Das Widerrufsrecht – Teil 07 – Verträge außerhalb des BGB, Vertragliches Widerrufsrecht

2.1.3 Verträge außerhalb des BGB

Auch außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) existieren weitere Vertragsarten, die besonders riskant sein können. Dem Verbraucher, in der Rolle der schwächeren Vertragspartei, wird deshalb ein gesetzliches Widerrufsrecht eingeräumt. Zu diesen Verträgen zählen:

  • Versicherungsverträge
  • Kapitalanlageverträge
  • Fernunterrichtsverträge

2.1.3.1 Versicherungsvertrag

Der Versicherungsnehmer entscheidet sich beim Versicherungsabschluss für ein komplexes Rechtsprodukt. Dessen Tragweite ist auf den ersten Blick schwer überschaubar. Aus diesem Grund hat das Widerrufsrecht auch im Versicherungsvertragsrecht Geltung.

Eine Legaldefinition des Versicherungsvertrages kennt das Gesetz nicht. Gleichwohl kann der Versicherungsvertrag als ein Vertrag definiert werden, der die entgeltliche und verbindliche Zusage einer Leistung für den Versicherungsfall zum Zwecke des Risikoausgleiches zum Inhalt hat. Das an den Versicherer zu leistende Entgelt wird als Versicherungsprämie bezeichnet. Das Versicherungsvertragsrecht unterscheidet zwischen Sach- und Personenversicherungen.

Sachversicherungen sind u.a.:

  • Kfz-Versicherungen
  • Haftpflichtversicherungen
  • Glasversicherungen

Personenversicherungen sind u.a:

  • Private Krankenversicherung
  • Krankenzusatzversicherung
  • Rentenversicherungen
  • Lebensversicherungen

Regelungen zu den gegenseitigen Rechten und Pflichten der Vertragsparteien sind im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) normiert. Der Versicherungsvertrag ist grundsätzlich nicht an die Schriftform gebunden. Die Schriftform verlangt vom Vertragsunterzeichner die eigenhändige Namensunterschrift (§ 126 Abs. 1 BGB). Gleichwohl hat der Versicherungsgeber dem Versicherungsnehmer auf dessen Verlangen einen Versicherungsschein als Urkunde in Textform zu übermitteln (§ 3 Abs. 1 VVG).

Die Textform verlangt dagegen eine in einer Urkunde oder auf einem dauerhaften Datenträger (z.B. E-Mail, Fax oder Briefe ohne eigenhändige Unterschrift) abgegebene lesbare Erklärung in der der Name des erklärenden genannt ist (§ 126b S. 1 BGB). Bei der Textform ist, im Vergleich zur Schriftform, die eigenhändige Unterzeichnung eines Vertrages mit der Namensunterschrift also nicht erforderlich. Es genügt eine Nachbildung der Unterschrift bzw. die Erkennbarkeit der erklärenden Person.

Ein Widerrufsrecht steht dem Versicherungsnehmer unabhängig davon zu, ob dieser ein Verbraucher oder ein Unternehmer ist!

2.1.3.2 Kapitalanlagevertrag

Der Kapitalanlagevertrag betrifft den Kauf von Wertpapieren. Dabei geht der Käufer ein hohes Risiko ein. Denn Kursschwankungen der Kapitalanlage sind unvorhersehbar. Diese können im schlimmsten Fall den Totalverlust eines Investments bedeuten. Zu den Kapitalanlageverträgen gehören Verträge über:

  • Aktien
  • Aktienfonds
  • Unternehmensanleihen

Die Rechte und Pflichten der beteiligten Parteien richten sich nach dem Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB). Die Anwendbarkeit des Widerrufsrechts setzt voraus, dass der Verkäufer den Käufer zu den Verhandlungen, die zum Kauf der Anlage führten aufgesucht hat. Der Verkäufer darf nicht vom Käufer bestellt worden sein (§ 305 Abs. 3 Nr. 2 KAGB). Ein Bestellen in diesem Sinne liegt vor, wenn der Impuls zum Anlagenkauf vom Käufer ausgeht. Wurde der Verkäufer vom Käufer bestellt, besteht kein Widerrufsrecht. Das Widerrufsrecht besteht auch nur dann, wenn es sich um einen Verbrauchervertrag handelt (§ 305 Abs. 3 Nr. 1 KAGB). Ein Verbrauchervertrag liegt dann vor, wenn die eine Vertragspartei ein Unternehmer (§ 13 BGB) und die andere Vertragspartei ein Verbraucher (§ 14 BGB) ist (§ 310 Abs. 3 BGB).

2.1.3.3 Fernunterrichtsvertrag

Der Fernunterrichtsvertrag hat die entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten zum Inhalt (§ 1 FernUSG). Dabei sind die Lehrenden von den Lernenden ausschließlich oder überwiegend räumlich voneinander getrennt. Der Veranstalter des Fernunterrichts ist dazu verpflichtet, das Fernlehrmaterial, einschließlich der vorhergesehen Arbeitsmittel, in den vereinbarten Zeitabständen zu liefern und den Lernerfolg zu überwachen (§ 1 FernUSG). Er muss insbesondere die eingeschickten Arbeiten innerhalb einer angemessenen Zeit sorgfältig kontrollieren. Darüber hinaus muss er dem Teilnehmer die Anleitung geben, die dieser erkennbar benötigt, damit der gewünschte Lernerfolg eintritt.

Wird der Fernunterrichtsvertrag durch ein Darlehen finanziert, liegt ein verbundener Vertrag vor (§ 358 BGB). Der Fernunterrichtsvertrag bedarf der Schriftform (§§ 3 Abs. 1 FernUSG, 126 BGB). 

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Beispiel: Verbraucher A möchte sich weiterbilden. Deswegen beschließt er ein Fernstudium der Betriebswirtschaft zu absolvieren. Bis auf die Prüfungen findet das Studium ausschließlich online statt. Von der Universität erhält er Skripte, einige Lehrbücher und eine Lernsoftware. Hausarbeiten hat A der Universität jeden Monat zu übermitteln. Die Prüfungen absolviert er alle 5 Monate in den Räumlichkeiten der Universität. Die Studiengebühren sind vor Beginn jedes Semesters zu zahlen.

  • Der Vertrag zielt auf die Vermittlung von betriebswirtschaftlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ab. Es liegt die Voraussetzung der Kenntnisvermittlung vor. Da sich der Unterricht im Rahmen eines Fernstudiums online organisiert, sind die Lehrenden von den Lernenden (A) überwiegend räumlich getrennt. Lediglich die Prüfungsleistungen müssen in den Räumlichkeiten der Universität erbracht werden. Es liegt somit die Voraussetzung der überwiegenden räumlichen Trennung vor. Der Pflicht, dem A die notendigenen Lehrmaterialen zur Verfügung zu stellen, kommt die Universität nach. Der Lehrerfolg des A wird durch die monatliche Einsendung der Hausarbeiten überwacht. Ferner zahlt der A ein Entgelt (Studiengebühren) für die Vermittlung der BWL-Kenntnisse, sodass alle Voraussetzungen eins Fernunterrichtsvertrages vorliegen.

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2.2 Vertragliches Widerrufsrecht

Ein Widerrufsrecht kann den Parteien nicht nur im Wege des Gesetzes zustehen. Es kann auch dann bestehen, wenn die Parteien es vertraglich vereinbaren. Möglich macht dies der Grundsatz der Vertragsfreiheit, der einen Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit darstellt (Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes). Die Vertragsfreiheit garantiert den Vertragsparteien die sog. Inhaltsfreiheit. Demnach können die Vertragsparteien den Inhalt ihrer Vereinbarung frei bestimmen, sofern sie nicht gegen gesetzliche Verbote verstoßen.

Ein vertragliches Widerrufsrecht darf vom Inhalt des gesetzlichen Widerrufsrechts abweichen. Es darf die gesetzlichen Vorschriften jedoch nur zu Gunsten des Verbrauchers ergänzen (§ 361 Abs. 2 S. 1 BGB). Die Ergänzungen dürfen jedoch nie zum Nachteil des Verbrauchers sein. Vertragsklauseln die den Verbraucherschutz schmälern sind unzulässig. Vertragsbestimmungen die einen größeren Verbraucherschutz gewährleisten sind wirksam. Ein vertraglich vereinbarter Ausschluss des gesetzlichen Widerrufsrechts ist dagegen unzulässig (§ 361 Abs. 2 BGB).

Beinhalten die AGB des Unternehmers eigene Widerrufsregeln, so müssen diese die gesetzlichen Vorschriften positiv ergänzen. Sie sollten dem Verbraucher ein höheres Schutzniveau bieten. Diese Möglichkeit normiert der Gesetzgeber ausdrücklich (§ 312g Abs. 2 S. 1 BGB). § 312g Abs. 2 BGB zählt die Ausnahmetatbestände des Widerrufsrechtes bei den besonderen Vertriebsformen auf. Demnach sind bei den dort aufgezählten Fällen Widerrufsrechte kraft des Gesetzes nicht gegeben, "soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben". Dies lässt Spielraum für ein vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht.

Ein vertragliches Widerrufsrecht in Eigeninitiative auszugestalten und dabei von den gesetzlichen Vorschriften auch in negativer Weise abzuweichen ist nur bei sog. B2B-Verträgen zulässig. B2B-Verträge sind Verträge zwischen Unternehmern. Bei diesen Verträgen finden die strengen Verbraucherschutzvorschriften keine Anwendung. Bei Verträgen zwischen Unternehmern kann der genaue Inhalt eines vertraglichen (freiwilligen) Widerrufsrechts vollkommen selbstständig bestimmt werden.

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Beispiel 1: Die AGB des Unternehmers beinhalten eine Klausel, wonach die Widerrufsfrist bei Verbraucherverträgen nur 12 Tage statt der vorgeschriebenen 14 Tage beträgt.

  • Eine solche Vereinbarung ist unzulässig, da die Regelung in negativer Weise von den gesetzlichen Vorschriften abweicht. Dem Verbraucher steht gesetzlich eine Widerrufsfrist i.H.v. 14 Tagen zu (§ 355 Abs. 2 S. 1 BGB). Durch die Klausel stünde ihm weniger Bedenkzeit zu. Folglich sind Klauseln wie diese unwirksam, da der Verbraucherschutz sinkt.

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Beispiel 2: Der Unternehmer gewährt dem Verbraucher eine Widerrufsfrist von einem Monat.

  • Dies ist zulässig, da positiv von den gesetzlichen Vorschriften abgewichen wird. Der Verbraucherschutz erhöht wird, denn ihm steht eine längere Bedenkzeit zu.

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Beispiel 3: Zwei Gewerbetreibende schließen einen Kaufvertrag. Es wird jeder Partei das Recht eingeräumt, die abgegebene Willenserklärung innerhalb von 3 Tagen nach Vertragsschluss und ohne Angaben von Gründen zu widerrufen.

  • Da es sich nicht um einen Vertrag mit zwei Verbrauchern handelt, finden die gesetzlichen Vorschriften über das Widerrufsrecht keine Anwendung. Von Gesetzes wegen würde keiner der Parteien überhaupt ein Widerrufsrecht zustehen. Damit ist die Vereinbarung über die Widerrufsfrist i.H.v. 3 Tagen zulässig.

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Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Das Widerrufsrecht“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Pascal Schöning, Wirtschaftsjurist LL.B., erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-56-4.


 

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Stand: Januar 2016


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