Arzthaftung - Teil 28 - Prozessuale Besonderheiten, Klageantrag

8.7 Prozessuale Besonderheiten im Arzthaftungsprozess

Immer mehr Gerichte haben in den letzten Jahren spezielle Fachkammern für Arzthaftungsprozesse gebildet. Dies ist den steigenden Zahlen an Arzthaftungsprozessen und auch der Komplexität der Sachverhalte geschuldet. Im Zivilprozess gilt außerdem grundsätzlich der Einsatz des Einzelrichters, der allerdings für den Fall des Vorhandenseins einer Fachkammer entfällt. Dann ist diese Fachkammer für den Prozess zuständig, es sei denn, für den Prozess sind in der zur entscheidenden Sache überhaupt keine Schwierigkeiten zu erwarten.
Die Fachkammer ist durch die Aufweichung des Beibringungsgrundsatzes im Prozess zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet. Die klagende Partei hat in verständigem Rahmen und erforderlichem, zumutbaren Maß zur Aufklärung beizutragen. Im Arzthaftungsprozess sind grundsätzlich alle zur Verfügung stehenden, von der Rechtsordnung (Fußnote) anerkannten Beweismittel zuzulassen, wobei im Arzthaftungsprozess regelmäßig der Sachverständige entscheidendes Beweismittel sein wird. Das Gericht hat dem Sachverständigen den Auftrag zu erteilen, bei streitigen Tatsachen entweder an bestimmte Ausführungstatsachen anzuknüpfen oder durch Vorgabe alternativer Sachverhaltsvarianten den konkreten Behandlungsvorgang bestmöglich zu beurteilen.
Trotz seiner Mitwirkungspflicht muss der Patient für die Aufklärung des Sachverhalts keine über einfache medizinische Untersuchungen hinausgehenden ärztlichen Eingriffe zulassen. Dies gilt vor allem für weitere Operationen und sonstige invasive Eingriffe.
Ein vorprozessual erstelltes Gutachten, entweder aus einem Schlichtungs- oder einem vorangegangenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, kann im Prozess als Urkundenbeweis dienen, wenn sich beide Parteien damit einverstanden erklären. Anderenfalls hat die die Partei, die nicht mit der Verwertung einverstanden ist, ausführlich darzulegen, aus welchen Gründen sie das vorhandene Gutachten als nicht ausreichend oder nicht widerspruchsfrei erachtet.
Ein von einer Partei privat erstelltes Gutachten ist dagegen lediglich als Parteivortrag mit Urkundenqualität zu beurteilen. Es bringt somit gerade keine Klarstellung, sondern unterstützt nur die Ausführungen der Partei. Ausnahmsweise, in der Praxis aber kaum relevant, kann ein Privatgutachten dann einem gerichtlichen Sachverständigengutachten gleichgestellt werden, wenn beide Parteien damit einverstanden sind. Sollte es aber schon zum Prozess kommen, ist nicht davon auszugehen, dass die jeweils andere Partei hierzu ihre Zustimmung geben wird. Trotzdem darf das Privatgutachten nicht als fachlich weniger bedeutsam durch das Gericht angesehen werden und sollten sich Widersprüche aus unterschiedlichen Gutachten ergeben, hat das Gericht diesen nachzugehen und sie aufzuklären.
Bei Zweifeln in jeglicher Hinsicht hat das Gericht einen weiteren Gutachter zur Aufklärung zu bestellen, wenn sich auch durch intensive Befragung keine neuen Erkenntnisse gewinnen lassen.
Die Parteien können zusätzlich zu dem schriftlichen Gutachten die Anhörung des Gutachters beantragen (Fußnote), was schon deshalb zu empfehlen ist, da sich Widersprüche oder auch Details häufig in der mündlichen Verhandlung leichter auf- und erklären lassen, was für die Beteiligten zu einem umfassenderen Verständnis führen kann. Der fristgerechte Antrag verpflichtet das Gericht zur Ladung des Sachverständigen.

8.8 Klageantrag

Der Klageantrag ist durch den Geschädigten zu stellen. Grundsätzlich soll er beziffert werden, d.h. die Schadenshöhe soll im Klageantrag enthalten sein. Für die materiellen Schäden kann diese Summe berechnet oder zumindest bestimmt werden. Ist die genaue Schadenshöhe allerdings noch nicht ermittelt worden und ist von der Erstellung eines Sachverständigengutachtens, einer gerichtlichen Schätzung oder dem billigen Ermessen des Gerichts abhängig (Fußnote), muss der Klageantrag diese Bezifferung nicht enthalten. Ein möglicherweise gestellter Schmerzensgeldantrag muss allerdings mindestens insoweit beziffert sein, dass eine Größenordnung z.B. als Mindestbetrag oder als Spielraum angegeben wird. Wenn der Antrag nicht ausreichend bestimmt ist, muss das Gericht nach Regelungen der Zivilprozessordnung die klagende Partei darüber aufklären und diese den Antrag korrigieren. Für den Patienten kann ein Mindestbetrag deshalb von Nachteil sein, weil in einem Vergleich möglicherweise keine Einigung mehr auf einen höheren Betrag erzielt werden kann. Das Gericht ist allerdings nicht an die Höhe der angegeben Summe gebunden, sondern kann nach freiem Ermessen die Summe bestimmen

Arzthaftung – Teil 07 – Schmerzensgeld

). Es bietet sich an, bei den Überlegungen zur Bezifferung der Summe zu bedenken, dass die zugesprochenen Beträge im Rahmen von Schmerzensgeldansprüchen in Arzthaftungssachen in den letzten Jahren immer weiter gestiegen sind und dass deshalb unbedingt Vergleichszahlen herangezogen werden sollten. Die Angemessenheit der Höhe des Anspruchs bestimmt sich nach dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Deshalb ist zu beachten, dass der Prozess und damit der mögliche Anspruch eventuell mehrere Jahre in der Zukunft liegen und sich Schäden möglicherweise bis dahin oder darüber hinaus auswirken. Dem Gericht ist allerdings auch die Möglichkeit eröffnet davon abzusehen, dem Geschädigten bei offensichtlichen Schätzfehlern im Fall des verlorenen Prozesses Kosten aufzuerlegen (Fußnote).
Ist der Geschädigte auf die Zahlung einer Rente oder der möglicherweise angefallenen Zinsen aus, so hat er dies im Klageantrag zu formulieren. Zu beachten ist weiterhin bei der Antragstellung, dass fiktive Behandlungskosten nicht ersatzfähig sind. Behandlungskosten werden grundsätzlich nur so weit ersetzt, wie der Patient die Behandlung auch durchführen lässt.


Dieser Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Arzthaftung - Nachweis und Durchsetzung von Ansprüchen bei ärztlichen Behandlungsfehlern“ von Michael Kaiser, Rechtsanwalt, und Magdalena Mahrenholtz, wissenschaftliche Mitarbeiterin, mit Fußnoten erschienen im Verlag Mittelstand und Recht, 2018, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-86-1.


Kontakt: kaiser@brennecke-rechtsanwaelte.de
Stand: Januar 2018


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Über die Autoren:

Michael Kaiser, Rechtsanwalt

Portrait Michael-Kaiser

Michael Kaiser berät und vertritt seit vielen Jahren Patienten, Ärzte und Gesundheitsorganisationen bei Rechtsfragen um Arztrecht/Medizinrecht.
Er vertritt Krankenversicherungsnehmer bei der Durchsetzung von Ansprüchen auf Krankenversicherungsleistungen gegen Krankenkassen. Insbesondere die Übernahme der Kosten für neue, vielversprechende, aber noch nicht anerkannte Behandlungsmethoden durch die Krankenkassen liegt ihm am Herzen.
Er vertritt Patienten und Ärzte bei Arzthaftungsfällen. Er vertritt Ärzte beim Streit um die Vergütung bei Kassen- oder Privatpatienten und bearbeitet berufs- und standesrechtliche Fragestellungen, z.B. die Grenzen zulässiger Werbung, patent- und markenrechtliche Probleme oder Regressansprüche der Kassenärztlichen Vereinigung.
Michael Kaiser begleitet Ärzte bei der Gründung und Auseinandersetzung von Gemeinschaftspraxen und Praxisgemeinschaften sowie bei der Praxisnachfolge.

Rechtsanwalt Michael Kaiser hat veröffentlicht:

  • Arztpraxis – Kauf und Übergang, Harald Brennecke und Michael Kaiser, 2016, Verlag Mittelstand und Recht, www.vmur.de, ISBN 978-3-939384-54-0

Rechtsanwalt Michael Kaiser ist Dozent für Arztrecht/Medizinrecht an der DMA Deutsche Mittelstandsakademie.
Er bietet Schulungen, Vorträge und Seminare unter anderem zu den Themen:

  • Arzthaftung: Die Haftung des Arztes für Behandlungsfehler
  • Die Ärztegesellschaft: Gemeinschaftspraxis und Praxisgemeinschaft
  • Arzthonorar und Kassenärztliche Vereinigung: Abrechnung und Regress
  • Vergütungsansprüche von Ärzten und Therapeuten

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