Aufhebungsvertrag - Teil 11 - Sittenwidrigkeit, Teilnichtigkeit

4.3.3 Sittenwidrigkeit, § 138 BGB

Ein Aufhebungsvertrag, der gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig, vgl. § 138 I BGB. Die guten Sitten werden als das „das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ definiert (stRspr seit RG 48, 124, vgl. auch BGH, Urteil vom 06.02.2009 - V ZR 130/08, NJW 2009, 1346). Bei § 138 I BGB werden Inhalts- und Umstandssittenwidrigkeit unterschieden. Bei der Inhaltssittenwidrigkeit ergibt sich die Sittenwidrigkeit aus dem Gegenstand des Rechtsgeschäfts selbst. Für die Sittenwidrigkeit spielt die Kenntnis der Vertragsparteien über die Sittenwidrigkeit hier keine Rolle. Anders ist es bei der Umstandssittenwidrigkeit, bei der sich die Sittenwidrigkeit aus dem Gesamtcharakter des Rechtsgeschäfts ergibt. Erforderlich ist hier Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände. Der Gegenstand des Aufhebungsvertrags ist nicht per se sittenwidrig, sodass nur eine Umstandssittenwidrigkeit in Betracht kommt, weshalb die Kenntnis beziehungsweise grob fahrlässige Unkenntnis der Vertragsparteien erforderlich ist.

Eine Sittenwidrigkeit iSd § 138 BGB wird angenommen, wenn die Vereinbarungen des Aufhebungsvertrags in einem auffälligen Missverhältnis zugunsten einer Seite stehen (dies wird in der Regel der Arbeitgeber sein) und dadurch die verwerfliche Gesinnung eines Vertragspartners erkennbar wird.

Beispiel
Der Arbeitgeber wirft dem Arbeitnehmer vor, durch unredliches Verhalten in den letzten 10 Jahren nach Hochrechnungen einen Schaden iHv 216.000 bis 270.000 € angerichtet zu haben. Der Arbeitnehmer unterschreibt im Rahmen eines Aufhebungsvertrages ein Schuldanerkenntnis, in dem er erklärt, einen Schaden iHv 120.000 € verursacht zu haben und verspricht, den Betrag zurückzuzahlen.

  • Hier liegt keine Sittenwidrigkeit vor. Der eingestandene Schaden von 120.000€ steht in keinem auffälligen Missverhältnis zum vermuteten Maximalschaden von 270.000 €. Auf die Frage, wie hoch der Schaden tatsächlich war, kommt es nicht an. Zudem hat der Arbeitnehmer nicht geleugnet, den Arbeitgeber hintergangen zu haben (vgl. BAG, Urteil vom 11.09.1984 - 3 AZR 184/82, NJW 1985, 2661).

Vorsicht ist bei rückdatierten Aufhebungsverträgen geboten. Diese liegen vor, wenn der Zeitpunkt des Vertragsschlusses absichtlich als in der Vergangenheit liegend angegeben wird. Hintergrund eines solchen Verhaltens ist, dass so die negativen Folgen des § 158 SGB III (Ruhen des Arbeitslosengeldes) umgangen werden sollen. Zwar ist ein solcher Aufhebungsvertrag nicht per se sittenwidrig gem. § 138 I BGB, allerdings kann er strafrechtlich relevant werden. In Betracht kommt ein Betrug gem. § 263 StGB zulasten der Bundesagentur für Arbeit.

4.3.4 Teilnichtigkeit gem. § 139 BGB

Ein Fall der Teilnichtigkeit gem. § 139 BGB liegt vor, wenn einzelne Regelungen des Aufhebungsvertrags nichtig sind. Wie sich aus § 139 BGB ergibt, ist der Aufhebungsvertrag insgesamt nur dann unwirksam, wenn nicht anzunehmen ist, dass er auch ohne die nichtige(n) Regelunge(n) geschlossen worden wäre. Um herauszufinden, ob der Aufhebungsvertrag auch ohne die nichtigen Regelungen geschlossen worden wäre, wird zweistufig vorgegangen:

Falls die Vertragsparteien eine Vereinbarung getroffen haben, was im Fall der Teilnichtigkeit passieren soll (sog. salvatorische Klausel), so ist diese Vereinbarung maßgeblich für das Schicksal des Gesamtvertrages. Das gilt jedoch ausnahmsweise dann nicht, wenn die nichtige Regelung ein wesentlicher Bestandteil des Aufhebungsvertrags ist(vgl. BGH, Urteil vom 08.04.1976 - II ZR 203/74, BeckRS 1976, 31115320).

Ist eine solche Vereinbarung nicht getroffen worden, so findet die Auslegungsregelung des § 139 BGB Anwendung. Dabei ist auf den mutmaßlichen Willen der Vertragspartner abzustellen: Was hätten sie bei Vertragsschluss gewollt, wenn sie gewusst hätten, dass die Regelung nichtig ist? Bei der Auslegung ihres Willen kommt es auf die Sicht eines objektiven Empfängers an, vgl. §§ 133, 157 BGB.

Beispiel
Der Aufhebungsvertrag enthält folgende Klauseln:
"II. 1. Die Anwartschaft des Arbeitnehmers A auf betriebliche Altersversorgung endet mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer A erhält dafür eine einmalige Auszahlung von 8400 €.

VI. Die Wirksamkeit des Vertrages ist unabhängig von der Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen."

  • Klausel "II. 1." regelt die finanzielle Abgeltung einer unverfallbaren Anwartschaft und verstößt somit gegen § 3 BetrAVG. Die Klausel ist daher nichtig, § 134 BGB. Die Wirksamkeit des übrigen Vertrages richtet sich nach § 139 BGB. Vorrangig zur dortigen Auslegungsregel ist die salvatorische Klausel in "VI." des Vertrages zu beachten. Es entspricht dem Parteiwillen, den Rest des Aufhebungsvertrages aufrechtzuerhalten. Zudem ist im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung anzunehmen, dass anstelle der nichtigen Klausel die gesetzliche Rechtsfolge des BetrAVG tritt (Schulte in Tschöpe, Arbeitsrecht, 10. Auflage 2017, Teil 3 C, Rz. 14).


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Der Aufhebungsvertrag – Die einvernehmliche Trennung im Arbeitsverhältnis“ von Monika Dibbelt, Rechtsanwältin, und Tilo Schindele, Rechtsanwalt, und Carolina Erb erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2019, www.vmur.de, ISBN: 978-3-939384-89-2.


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Stand: Januar 2019


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Rechtsanwalt Schindele ist Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart.
Seit 2001 unterrichtet er „Grundzüge im Arbeits- und Insolvenzrecht".

Rechtsanwalt Tilo Schindele hat veröffentlicht:

  • Arbeitnehmerüberlassung, Tilo Schindele und Patricia Netto, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-55-7
  • Die internationale Entsendung von Mitarbeitern, Tilo Schindele und Babett Stoye, LL.B., 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-57-1

Rechtsanwalt Tilo Schindele bereitet derzeit folgende Veröffentlichungen vor:

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Normen: §§ 138 ff. BGB

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