einen anfechtbaren Erklärungsirrtum.

5.3.1.3 Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften

Bei einem Irrtum über die verkehrswesentlichen Eigenschaften der Immobilie (§ 119 Abs. 2 BGB) irrt die betreffende Vertragspartei in Bezug auf tatsächliche oder rechtliche Umstände, die nach der Verkehrsanschauung oder dem Vertragsinhalt wesentlich für den Immobilienerwerb sind (vgl. Ellenberger, in: Palandt, Kommentar zum BGB, 69. Aufl., § 119 Rn. 11). Das kann eine Eigenschaft sein, die mit der Beschaffenheit der Immobilie, der Dauer ihrer Brauchbarkeit oder dem konkreten Wert in Zusammenhang steht (vgl. Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 7. Auflage 2014, Rn 2223). Bei diesem Irrtum können sogar Eigenschaften erfasst sein, die nicht konkret von dem Erwerbsobjekt selbst ausgehen, sondern von äußeren Umständen. Maßgeblich ist nur, dass diese Umstände in einer bestimmten Beziehung zum Grundstückerwerb stehen und als wesentlich gelten. (z.B. die Nähe eines bestimmten Grundstücks zu einer geplanten Autobahn).

Beispiel
Die Familie F erwirbt zu einem günstigen Preis ein leerstehendes Einfamilienhaus, dass an einer vielbefahrenen Ortsstraße in O liegt, da die Familie aus der Zeitung erfahren hat das Planungen für die Errichtung einer Umgehungsstraße für O existieren. Ohne diese geplante Umgehungsstraße hätte die F das Einfamilienhaus wegen dem störenden Straßenlärm nicht gekauft. Kurz nach der Unterzeichnung des notariellen Kaufvertrages wird das Planungsvorhaben von der Stadt bekanntgegeben und veröffentlicht. Daraus ergibt sich, dass die Umgehungsstraße nur einen Streckenabschnitt von O entlastet und das Einfamilienhaus der F davon nicht profitiert.

  • Der Umstand, dass eine Umgehungsstraße für die lärmbelästigende O errichtet werden sollte, war wesentlich für die Kaufentscheidung der F. Dieser Umstand wurde damit zu einer wesentlichen Eigenschaft des Grundstückserwerbs und genau über diese Eigenschaft irrte sich F. F kann den Kaufvertrag wegen des Irrtums über das Vorliegen einer verkehrswesentlichen Eigenschaft anfechten.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Der Immobilienkaufvertrag“ von Olaf Bühler, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, und Kristin Nözel, Volljuristin Dip. jur. (Univ.), juristisch Fachautorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2017, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-74-8.


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Stand: Januar 2017


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Michael Kaiser beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Rechtsfragen des Immobilienrechts. Er prüft Immobilienkaufverträge, Grundstücksverträge, begleitet Bauvorhaben und vertritt bei Streitigkeiten um Bauleistungen.


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