Baugenehmigung – Teil 17 – Begünstigte Vorhaben

2.4 Begünstigte Vorhaben nach § 35 Abs. 4 BauGB

§ 35 Abs. 4 BauGB fasst Vorhaben über begünstigte Vorhaben (Nutzungsänderungen, Ersatzbauten, Erweiterungen) zusammen. Die Vorschrift findet Anwendung auf sonstige Vorhaben i. S. d. § 35 Abs. 2 BauGB. Daher findet sie keine Anwendung auf privilegiert zulässige Vorhaben nach § 35 Abs. 1 BauGB. In der Sache handelt es sich um eine Erleichterung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für sonstige Vorhaben. Aus diesem Grund werden diese Vorhaben auch als teilweise privilegierte Vorhaben bezeichnet.

Die im Außenbereich zulässigerweise errichten Anlagen genießen nach Art. 14 GG Bestandsschutz, auch wenn sie als „sonstige Vorhaben“ heute nach § 35 Abs. 2 BauGB unzulässig wären. Ersatzbauten, Erweiterungen, Änderungen oder Nutzungsänderungen würden dann an § 35 Abs. 2, Abs. 3 BauGB scheitern, da sich der Bestandsschutz auf die vorhandene Bausubstanz und die ausgeübte Nutzung beschränkt. Um den berechtigten Interessen Rechnung zu tragen lockert § 35 Abs. 4 BauGB für bestimmte „sonstige Vorhaben“ die aus § 35 Abs. 2, Abs. 3 BauGB folgenden Beschränkungen. Dies läuft auf eine Art Bestandsschutz hinaus.

Die Begünstigung besteht darin, dass den in Abs. 4 genannten Vorhaben folgende öffentliche Belange nicht entgegengehalten werden können: Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans (Abs. 3 S. 1 Nr. 1) oder eines Landschaftsplans (Abs. 3 S. 1 Nr. 2), Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft (Abs. 3 S. 1 Nr. 5) oder Befürchtung der Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung (Abs. 3 S. 1 Nr. 7). Diese Belange können weder beeinträchtigt werden, noch können sie diesen Vorhaben entgegenstehen.

2.4.1 Privilegierungstatbestände des § 35 Abs. 4 BauGB

2.4.1.1 Nutzungsänderung land- oder forstwirtschaftlicher Anlagen

Die Nutzungsänderung baulicher Anlagen nach § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB ist ein Vorhaben i. S. d. § 29 Abs. 1 BauGB (Ausführungen zum § 29 Abs. 1 BauGB s.o.). § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB erleichtert die Nutzungsänderung baulicher Anlagen i. S. d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB.

Eine Änderung der bisherigen Nutzung setzt voraus, dass die bisherige (tatsächliche) Nutzung als land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb durch eine neue Nutzung ersetzt werden soll. Die bisherige Nutzung muss deshalb noch vorhanden oder jedenfalls darf nicht länger als sieben Jahre zurückliegen (§ 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1c BauGB). Weiterhin muss die beabsichtigte Nutzungsänderung die äußere Gestalt des Gebäudes „im Wesentlichen“ wahren (§ 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1b BauGB). Das bedeutet, dass auch wesentliche Änderungen zulässig sind, wenn nur die äußere Hülle im Wesentlichen erhalten bleibt. Die Nutzungsänderung einer Scheune in ein Wohnhaus wird daher in der Regel unzulässig sein, weil der dazu notwendige Einbau von Decken, Böden, Wänden und Installationen im Allgemeinen einen Aufwand erfordern wird, der dem eines Neubaus gleichkommt.

2.4.1.2 Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes

Die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes ist nach § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB begünstigt, wenn das vorhandene Gebäude zulässigerweise errichtet worden ist (§ 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a BauGB), das vorhanden Gebäude Missstände oder Mängel aufweist (§ 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2b BauGB), es seit längerer Zeit von dem Eigentümer selbst genutzt wird (§ 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2c BauGB) und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Wohngebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird (§ 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2d BauGB). Nur bei Vorliegen dieser Merkmale ist die Neuerrichtung eines Wohngebäudes begünstigt. Sofern diese Voraussetzungen nicht vorliegen, muss sich der Bauherr, der ein vorhandenes Wohngebäude ersetzen will, so behandeln lassen, als wenn er an der vorgesehenen Stelle erstmalig ein Wohngebäude errichten will. Zudem muss das Gebäude im Verhältnis zum Altbestand gleichartig sein. Gleichartigkeit muss hinsichtlich der Größe des Gebäudes (des Bauvolumens), seiner Nutzung und seiner Funktion bestehen. An der Gleichartigkeit hinsichtlich der Größe fehlt es, wenn das Gebäude – gegenüber dem Altbestand – mehr als nur geringfügig erweitert wird. Keine Gleichartigkeit besteht beispielsweise bei Verdoppelung der Wohnfläche.

Weiterhin muss die Nutzung des Wohngebäudes demselben Zweck zugeordnet bleiben, also dieselbe Funktion behalten.

Darüber hinaus muss das Gebäude an gleicher Stelle errichtet werden. Das ist nur der Fall, wenn es an demselben Standort errichtet wird, an welchem der Altbestand gestanden hat.

Das Gebäude muss Missstände oder Mängel aufweisen. Wann ein Gebäude Missstände oder Mängel aufweist, definiert § 177 Abs. 2 und Abs. 3 BauGB. Danach liegen Missstände insbesondere vor, wenn die bauliche Anlage nicht den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse entspricht, § 177 Abs. 2 BauGB. Nach § 177 Abs. 3 liegen Mängel insbesondere vor, wenn durch Abnutzung , Alterung, Witterungseinflüsse oder Einwirkungen Dritter die bestimmungsgemäße Nutzung der baulichen Anlage nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird (Nr. 1), die bauliche Anlage nach ihrer äußeren Beschaffenheit das Straßen- oder Ortsbild nicht nur unerheblich beeinträchtig (Nr. 2) oder die bauliche Anlage erneuerungsbedürftig ist und wegen ihrer städtebaulichen, insbesondere geschichtlichen oder künstlerischen Bedeutung erhalten bleiben soll (Nr. 3).

Ferner muss der Eigentümer das Gebäude längere Zeit selbst genutzt – also selbst bewohnt – haben. Mit dieser Regelung will das Gesetz verhindern, dass Personen alte Wohnhäuser mit der Absicht erwerben, sie anschließend unter Hinweis auf ihre Wohnbedürfnisse durch einen Neubau zu ersetzen. Die erleichterte Möglichkeit , einen Ersatzbau zu errichten, soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur denjenigen zugutekommen, die sich längere Zeit mit den beengten Wohnverhältnissen abgefunden und damit unter Beweis gestellt haben, dass dieses Wohnhaus für sie im Familienleben eine bedeutende Rolle spielt.

Schließlich müssen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird.


Dieser Beitrag ist zitiert aus dem Buch „Das Recht der Baugenehmigung“ von Olaf Bühler, Rechtsanwalt, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-939384-90-8.


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