Aufhebungsvertrag - Teil 31 - Anfechtung

11.3 Anfechtung

Wie jede Willenserklärung kann auch diejenige Willenserklärung angefochten werden, die zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags geführt hat, vgl. § 142 I BGB. Erforderlich ist stets eine Anfechtungserklärung (§ 143 BGB) innerhalb der maßgeblichen Anfechtungsfrist (§ 121 I BGB beziehungsweise §§ 123 f. BGB) und das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes (§§ 119 ff. BGB).

11.3.1 Anfechtung wegen Irrtums gem. § 119 BGB

§ 119 BGB enthält drei Anfechtungsgründe: § 119 I Alt. 1 BGB berechtigt zur Anfechtung bei einem Inhaltsirrtum, § 119 I Alt. 2 BGB gestattet die Anfechtung bei Vorliegen eines Erklärungsirrtums und § 119 II regelt den Eigenschaftsirrtum.

Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn jemand zwar weiß, was er sagt, aber nicht weiß, was er damit sagt. Er irrt über den objektiven, rechtlich wirksamen Inhalt seiner Erklärung.

Beispiel (LG Hanau, Urteil vom 30.06. 1978 - 1 O 175/78, NJW 1979, 721)

Eine Schuldirektorin bestellt "25 Gros" Toilettenpapier für ihre Schule bei einem Lieferanten. Daraufhin werden 3600 Rollen Toilettenpapier geliefert. So viel wollte die Schuldirektorin nicht bestellen. Muss sie das Toilettenpapier bezahlen?

    • Ein Anspruch aus Kaufpreiszahlung ergibt sich grundsätzlich aus § 433 II BGB. Die Schuldirektorin könnte den Kaufvertrag aber anfechten, § 142 I BGB.
    • Anfechtungsgrund ist ein Inhaltsirrtum gem. § 119 I Alt. 1 BGB: Sie wusste zwar, dass sie "25 Gros" bestellt hat, irrte aber über die Bedeutung des Wortes "Gros". Ihr war nicht klar, dass es 12x12 bedeutet.
    • Wenn die Schuldirektorin die Anfechtung rechtzeitig gegenüber dem Lieferanten erklärt (§§ 143, 121 I BGB), ist der Kaufvertrag von Anfang an nichtig, vgl. § 142 I BGB. Sie muss die zu viel bestellten Toilettenrollen nicht bezahlen.

Ein Erklärungsirrtum gem. § 119 I Alt. 2 BGB liegt dagegen vor, wenn jemand bei der Abgabe einer Willenserklärung eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte. Derjenige weiß schon nicht, was er sagt. Typisch ist, dass der Irrende sich verspricht, verschreibt oder vergreift.

Beispiel:

Arbeitgeber und Arbeitnehmer verhandeln über einen Aufhebungsvertrag. Sie einigen sich auf eine Abfindung in Höhe von 15.000,- Euro. Durch einen Tippfehler wird im Vertragstext versehentlich eine Abfindung von 150.000,- Euro festgelegt.

    • Es handelt sich um einen Erklärungsirrtum gem. § 119 I Alt. 2 BGB.
    • Der Arbeitgeber wird den Aufhebungsvertrag anfechten, vgl. § 142 I BGB.

Als Eigenschaftsirrtum wird es bezeichnet, wenn jemand über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden, irrt, § 119 II BGB. Eine Arbeitnehmerin, die in Unkenntnis ihrer Schwangerschaft einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet, ist grundsätzlich nicht zur Anfechtung berechtigt. Auch eine schwangere Arbeitnehmerin, die sich nicht über die Rechtsfolgen des Aufhebungsvertrages bezüglich des Mutterschutzes im Klaren ist, hat aufgrund dieses bloßen Rechtsfolgenirrtums keinen Anfechtungsgrund. Ein Arbeitnehmer, der von seinem Arbeitgeber über dessen bevorstehende Zahlungsunfähigkeit getäuscht wird, kann den Aufhebungsvertrag möglicherweise wegen eines Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (die Solvenz des Vertragspartners) gem. §§ 142 I, 119 II BGB anfechten.

Denkbar ist auch ein beidseitiger Irrtum von Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Beispiel (vgl. Bauer/Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 9. Auflage 2014, A 230)

Arbeitgeber A und Arbeitnehmer B einigen sich auf einen Aufhebungsvertrag. Den Beendigungszeitpunkt haben sie mündlich so vereinbart, dass er mit dem Ende der Frist einer ordentlichen Kündigung übereinstimmen soll. Nachdem beide unterschrieben haben und einige Zeit vergangen ist, bemerkt B, dass sie sich vertan haben und die Frist einer ordentlichen Kündigung erst später geendet hätte als sie es für den Beendigungszeitpunkt im Vertragstext festgelegt haben.

    • Eine Anfechtung gem. §§ 119, 123 BGB scheidet aus. Eine Anfechtung gem. § 123 I BGB scheitert am Vorliegen einer Täuschung beziehungsweise Drohung. Eine Anfechtung gem. § 119 I BGB bleibt ebenfalls erfolglos. Entweder handelt es sich um einen Kalkulationsirrtum und damit um einen unbeachtlichen Motivirrtum oder es liegt eine sog. "falsa demonstratio non nocet" vor, bei der eine falsche Bezeichnung im Vertragstext nichts schadet, solange die Parteien in ihrem wahren Willen übereinstimmen (§ 133 BGB) (vgl. Armbrüster in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2015, § 119 BGB Rn. 59 ff.)
    • Es würde jedoch gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen, wenn A auf den Vertragstext im Aufhebungsvertrag bestehen würde, obwohl er und B sich eigentlich einig waren.
    • B kann bis zum mündlich vereinbarten Beendigungszeitpunkt (also bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist) bei A arbeiten.

Für den Fall, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich auf einen Beendigungszeitpunkt vor Ablauf einer Kündigungsfrist einigen und diese somit bewusst verkürzen, kann es für den Arbeitgeber empfehlenswert sein, diese Tatsache in einer Klausel schriftlich festzuhalten. Unter Umständen beruft sich der Arbeitnehmer sonst später darauf, es habe ein beidseitiger Irrtum bezüglich des Beendigungszeitpunkts vorgelegen. Zwar wird es ihm schwerfallen einen solchen (nichtexistierenden) Irrtum nachzuweisen, aber mit einer entsprechenden Klausel kann der denkbare Fall ausgeschlossen werden. Möglich ist folgender Zusatz im Zusammenhang mit dem Beendigungszeitpunkt:

"Das Arbeitsverhältnis zwischen … und … wird einvernehmlich zum …. beendet. Eine andernfalls geltende individuelle Kündigungsfrist (vgl. § 622 BGB) wird bewusst verkürzt."

11.3.2 Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung gem. § 123 I BGB

§ 123 I BGB enthält zwei Anfechtungsgründe: Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 I Alt. 1 BGB) und Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123 I Alt. 2 BGB). Die Norm soll die Willensfreiheit des Erklärenden schützen.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Der Aufhebungsvertrag – Die einvernehmliche Trennung im Arbeitsverhältnis“ von Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Carolina Erb erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-939384-89-2.


Kontakt: Dibbelt@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2019


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Monika Dibbelt, Rechtsanwältin

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Rechtsanwalt Tilo Schindele ist seit 20 Jahren im Arbeitsrecht tätig.
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Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

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