Arzthaftung - Teil 29 - Waffengleichheit, Gutachten, Vergleich

8.9 Das Gebot der Waffengleichheit

Die Rechtsprechung hat im Laufe der Jahre im Arzthaftungsverhältnis auf die Komplexität der Beweisführung reagiert, indem sie ausgleichende und anpassende Maßnahmen vorgenommen haben. Dies ergibt sich insbesondere aus der "Ungleichheit der Waffen" im Prozess. Darunter ist die für den Patienten erschwerte Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen und das für den Laien kaum zu durchdringende, für das Verständnis der Behandlung erforderliche Fachwissen gemeint. Diese Tatsachen erschweren die Beweisführung für den Patienten erheblich. Ein faires Verfahren kann dem Patienten demnach nur durch die erläuterten Beweislasterleichterungen ermöglicht werden. Die Beweislasterleichterungen dienen einer gerechten Interessenabwägung im Prozess und sind deshalb von den Gerichten jeweils einzelfallabhängig zu beurteilen. Dabei ist die zentrale Frage immer, ob dem Patienten die regelmäßige Beweislastverteilung im konkreten Fall noch zugemutet werden kann (BVerfG NJW 1979, 1925 f.).
Für den Patienten bietet das den Vorteil, dass die Substantiierungslast für ihn gemindert wird. Das bedeutet, dass der Klagevortrag keine medizinischen Details enthalten muss. Eine Beschreibung des vermeintlich fehlerhaften Behandlungsgeschehens im großen Ganzen wird als ausreichend erachtet, wenn das ärztliche Verhalten und der entstandene Schaden daraus ersichtlich werden. Lücken im Klägervortrag sind dem Kläger weder anzulasten, noch als Zugeständnis zu verstehen (NJW 1981, 630).

8.10 Juristische Wertung von ärztlichen Gutachten durch das Gericht

Für das Gericht gilt gem. § 286 ZPO im Prozess der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Darunter ist zu verstehen, dass das Gericht an Beweise nicht gebunden ist, sondern jedem Beweismittel und Beweis eine eigene Wertung zukommen lässt. Es ist somit auch an ein Sachverständigengutachten durch einen Fachmediziner in seiner Entscheidung nicht gebunden. Das Gutachten stellt insoweit lediglich eine Beurteilung und eine Richtungsweisung dar, weil im Regelfall die Fachkenntnis bezüglich der medizinischen Abläufe auf Seiten des Gerichtes fehlen soll. Trotzdem überprüft das Gericht das Gutachten auf Plausibilität und ist legitimiert, das Gutachten überprüfen oder ein neues erstellen zu lassen. Um zu verhindern, dass sich Richter im Arzthaftungsprozess mit Thematiken auseinandersetzen müssen, denen sie frei von jeder Fachkenntnis gegenüberstehen, haben die Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof eigene Kammern für Arzthaftungssachen eingerichtet.
Trotzdem bleibt der Fachkundige der Gutachter selbst und solange das Gericht nicht der Überzeugung ist, dass das Gutachten Mängel oder Widersprüchlichkeiten aufweist, wird es sich regelmäßig an die Bewertung des Geschehensablaufs des Gutachters halten.

Beispiele für sich aufdrängende Widersprüche

  1. 1Äußert ein Sachverständiger in seinem schriftlichen Gutachten zunächst massive Kritik an der Verzögerung einer Operation, dann müssen sich dem Gericht Zweifel an der abschließenden Beurteilung des Sachverständigen aufdrängen, es sei die Verzögerung zwar bedauerlich aber vertretbar gewesen (BGH NJW 1996, 1597).
  2. Äußert sich ein medizinischer Sachverständiger in seinem schriftlichen Gutachten mehrfach kritisch zum ärztlichen Vorgehen, so hat der Tatrichter sich aufdrängenden Zweifeln an der Folgerung des Sachverständigen, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung des Patienten gleichwohl schicksalhaft sei, weiter nachzugehen (BGH VersR 1993, 835).

8.11 Der Vergleich im Gerichtsverfahren

Das Gericht kann den Parteien auch im gerichtlichen Verfahren den Vergleich vorschlagen. Das ist zumeist dann der Fall, wenn die Beweislage nicht eindeutig ist oder aber der Behandlungs- und der Patientenseite jeweils eine Teilschuld an dem durch einen Behandlungsfehler entstandenen Schaden zugesprochen wird. Diese Vergleiche können dann für sinnvoll erachtet werden, wenn die Interessen der Parteien nicht völlig gegenläufig sind. In den meisten Arzthaftungsprozessen wird ein Vergleich aufgrund der eingetretenen Dauerschäden allerdings nicht das Mittel der Wahl zur Durchsetzung von Ansprüchen sein.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Arzthaftung - Nachweis und Durchsetzung von Ansprüchen bei ärztlichen Behandlungsfehlern“ von Michael Kaiser, Rechtsanwalt, und Magdalena Mahrenholtz, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-86-1.


Kontakt: kaiser@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018


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Über die Autoren:

Michael Kaiser, Rechtsanwalt

Portrait Michael-Kaiser

Michael Kaiser berät und vertritt seit vielen Jahren Patienten, Ärzte und Gesundheitsorganisationen bei Rechtsfragen um Arztrecht/Medizinrecht.
Er vertritt Krankenversicherungsnehmer bei der Durchsetzung von Ansprüchen auf Krankenversicherungsleistungen gegen Krankenkassen. Insbesondere die Übernahme der Kosten für neue, vielversprechende, aber noch nicht anerkannte Behandlungsmethoden durch die Krankenkassen liegt ihm am Herzen.
Er vertritt Patienten und Ärzte bei Arzthaftungsfällen. Er vertritt Ärzte beim Streit um die Vergütung bei Kassen- oder Privatpatienten und bearbeitet berufs- und standesrechtliche Fragestellungen, z.B. die Grenzen zulässiger Werbung, patent- und markenrechtliche Probleme oder Regressansprüche der Kassenärztlichen Vereinigung.
Michael Kaiser begleitet Ärzte bei der Gründung und Auseinandersetzung von Gemeinschaftspraxen und Praxisgemeinschaften sowie bei der Praxisnachfolge.

Rechtsanwalt Michael Kaiser hat veröffentlicht:

  • Arztpraxis – Kauf und Übergang, Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0

Rechtsanwalt Michael Kaiser ist Dozent für Arztrecht/Medizinrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
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