Baugenehmigung – Teil 20 – Abstandsflächenrecht

3.1.2 Abstandflächenrecht

Die in der Praxis sehr bedeutsamen Abstandsvorschriften richten sich auf eine ausreichende Belichtung und Belüftung des Gebäudes, auf Brandschutz sowie auf den Schutz des Nachbarn vor Beengung und Einsicht. Das Schutzgut der sozialen Distanz kann darüber hinaus auch durch erhebliche Geruchsbelästigungen beeinträchtigt werden.
Die konkrete Ausgestaltung variiert länderabhängig.

Die Abstandflächen sind Flächen vor den Außenwänden von Gebäuden. Sie entsprechen der Gebäudehöhe und der Gebäudebreite. Grundsätzlich sind die Abstandflächen vor den Außenwänden von Gebäuden erforderlich, müssen auf dem Baugrundstück liegen und dürfen nicht mit oberirdischen Gebäuden bebaut werden und einander nicht überdecken.
Das System der Abstandflächen geht von dem „Normalfall“ des Gebäudes mit (weitgehend) rechteckigem Grundriss und Flachdach oder geneigter Dachform aus, dessen senkrechte Außenwände einen gleichmäßig horizontalen oberen Abschluss aufweisen und parallel zu den Grundstücksgrenzen verlaufen.
Der einzuhaltende Abstand beträgt zwischen 1 H (Art. 6 Abs. 5 S. 1 BauO Bay.) und 04 H (§ 6 V 1 BauO MV; H = Wandhöhe zuzüglich der Höhe von Dächern und von Giebelflächen im Bereich des Daches in Abhängigkeit von dessen Neigung), d.h. bei einem Wert H = 10 m berechnet sich eine Abstandfläche von 10 m bzw. 4 m – regelmäßig gilt jedoch ein Mindestabstand von 3 m (Art. 6 Abs. 5 BauO Bay., § 6 Abs. 5 BauO MV, § 5 Abs. 2 BauO Nds., § 6 Abs. 5 S. 4 BauO NRW). In Kern-, Gewerbe und Industriegebieten brauchen nur geringere Abstände eingehalten zu werden (etwa § 6 Abs. 5 S. 2 BauO MV, § 6 Abs. 5 S. 1, 2 BauO NRW).

Ausnahmen von den Regelabstandflächen gelten im Rahmen sog. Grenzbebauung für Nebengebäude ohne Aufenthaltsräume, wie Garagen. Deren Nutzungserweiterung, etwa als Terrasse oder Wintergarten, wird vom Anwendungsbereich der Privilegierungsvorschrift nicht erfasst. Entsprechendes gilt für Garagen mit Abstand zur Nachbargrenze.
Abstandflächenrechtliche Privilegierungen finden sich ferner für untergeordnete Bauteile (Gesimse, Dachvorsprünge, Hauseingangüberdachungen) und Vorbauten (Balkone, Wintergärten, Erker; vgl. Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BauO Bay., § 6 Abs. 6 BauO MV, § 5 BauO Nds.). Einige Bauordnungen gestatten zur Verbesserung des Wärmeschutzes, die Außenwände bestehender Gebäude nachträglich zu bekleiden oder zu verblenden bzw. die Dachhaut anzuheben und damit die ursprünglich zulässigen Abstandflächen zu unterschreiten (vgl. § 6 Abs. 14 S. 1 BauO NRW, § 6 Abs. 6 S. 3 BauO Hess., § 8 Abs. 4 BauO Saarl.).

Eine weitere Ausnahme stellt das Schmalseitenprivileg oder 16 m-Privileg dar. Vor zwei Außenwänden eines Gebäudes von nicht mehr als 16,0 m Länge genügte als Tiefe der Abstandfläche die Hälfte der an sich erforderlichen Tiefe bzw. ein in m angegebenes Mindestmaß. Dieses Privileg gibt es jedoch nur noch in sieben Bundesländern. In Bayern, Hamburg und Nordrhein-Westfalen ist die Formulierung jeweils unverändert geblieben, während in drei Ländern die Gesetzgeber den Gesetzestext im Sinne der rechnerischen Betrachtungsweise geändert haben (BauO Bln, BauO MV, BauO Sa Anh.).

Der Anwendungsbereich für die Einhaltung der materiellen Regelungen über Abstandflächen ist immer von Bedeutung, wenn ein Gebäude errichtet, geändert oder in der Nutzung geändert wird. Eine bloße Nutzungsänderung führt im Regelfall nicht dazu, dass die zur Zeit der Behördenentscheidung über diese Nutzungsänderung geltenden Abstandflächenvorschriften erneut anzuwenden sind. Wenn eine bauliche Änderung in Rede steht, kommt es für die Frage der Verletzung nachbarlicher Rechte darauf an, ob das geänderte Vorhaben nachteilige Auswirkungen auf wenigstens einen durch die Abstandsvorschriften geschützten Belang hat, d.h. ob mit dieser Änderung im Vergleich zu der bisherigen Situation eine Verschlechterung eintritt.

Die Abstandflächenfrage wird dann nicht erneut aufgeworfen, wenn bauliche Veränderungen an einem früher genehmigten Baubestand sich nicht nachteilig auf die durch die Abstandflächen geschützten Belange auswirken können. Bauliche Veränderungen an einem genehmigten Gebäude, dessen nach heutigem Recht einzuhaltende Abstandfläche teilweise auf einem benachbarten Grundstück liegt, sind abstandsrechtlich regelmäßig dann unbeachtlich, wenn sie nicht zu einer nachteiligen Veränderung der Abstandfläche auf dem Nachbargrundstück führen. Sofern die Mindesttiefe nicht unterschritten wird, ist es in einem derartigen Fall auch unerheblich, dass der Abstand zur Grundstücksgrenze verringert wird.

Die Problematik dieser Abstandsregelungen ist nach der Rechtsprechung des BVerwG dadurch gekennzeichnet, dass sie sowohl einer planungsrechtlichen als auch einer bauordnungsrechtlichen Regelung zugänglich ist, dass also Gesichtspunkte beider Rechtsgebiete miteinander verschränkt sind und nicht etwa Landesrecht insoweit Vorschriften bodenrechtlichen Charakters enthält. Die Konkurrenz beider Rechtsgebiete ist in den Bauordnungen grundsätzlich in der Weise geregelt, dass die bauplanungsrechtlichen Bestimmungen über die geschlossene Bauweise dem Bauordnungsrecht vorgehen (vgl. § 6 Abs. 1 S. 2 BauO NW). Soweit jedoch ein Bebauungsplan Festsetzungen enthält, die nur verminderte Abstände ermöglichen, ist er nicht etwa wegen Verstoßes gegen Landesrecht nichtig. Die inhaltliche Zulässigkeit planerischer Festsetzungen bestimmt sich nicht nach Bauordnungsrecht, sondern nach dem BauGB und der BauNVO. Jedoch wäre ein diesem Bebauungsplan entsprechendes Vorhaben wegen Verstoßes gegen Bauordnungsrecht rechtswidrig. Diesen Konflikt verhindern diejenigen Bauordnungen, die den Vorrang solcher Festsetzungen in Bebauungsplänen vorsehen (vgl. § 6 Abs. 14 BauO NW).


Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Das Recht der Baugenehmigung“ von Olaf Bühler, Rechtsanwalt, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-939384-90-8.


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