Das Widerrufsrecht – Teil 02 – Gesetzliches Widerrufsrecht

2 Voraussetzungen des Widerrufsrechts

Das Widerrufsrecht steht einer Vertragspartei grundsätzlich dann zu, wenn diese Vertragspartei

  • ein Verbraucher ist (§ 13 BGB),
  • die andere Vertragspartei ein Unternehmer ist (§ 14 BGB),
  • der Vertrag unter besonderen Umständen oder in außergewöhnlichen Situationen geschlossen wird,
  • oder es sich um einen besonders risikoreichen Vertrag handelt.

2.1 Gesetzliches Widerrufsrecht

Der Gesetzgeber gesteht dem Verbraucher das Widerrufsrecht nur dann zu, wenn dies angemessen ist. Die Einräumung eines Widerrufsrechts ist angemessen, wenn ein Vertrag auf eine Art und Weise oder in einer Situation geschlossen wird, in welcher der Verbraucher normalerweise auf einen Vertragsschluss nicht vorbereitet ist oder der Vertrag besonders riskant ist.

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Beispiel: Ein Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer entsteht im Rahmen eines Haustürbesuchs, eines Telefongesprächs, eines Tagesausfluges oder im Internet.

  • Der Verbraucher muss in den eben genannten Situationen rechtlich relevante Entscheidungen treffen, auf die er mental nicht eigestellt ist und deren Tragweite er so schnell nicht überschauen kann. Deshalb soll der Verbraucher die Möglichkeit erhalten, seine Willenserklärung zu widerrufen und sich vom Vertrag lösen zu können. Ein Beispiel für einen besonders riskanten Vertrag ist der Darlehensvertrag, da sich der Verbraucher erheblichen finanziellen Risiken aussetzt.

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Daraus folgt, dass bei gewöhnlichen Geschäften, wie dem Wocheneinkauf im Supermarkt, kein Widerrufsrecht von Gesetzes wegen besteht. Die Aufmerksamkeit des Verbrauchers dahingehend, rechtlich relevante Kontakte einzugehen, ist beim Wocheneinkauf vorhanden.

2.1.1 Verbrauchervertrag

Ein Verbrauchervertrag setzt den Vertragsschluss eines Verbrauchers und eines Unternehmers voraus (§ 310 Abs. 3 BGB). Der Verbrauchervertrag bezeichnet damit nicht den Inhalt des Vertrages. Er bezeichnet viel mehr die rechtliche Einordung der beteiligten Vertragspartner. Der Verbrauchervertrag kann sowohl ein Kaufvertrag als auch ein Werk- oder Dienstvertrag sein. Es kommt allein darauf an, dass es sich bei den beteiligten Akteuren um einen Verbraucher (§ 13 BGB) und einen Unternehmer (§ 14 BGB) handelt.

2.1.1.1 Unternehmer

Der Unternehmer ist eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die einen Vertrag aus einem gewerblichem Zweck heraus abschließt (§ 14 BGB). Wichtig ist, dass sich aus der Zweckrichtung des Vertrages ein gewerbliches oder selbstständig berufliches Motiv ergibt.

2.1.1.2 Verbraucher

Ein Verbraucher ist eine natürliche Person, die einen Vertrag aus einem Zweck heraus abschließt, der überwiegend weder der gewerblichen noch der beruflich selbstständigen Tätigkeit zugeordnet werden kann (§ 13 BGB). Der private Zweck des Geschäftes muss also überwiegen. Dies ist unabhängig von der Geschäftserfahrung oder Rechtskunde des Verbrauchers.[1]

2.1.1.3 Abgrenzungsfälle

Der Verbraucher kann in seinem beruflichen Leben trotzdem als Unternehmer tätig sein. Schließt etwa ein Gewerbetreibender einen Vertrag für private Zwecke ab, so ist er nicht Unternehmer, sondern Verbraucher.[2] Wichtig für die Unterscheidung ist nur die Zweckrichtung des Vertrages. So kann auch der Verbraucher Anbieter von Waren sein. Entscheidend für die Einordnung als Verbraucher ist, dass die Waren nicht planmäßig oder aus freiberuflichen Gründen angeboten werden.[3]

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Beispiel: Der Kunde, der in seiner Freizeit gerne an Computerspielevents teilnimmt, erwirbt für diese Zwecke einen mit starker Hardware ausgerüsteten Laptop bei einem Online-Händler.

  • In diesem Beispiel erwirbt der Kunde das Gerät aus rein privaten Motiven. Seine Freizeittätigkeit, das Computerspielevent, ist weder der gewerblichen, noch der beruflich selbstständigen Tätigkeit zuzuordnen.

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Schließt der Verbraucher einen Vertrag mit dem Ziel der Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit, so ist er als Unternehmer anzusehen.[4] Denn derjenige der einen solchen Vertrag abschließt gibt dem Rechtverkehr zu erkennen, dass er sich dem Sonderrecht der Kaufleute unterwirft.[5] Folglich soll er sich nicht mehr in der Rolle des Verbrauchers widerfinden. Der Vertragsschluss ist dann Ausdruck der Entscheidung zukünftig unternehmerisch handeln zu wollen.[6] Deswegen sind Existenzgründer rechtlich nicht als Verbraucher, sondern als Unternehmer anzusehen.

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Beispiel: Ein Existenzgründer erwirbt seine gesamte Geschäftsausstattung zu einem Preis von rund 100.000 €. Der Kaufvertrag wird einen Monat vor der Eröffnung des Geschäftes geschlossen.

  • Der Kaufvertrag wird zum Zwecke der Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit geschlossen. Der Erwerb der Geschäftsausstattung gibt dem Verkäufer zu erkennen, dass sich der Käufer in die Rolle eines Gewerbetreibenden begibt. Deshalb wird der Käufer in seinem Unterfangen bestätigt, indem für ihn die Verbraucherschutzregeln nicht mehr gelten.[7] Der Existenzgründer ist rechtlich als Unternehmer zu bewerten.

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Das Motiv des Kunden ist oft nicht klar zu erkennen. Einen Hinweis auf das Geschäftsmotiv erhält der Unternehmer nur selten. Zweifelsfrei feststellbar ist dies nur, wenn ein Gewerbetreibender sich bei Vertragsschluss nach außen als ein solcher zu erkennen gibt. Erkennt ein Unternehmer nicht die Unternehmereigenschaft seines Kunden, kann auch der Kunde in den Genuss von verbraucherschutzrechtlichen Vorschriften gelangen.

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Beispiel: Ein Käufer erwirbt einen PKW im Namen der A-OHG.

  • Der Käufer erwirbt den PKW im Namen eines Unternehmens. Dies lässt auf eine gewerbliche Nutzung schließen und bestätigt den Anschein der Unternehmereigenschaft.

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2.1.1.3.1 Doppelter Verwendungszweck

Es existiert auch die Möglichkeit des gemischten Vertragszwecks. Das bedeutet, dass der Vertrag eine doppelte Zweckrichtung aufweist. Der Vertragsinhalt wird dann für private und geschäftliche Zwecke genutzt. Dies wird als sog. Mischnutzung oder Dual-Use - Vertrag bezeichnet. Ob dann noch die Verbrauchereigenschaft gegeben ist hängt davon ab, welcher Zweck letztlich überwiegt. Das Überwiegen des privaten Zwecks ist die Voraussetzung für die Verbrauchereigenschaft. Umgekehrt ist beim Überwiegen des gewerblichen Zwecks die Unternehmereigenschaft gegeben.

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Beispiel: Der Käufer eines Notebooks ist beruflich selbstständiger Architekt. Das Notebook erwirbt er hauptsächlich um seinem privaten Hobby nachzugehen - der regelmäßigen Teilnahme an groß angelegten Computerspielevents. Gelegentlich nutzt er das Gerät auch an einigen Wochenenden, um die unter der Woche liegengebliebene Arbeit von Zuhause aus nachzuholen.

  • In diesem Falle liegt eine Mischnutzung vor. Der Kunde nutzt das Gerät für berufliche und private Zwecke. Der Kaufvertragsschluss ist jedoch aus einem überwiegend privaten Zweck heraus entstanden. Tatsächlich überwiegt die private Nutzung, denn das Gerät wird nur gelegentlich für die Arbeit verwendet. Damit ist die Verbrauchereigenschaft des Käufers gegeben. Es liegt ein Verbrauchervertrag vor.

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2.1.1.3.2 Beweislast

Bestehen Unklarheiten bezüglich der Verbrauchereigenschaft, so trifft die Beweislast denjenigen, der aus ihr ein Recht ableiten möchte. Also den Verbraucher.[8] Der Verbraucher ist verpflichtet Tatschen vorzubringen, die seine Verbrauchereigenschaft belegen.

Der Unternehmer kann für die Feststellung der Verbrauchereigenschaft den sog. "Beweis des ersten Anscheins" heranziehen.[9] Demnach ist anhand objektiver Kriterien zu entscheiden, welche Zweckrichtung ein Vertrag aufweist. [10] Eine Zuordnung in den unternehmerischen Bereich kommt nur dann in Betracht, wenn es dafür eindeutige Hinweise gibt.[11] Ergibt der erste Eindruck, dass es sich um einen Verbraucher handelt, müssen erst eindeutige Hinweise auf gegenteiliges deuten um von einem Unternehmer sprechen zu können.

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Beispiel: Ein Unternehmer betreibt ein Geschäft für Druckerware. Der Kunde parkt mit einem Wagen der XY-GmbH, deren Schriftzug sich werbewirksam und großflächig über das gesamte Fahrzeug zieht, direkt und gut sichtbar vor dem Schaufenster. Er holt sich ein Angebot über 4 Paletten eines besonders hochwertigen Druckerpapiers ein. Die Bestellung erfolgt später im Internet. Beide klären nicht, ob es sich um eine gewerbliche Bestellung handelt. Der Unternehmer kann zwei objektive Kriterien heranziehen, anhand derer er auf die Unternehmereigenschaft des Kunden schließt.

  • Hinweis 1: Der Kunde fährt mit einem Fahrzeug vor, das den Schriftzug der XY-GmbH trägt. Es handelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen Firmenwagen.
  • Hinweis 2: Die bestellte Menge (4 Paletten) die untypisch für den privaten Gebrauch ist.

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Maßgeblich für den Unternehmer ist, welche Eigenschaft dem Großteil seiner Kundschaft zukommt. Betreibt ein Unternehmer seine Geschäfte fast ausschließlich mit Verbrauchern, so wird er regelmäßig alle natürlichen Personen als Verbraucher behandeln. Eine Unterscheidung, ob sich auch ein Unternehmer darunter befindet, findet nicht statt. Umgekehrt kann ein Unternehmer der überwiegenden Geschäfte mit Gewerbetreibenden tätigt, auch einen Verbraucher unter seinen Kunden haben. Dabei ist es für den Unternehmer allerdings von immenser Bedeutung von der Verbrauchereigenschaft Kenntnis zu haben. Denn der Unternehmer ist verpflichtet, bestehende Verbraucherschutzvorschriften (Informationspflichten) gegenüber dem Verbraucher zu erfüllen.

[1] Vgl. Palandt/Ellenberger § 13 Rn 2.

[2] Vgl. BGH NJW 2009, 3780, 3781, Rn. 11.

[3] Vgl. BeckOK BGB § 13 Rn. 9.

[4] Vgl. jurisPK-BGB Band 2 Rn. 140.

[5] Vgl. jurisPK-BGB Band 2 Rn. 140.

[6] Vgl. jurisPK-BGB Band 2 Rn. 140.

[7] Vgl. jurisPK-BGB Band 2 Rn. 140.

[8] Vgl. BeckOK BGB § 13 Rn 15 – 16.

[9] Vgl. BeckOK BGB § 14 Rn 16.

[10] Vgl. BeckOK BGB § 14 Rn 16.

[11] Vgl. BGH NJW 2009, 3780, 3781 Rn 11.

Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Das Widerrufsrecht“ von Harald Brennecke, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Pascal Schöning, Wirtschaftsjurist LL.B., erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2016, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-56-4.


 

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Stand: Januar 2016


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